Irkut MC-21
Älter als 7 Tage

Russische Flugzeugbauer wollen auf den Weltmarkt zurück

MOSKAU - Mit viel Pomp präsentiert Russland sein neuestes Flugzeugmodell, im Scheinwerferlicht rollt die Irkut MC-21 durch den Hangar. Als Ehrengast ist Regierungschef Dmitri Medwedew bei der Show vor wenigen Tagen in der sibirischen Großstadt Irkutsk dabei.

Die 21 steht bei der Maschine stolz für "21. Jahrhundert". Sie soll bei Leistung und Wirtschaftlichkeit mit den neuen Modellen Boeing  B737 MAX 200 und dem Airbus A320 Neo mithalten können. Das Flugzeug sei "schlicht das beste der Welt", jubelte das kremltreue Boulevardblatt "Komsomolskaja Prawda".

Irkut MS-21-300
Irkut MS-21-300, © UAC

Das Novum für Passagiere: Im breiten Mittelgang sollen tatsächlich zwei Fluggäste oder ein Gast und ein Getränketrolley aneinander vorbeipassen. Geplant sind zwei Flugzeugtypen, die je nach Bestuhlung 132 bis 211 Passagiere befördern können.

Nur geflogen ist der Prototyp der MC-21 noch nicht, das ist bis Jahresende geplant. 2018 sollen die ersten Maschinen ausgeliefert werden. Flugzeugbauer Irkut spricht von 175 Festbestellungen. Die meisten Maschinen - 50 Stück - habe die Staatslinie Aeroflot geordert.

Früher flogen sowjetische Passagierflugzeuge in aller Welt. Von der DDR bis China, von Angola bis Kuba - wer mit der Sowjetunion verbündet war, der kaufte auch Flieger mit den berühmten Firmennamen Tupolew, Iljuschin oder Jakowlew. Doch mit dem Ende der kommunistischen Supermacht vor 25 Jahren zerfiel auch ihr ziviler Flugzeugbau. Die westlichen Branchenriesen Boeing und Airbus teilten den Markt in Russland, im größten Land der Erde, unter sich auf.

Die Tupolew Tu-204, Erstflug 1989, war ein Kind des Übergangs von der Sowjetunion zu Russland. Sie sollte die alternden Tu-154 ersetzen, die Arbeitspferde der sowjetischen Luftfahrt. Doch die Nachfrage kam über wenige dutzend Stück nicht hinaus. Auch die Turboprop-Maschine An-140, entwickelt im Antonow-Werk in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, ist ein Nischenprodukt geblieben.

Nun will die einstige Konstrukteurs-Großmacht Russland nach mehreren erfolglosen Anläufen mit neuen Flugzeugen wieder auf den Weltmarkt, trotz Wirtschaftskrise und Rezession. Die größten Hoffnungen setzt Moskau auf den Mittelstreckenjet MC-21. Erstmals öffentlich präsentiert wurde der Flieger kurz vor dem St. Petersburger Wirtschaftsforum, bei dem sich Präsident Wladimir Putin wie jeden Sommer mit der Firmenelite aus dem In- und Ausland trifft.

Ein funktionierender Flugzeugbau hat für Russland strategische Bedeutung, um nicht völlig von den USA oder der EU abzuhängen. Deshalb sind immer wieder große Summen in die Weiter- und Neuentwicklung der Maschinen gesteckt worden.

Irkut MC-21 Kabine
Irkut MC-21 Kabine, © UAC

Erst mehr als 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion kam als erster Neubau der Suchoi SSJ-100 Superjet auf den Markt. Aeroflot, sonst Kunde bei Boeing und vor allem Airbus, fliegt 29 der Kurzstreckenjets mit 98 Sitzen. Im Ausland hat die irische Regionalfluglinie CityJet jüngst 15 Stück gekauft.

Doch auch der Superjet hat eine lange und schwierige Geschichte hinter sich. 2012 krachte eine Maschine in Indonesien gegen einen Vulkan, 45 Menschen starben. Zwar waren die Piloten schuld, doch es blieb ein schlechtes Image. Engpässe bei Produktion und Ersatzteilen hemmen den Verkauf des Superjets, der mit Maschinen von Embraer (Brasilien), Bombardier (Kanada) und dem kleinen Airbus A319 konkurrieren soll.

