Berliner Alptraum
Älter als 7 Tage

"Die Lage um den Flughafen ist ernst"

Berlin Brandenburg Main-Pier
Das 715 Meter lange Main-Pier mit seinen insgesamt 16 Fluggastbrücken, im Vordergrund der Tower der Deutschen Flugsicherung (DFS), © Alexander Obst, Marion Schmieding / Flughafen Berlin Brandenburg

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BERLIN - Der erneut geplatzte Starttermin für den Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg stürzt die Verantwortlichen in ein Desaster von unklarer Tragweite. Über einen neuen Zeitplan, Mehrkosten und Konsequenzen müssen nun Berlin, Brandenburg und der Bund als Gesellschafter beraten. Sicher scheint nur: Vor 2014 wird der Airport nicht eröffnen. "Die Lage um den Flughafen ist ernst", sagte ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums am Montag in Berlin.

Er bekräftigte, dass Ressortchef Peter Ramsauer (CSU) kein Vertrauen mehr zu Flughafenchef Rainer Schwarz habe. Immer stärker unter Beschuss gerät auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der Vorsitzender des Flughafen-Aufsichtsrats ist.

Eigentlich sollte der künftig drittgrößte deutsche Flughafen nach bereits drei Verschiebungen am 27. Oktober 2013 eröffnet werden. Über den "neuen Erkenntnisstand" des Managements, dass Probleme doch größer seien, habe das Ministerium am Wochenende erfahren, sagte Ramsauers Sprecher. Das sei in einem per Boten zugestellten Schreiben mit Datum 4. Januar mitgeteilt worden.

Der brandenburgische Regierungssprecher Thomas Braune sagte, darin habe Flughafen- Technikchef Horst Amann informiert, dass das Eröffnungsdatum Oktober "real nicht zu halten" sei. Grund für die vierte Verschiebung seien Probleme mit der Brandschutzanlage. Ursprünglich sollte der Airport bereits im Oktober 2011 in Betrieb gehen.

Nun müssten zunächst die Probleme analysiert werden, sagte der Sprecher des Bundesverkehrsministeriums. Auch der Aufsichtsrat soll sich damit beschäftigen. Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) erwartet eine Sondersitzung noch diese Woche, das Gremium sollte eigentlich erst wieder am 25. Januar tagen.

Die genauen finanziellen Auswirkungen könne noch keiner beziffern, sagte eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums. "Wir sind von dieser Entwicklung überrascht worden." Zuletzt waren die Kosten bereits um 1,2 Milliarden Euro auf 4,3 Milliarden Euro gestiegen. Der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Barthle, sagte "Handesblatt online": "Klar ist, dass sich der Haushaltsausschuss des Bundestages mit dem Thema erneut befassen und die weitere Entwicklung an sehr kurzer Leine verfolgen wird."

Dem Vernehmen nach fehlen nach wie vor Planungsunterlagen für den Weiterbau der Entrauchungsanlage im Terminal. Deshalb hätten die Bauarbeiten auch nicht wie geplant Mitte November in vollem Umfang wiederaufgenommen werden können.

Laut Bundesverkehrsministerium hatte Flughafenchef Schwarz bei einer Besprechung im Dezember gesagt, dass der Kostenrahmen des Gesamtprojekts eingehalten werden könne. Bei einem Ortstermin ebenfalls im Dezember am Airport habe das Management auf Probleme der Brandschutzanlage hingewiesen. Dafür seien weitere Tests nötig, von deren Erfolg dann auch die Terminfrage abhängig sei.

Auswirkungen noch nicht absehbar


Die Auswirkungen auf den Flugbetrieb und für die Passagiere sind vorerst ungewiss. Air Berlin und die Lufthansa als größte Kunden des Flughafens äußerten sich zunächst nicht. "Wir haben noch keine offizielle Information bekommen", sagte ein Lufthansa-Sprecher auf Anfrage am Montag. Wegen der abermaligen Verschiebung müssen die beiden bestehenden Flughäfen Tegel und Schönefeld noch länger als Übergangslösung genutzt werden. Vor allem der größte Standort Tegel arbeitet bereits an der Grenze seiner Kapazität.

Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) kritisierte die Informationspolitik. "Ich bin nicht nur fassungslos, sondern auch stinksauer. Es ist nicht hinnehmbar, dass ich als Aufsichtsratsmitglied von einem solchen Erdbeben am Sonntagabend aus den Medien erfahre", sagte Henkel der dpa. Als erste Berliner CDU- Politikerin forderte die Bundestagsabgeordnete Stefanie Vogelsang den Rücktritt Klaus Wowereits. Die CDU ist im Land Berlin der Koalitionspartner der SPD.

