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"Wir sollten das nicht machen" – Die Medien und der Absturz von MH17

Sky News
Sky News am 20.07.2014, © YouTube / Sky News

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BERLIN - Der Reporter wühlt vor laufender Kamera im Koffer eines Opfers. Colin Brazier hält eine rosa Tasche hoch, die wohl einem kleinen Mädchen gehört hat. Er findet im Koffer einen Schlüssel und eine Zahnbürste. Da merkt der Journalist, wie geschmacklos er sich verhält. "Wir sollten das eigentlich nicht machen", sagt er. Der britische Sender Sky News sendet die Szene vom Absturzort der Boeing in der Ostukraine live.

Im Internet bricht Empörung los. Der Sender muss zurückrudern und erklärt: "Colin hat sofort gemerkt, dass es unangemessen war und sagte das auch live in der Sendung. Colin und Sky News bitten sehr um Entschuldigung für den Anstoß, den das erregt hat."

Ein anderer Fall: Ein internationales Magazin warnt zu Beginn einer Reportage vor dem drastischen Inhalt. Dann folgen nicht nur fassungslose Anwohner von der Absturzstelle, sondern auch Aufnahmen von Leichen und Gliedmaßen, die zwischen einem zerschmetterten Flugzeugsitz hervorragen. Bis zu den grausigen Bildern sind es nur ein paar Klicks.

Flugzeugabstürze sind fast immer "big news". Auch die deutschen Medien berichten groß, aber ohne drastische Leichenbilder. Die Faktenlage: Die malaysische Maschine MH17 ist am Donnerstag mit 298 Menschen an Bord in einem Krisengebiet abgestürzt. Die USA verdächtigen die Aufständischen, sie mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen zu haben. Am Unglücksort herrscht Chaos, die ukrainische Regierung und die Separatisten weisen sich gegenseitig die Schuld zu.

Die Bilder der Katastrophe gehen um die Welt. Wie weit darf die Berichterstattung gehen? Wo liegt die Grenze zwischen dem Recht auf Information und Sensationsgier? "Es gibt ganz klare Regeln, wie mit solchen Katastrophen journalistisch umgegangen wird", stellt Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV) klar.

Leichen im Fernsehen? "Klipp und klar: nein." Die Trümmerteile seien aussagekräftig genug, sagt der DJV-Sprecher. Die Verantwortung sieht er bei Katastrophen-Berichterstattung auch in den Redaktionen, die das Material des Reporters auswerten. "Rangehen darf man schon, man darf nicht die Einsätze der Rettungskräfte behindern."

Arno Weyand vom Deutschen Presserat nennt die beiden aktuellen Fälle aus der internationalen Presse "Unmöglichkeiten". Er verweist auf den Pressekodex, der beispielsweise den Schutz der Persönlichkeit regelt. "Man kann nicht die Sachen eines Toten durchwühlen." Auch der Recherche bei Unglücken und Katastrophen sind Grenzen gesetzt.

Ob und wie Opfer gezeigt werden, wird immer wieder diskutiert: so beim Tsunami 2004, den Terroranschlägen 2001 oder dem Absturz der Concorde 2000. Bei der Frage, wie dicht Reporter an einen Tatort dürfen, sind deutsche Medien seit dem Geiseldrama von Gladbeck 1988 sensibel geworden. Einen Schwerverbrecher vor der Kamera zu interviewen so wie damals, das wird wohl nicht wieder passieren. "Da ist ein hohes Bewusstsein da für die Problematik", sagt Weyand vom Presserat.

Die Historikerin Uta Daniel, die sich viel mit Kriegsberichterstattung und Propaganda befasst hat, sieht bei der Berichterstattung über die MH17 ein Problem: Die eine Wahrheit gibt es nicht. Die Lage ist viel zu komplex für ein einfaches Bild. Für sie ist das ein ähnliches Problem wie beim Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. "Es wird immer undurchschaubarer", sagt die Professorin der Technischen Universität Braunschweig.

Wichtig ist für sie, dass Medien immer klar machen sollten, was es an gesichertem Wissen über den Absturz gibt und woher dieses kommt. Die deutsche Berichterstattung aus der Ostukraine findet sie im Großen und Ganzen "verantwortungsvoll".
© Caroline Bock, dpa | Abb.: YouTube / Sky News | 22.07.2014 07:50


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