Ziel: Fünf Prozent Marktanteil


Nach Schätzungen von Boeing werden in den kommenden zwei Jahrzehnten 27.000 Mittelstreckenjets benötigt. Von diesem Markt hofft Russland, sich mit der neuen MC-21 etwa fünf Prozent zu sichern. Im Inland müssen russische Airlines ihre alten Tupolews oder Boeings 737 ersetzen. Aus dem Ausland haben angeblich Aserbaidschan, Iran, Ägypten und Kirgistan Interesse angemeldet.

Technisch scheinen die Konstrukteure viel richtig gemacht zu haben. Zu 40 Prozent besteht die MC-21 aus leichten Verbundstoffen. Die Betriebskosten sollen um 15 Prozent niedriger liegen als bei der Konkurrenz. Auch der Listenpreis um die 75 Millionen Euro liegt unter vergleichbaren Modellen von Boeing und Airbus.

Es bleiben die Strukturprobleme der russischen Flugzeugindustrie. In dem halboffenen Markt lässt der Staat die Flieger entwickeln und verkauft sie dann an staatlich kontrollierte Airlines, Behörden und das Militär. "Die MC-21 ist ein sehr politisches Projekt", schreibt das britische Fachportal Flightglobal.com.

Die Produktionskapazität ist gering. 72 Jets im Jahr will Irkut zu Spitzenzeiten bauen. So viele kleine Flieger produzieren Airbus oder Boeing in knapp zwei Monaten. Außerdem fehlen den Russen noch die weltumspannende Präsenz, die problemlose Ersatzteillogistik, die kompletten Flugzeugfamilien, um wirklich konkurrieren zu können.

Lesen Sie zu diesem Thema auch unseren Beitrag "Irkut präsentiert erste MC-21-300" vom 08. Juni 2016

© aero.de, dpa-AFX | Abb.: UAC | 18.06.2016 10:15

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Beitrag vom 19.06.2016 - 17:35 Uhr
@runway: Die Boeing-Prognose bezieht sich nicht nur auf Russland sondern auf die gesamte CIS. Aeroflots Marktanteil im Jahr 2014 betrug 30 Prozent (Russland), bei einem Gesamtaufkommen (alle AL) von 110m Px, 82 Prozent davon flogen mit russischen Airlines. Umgerechnet auf mittelgroßes SA-Gerät entspricht das in etwa der Kapazität von 400 Maschinen, bzw rund 330 Maschinen mit russischer Reg.

Mittelfristig rechnen die Russen mit einem Wachstum (CAGR) von 6,1 Prozent (nach 11 Prozent in den letzten 5 Jahren !!!). bzw mit einer Verdopplung des Aufkommens bis 2025. Angenommen die Nachfrage flacht sich weiter ab, ergibt das bis 2034 eine inländische Flottengröße von rund 1.000 Flugzeugen, Wenn man die CIS mit einrechnet, sind die 1.140 Einheiten der Boeing CMO also durchaus nachvollziehbar.

Da gibt es also durchaus einen substantiellen Heimatmarkt um die MS21 auf eine wirtschaftliche Größe hochzufahren. Für sich allein wird der freilich nicht reichen. Ich denke, die angepeilten 1.500 Einheiten sind aber schon deshalb realistisch, weil wie User Y-Pax oben schon vorgerechnet hat, weder Airbus noch Boeing den Gesamtbedarf allein abdecken können. Rein rechnerisch ergeben die von der UAC angepeilten 1.500 Einheiten linear über 18 Jahre gerechnet eine Fertigungsrate von 7 Maschinen im Monat, von denen sie vielleicht ein Drittel zuhause (im GIS-Umfeld) absetzen können. Die 7 A/C pro Monat wird die UAC freilich erreichen müssen, um wirtschaftlich produzieren zu können. Heißt zwei Drittel werden sie am Weltmarkt unterbringen müssen, da führt kein Weg vorbei, so hart er auch sein mag.