Auch die Grünen-Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, Ramona Pop, hält einen Rücktritt Wowereits für unausweichlich. Die Opposition will eine Sondersitzung des Parlaments beantragen, die Grünen kündigten einen Misstrauensantrag an. Der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Oliver Luksic, forderte Wowereit zum Rücktritt als Regierender Bürgermeister auf. Dies sei "nach diesem kompletten Versagen unvermeidlich, er bekommt das Flughafen-Chaos nicht in den Griff". SPD-Chef Sigmar Gabriel wies die Forderungen als unbegründet zurück. "Ich halte die Vorwürfe gegenüber Klaus Wowereit für absolut unberechtigt."
© dpa-AFX | Abb.: Günter Wicker / Flughafen Berlin Brandenburg | 07.01.2013 15:26

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Beitrag vom 08.01.2013 - 23:49 Uhr
@fbwlaie: Oh ja, der Skylink am Flughafen Wien. Auch da gabs nach Aufkündigung der Altverträge einen gut einjährigen Baustopp. Und einen Verzug von über 4 Jahre. Die Regresserwartung liegt dagegen im einstelligen Prozentbereich.

Das eigentliche Problem ist aber nicht der durchsetzbare Regress, sondern das Informationschaos nach dem Rückzug der federführenden Instanzen. Da fehlen dann nicht nur Leitungs- und Einbaupläne, sondern auf einen Schlag auch der Zugang zu den internen Projekt- und Organisationsabläufen, Zulieferplänen, bis hin zum tagesaktuellen Knowhow der Mitarbeiter etc etc. Das neue Projektteam rund um Norbert Steiner hat in Wien fast ein Jahr gebraucht, bis sie auch nur einigermaßen einen Überblick hatten, was wohin und wie's zusammengehört.

Das ist wie wenn Du den Chinesen eine halbfertige A320 samt einer Handvoll CDs vor die Tür stellst, und von denen verlangst, sie sollen die jetzt gefälligst fertig bauen. Ammans "Gruselstatement" ist wahrscheinlich noch untertrieben. Da wird schlicht nicht mehr gearbeitet, weil a) keiner mehr durchblickt und b) keiner für unabwägbare Folgeschäden verantwortlich sein will. Verständlicherweise.

Dass die in Wien das letztlich dennoch hinbekommen haben, liegt auch an der stillschweigenden Duldung der Baudefizite und Planungsfehler bei den betreffenden Firmen. Damit hat man sich in der Endphase letztlich deren Goodwill gekauft. Der Preis: 1 Mrd statt 270 Mio. Am BER läuft das ganze nur um eine Nummer größer, im Faktor 1:4

Noch ein Wort zu den hier und in anderen Threads heftig kritisierten Planungsfehlern: Die gab und gibt's natürlich, wie bei jedem Projekt dieser Größenordnung. Echt in die Hosen ging aber nicht die Planung, sondern deren Überwachung. Offenbar waren da Leute am Werk, die damit völlig überfordert waren. M.E. liegt die Verantwortung für das Desaster weniger bei den ausführenden Firmen als beim Bauträger, und damit bei den Eigentümern, der Stadt Berlin und dem Land Brandenburg. Dass Schwarz immer noch in seinem Sessel sitzt, hat freilich auch sachliche Gründe. Nimm den mit seiner historischen Projektkenntnis jetzt raus, dann ist das Chaos perfekt. Was jetzt gefragt ist, ist Goodwill von ALLEN Seiten. Wenn's brennt, muss erstmal gelöscht werden, die Ursachenforschung kann man nach "Brand aus" angehen, aber nicht mitten im Feuer, so wie man's jetzt am BER versucht.

Dieser Beitrag wurde am 09.01.2013 00:55 Uhr bearbeitet.
Beitrag vom 08.01.2013 - 23:10 Uhr
@bluedanube,

Du denkst an die Gewährleistung....
Da hält doch kaum einer den Kopf für irgendetwas hin, wenn nicht alles von ihm kommt!.
Wie sieht es mit der Beweissicherung aus? Ohne Beweise kann man den gekündigten Unternehmern nichts vorwerfen.

Das wird noch richtig spanned. Gibt es ähnliche Fälle?

Beitrag vom 08.01.2013 - 22:04 Uhr
Die Verantwortlichen vom BER haben die schlimmste Sünde begangen, die ein Bauträger überhaupt begehen kann, nämlich in der Abnahmephase den Generalunternehmer und die wichtigsten Consultingunternehmen zu kündigen. Wie die aus dem Schlamassel wieder rauskommen wollen, ist mir absolut schleierhaft. Das ist ungefähr so, wie wenn man einer vielleicht sogar besoffenen Cockpit-Crew mitten im Flug per Funk kündigt und ihr verbietet im Cockpit noch irgendwas anzurühren.

Vermutlich wird Herrn Amman und der neuen Projektleitung gar nichts anderes übrig bleiben, als das Terminal großflächig zu entkernen und neu zu bauen, und das kann Jahre dauern. The blessing in disguise: Dabei kann man auch gleich die veraltete Flächennutzung revidieren und Kapazitätsmängel korrigieren (Gepäckausgabe, Check-In Bereiche etc).

Dieser Beitrag wurde am 08.01.2013 22:53 Uhr bearbeitet.


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