Ähnliches gilt auch für den SSJ beziehungsweise das chinesische Projekt, wenngleich die Nachbarn sich auf einen ungleich größeren Heimatmarkt verlassen können. Und wie Y-Pax schon hinwies, Bombardier und Embraer sind auch noch da, gut möglich freilich, dass die mittelfristig absorbiert werden, am ehesten wohl von den Chinesen.

Beitrag vom 19.06.2016 - 14:44 Uhr
Mal von den technischen Werten abgesehen, bei der Prognose:
"Boeing sieht bis 2034 weltweit einen Bedarf von 30.630 SA-Mittelstreckenmaschinen"
würde es auf 18 Jahre verteilt jedes Jahr rund 1700 neue Mittelstrecken Jets bedeuten oder von jetzt an Monat für Monat 141 Flieger von Airbus und Boeing zusammen.

Wie hoch ist da die aktuelle monatlich Produktionsrate der Beiden zusammen doch nochmal genau?

"Bisher stellt Airbus rund 42 Maschinen des Typs A320 pro Monat her. Ab dem ersten Quartal 2017 soll die Produktion dann auf 50 Flugzeuge steigen, Mitte 2019 dann auf 60 Maschinen pro Monat. Airbus-Finanzchef Harald Wilhelm deutete sogar an, dass der Flugzeugbauer die Möglichkeit hätte, 2020 die Produktion noch weiter zu erhöhen – auf 63 Maschinen monatlich. US-Rivale Boeing wiederum will ab 2018 monatlich 52 Mittelstreckenjets des Typs 737 statt wie bisher 42 bauen. Auch er denkt darüber nach, die Produktion noch weiter zu erhöhen."
 http://www.welt.de/wirtschaft/article148230487/Airbus-plant-Rekord-Produktion-des-A320.html

Von den 140 monatlich neuzubauenden Maschinen sind diese Produktionszahlen noch sehrweit entfernt. Ab 2019 werden rund 115 monatlich gebaut werden können.
Das bedeutet es gibt bislang nicht einmal genug Produktionskapazität, also wird es später noch höhere monatliche Produktionsraten brauchen um den Durchschnitt von monatlichen 140 Maschinen einzuhalten.

Wie hoch können den Airbus und Boeing die Produktion innerhalb der 18 Jahre hochfahren, 300 A320NEO und B737max im Jahr 2030?

Am Ende werden die Chinesen, Russen, Bombadiere, Embarer... schon aus Lieferengpass bei Airbus und Boeing "gebraucht" um den Bedarf zu decken.

Dieser Beitrag wurde am 19.06.2016 14:46 Uhr bearbeitet.
Beitrag vom 19.06.2016 - 13:40 Uhr
@Runway: Boeing sieht bis 2034 weltweit einen Bedarf von 30.630 SA-Mittelstreckenmaschinen (Quelle Boeing CMO Stand 2015). Davon wollen die Russen sich einen Anteil von fünf Prozent sichern, macht in 18 Jahren rund 1.500 Einheiten, bei einem prognostizierten Eigenbedarf (CIS) von 1.140 Maschinen.

Mit Prognosen ist das so eine Sache. Für Russland überrascht mich die Prognose mit 1140 Maschinen schon ein wenig. Aeroflot als größte Airline hat derzeit gerade mal 129 SA-Flugzeuge in Betrieb. Auf die anderen Russischen Airlines wird sicher politischer Druck ausgeübt MS-21 zu kaufen aber diese Zahl erscheint mir trotzdem zu hoch.

Auf Wikipedia sind gerade mal 146 Bestellungen aufgeführt:

 https://de.wikipedia.org/wiki/Irkut_MS-21#Bestellungen

Die meisten davon von Leasinggesellschaften die teilweise von sehr zweifelhaften Wert (Creacom) sind. Das ganze obwohl schon seit Jahren in der Entwicklung. Auch bei den 360
für das Ausland kann ich meine Skepsis nicht verhehlen. Wo sollen die herkommen? Der ehemalige Ostblock hat doch auch längst umgeschwenkt auf Boeing/Airbus.


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