Trauer und Frust
Älter als 7 Tage

Unglück von Flug Air France 447 jährt sich zum ersten Mal

AF447
Leitwerk des verunglückten Air France A330-200 F-GZCP, © FAB

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PARIS - Die Schreckensnachrichten für die Angehörigen kamen quälend langsam. Als am 1. Juni vor einem Jahr die ersten Hinweise auf das Verschwinden einer Air-France-Maschine die Runde machten, konnten Verwandte und Freunde der Menschen an Bord noch auf eine Entführung oder eine Notlandung hoffen. Dann wurden Trümmer gesichtet, es war allerdings nicht klar, ob sie von dem vermissten Airbus A330-200 stammten.

Erst fünf Tage später fanden die Suchteams die ersten Leichen. Damit setzte sich die traurige Gewissheit durch, dass die Maschine mehr als 1.000 Kilometer vor der brasilianischen Küste ins Meer gestürzt war. 228 Menschen, unter ihnen 28 Deutsche, starben. Viele Hinterbliebene sind weit davon entfernt, mit der Tragödie abzuschließen. Lediglich 51 Opfer wurden geborgen - nur ein kleiner Teil der Angehörigen konnte an einem Grab Abschied nehmen.

Die automatisch gefunkten Meldungen des Flugzeugs und die aus dem Atlantik gefischten Wrackteile reichen bis heute nicht aus, die Ursache des Absturzes zu klären. Für einen zweistelligen Millionenbetrag wurde mehrmals mit Hightech-Geräten nach dem Wrack und den Flugschreibern gesucht - zuletzt von Ende März bis zum 24. Mai. Einen Erfolg gab es jedoch nicht zu verkünden.

"Da ist eindeutig ein ganzer großer Frust", sagt Bernd Gans von der deutschen Hinterbliebenenvereinigung HIOP AF447. "Wir haben den Eindruck, dass die französischen Behörden das Unglück gar nicht ganz aufklären wollen." Gans und seine Frau, die aus dem oberbayerischen Vaterstetten kommen, haben ihre 31 Jahre alte Tochter bei der Katastrophe verloren. Ines hatte ihren Bruder in Rio de Janeiro besucht.

Für Air France und den Flugzeugbauer Airbus sind die Vorwürfe haltlos. Sie zeigten sich von der ergebnislosen Wracksuche ebenfalls enttäuscht. Beiden Unternehmen wurde mehrfach eine Mitschuld an der Katastrophe vorgeworfen. Sie hofften, dass die Aufklärung des Absturzes sie entlasten würde. Klar ist derzeit aber nur, dass mitten in einer Unwetterfront mehrere Geräte und der Autopilot ausfielen.

Pannen bei bisherigen Suchaktionen

Der zunächst lange diskutierte Ausfall der Pitot-Sonden zur Geschwindigkeitsmessung hat nach bisherigen Erkenntnissen nicht allein zu der Katastrophe geführt. "Der Unfall ist nicht nach der vereinfachenden Sicht der ersten Tage abgelaufen", kommentierten die Ermittler des Amts für Unfallanalysen BEA.

Was die Flugunfallermittler eventuell doch noch zu einer neuen Suche bewegen könnte, sind Signale, die kurz nach dem Absturz von einem französischen Atom-U-Boot empfangen wurden. Das Militär geht davon aus, dass sie von den Flugschreibern stammen. Pannen und Missverständnisse sollen allerdings dazu geführt haben, dass bislang nicht an der richtigen Stelle gesucht wurde. In ein bis zwei Monaten werde eine Bilanz zur Suche in dem zerklüfteten Seegebiet vorgelegt, erklärte zuletzt Ermittlerchef Jean-Paul Troadec.

Wie die Entscheidung über eine neue Suche auch ausfällt: Die Aufarbeitung der Katastrophe in der Nacht zum Pfingstmontag wird weitergehen. Etliche Hinterbliebene wollen die Schuldfrage juristisch klären lassen. Und auch das Thema Schadenersatzansprüche ist noch lange nicht durch. Air France hat den deutschen Angehörigen bislang 25.000 bis 30.000 Euro angeboten. In Brasilien erging allerdings bereits ein Urteil, nach dem die französische Fluggesellschaft 2,04 Millionen Reais (900.000 Euro) an die Familie eines brasilianischen Opfers zahlen soll. Streit ist programmiert.

"Es kann nicht sein, dass es so große Unterschiede gibt. Die Hinterbliebenen haben alle dasselbe Schicksal erlitten", sagt der Berliner Opferanwalt und Luftrechtexperte Elmar Giemulla. Die Verhandlungen seien allerdings schwierig, da für die Art und die Höhe der Schadenersatzansprüche nationales Recht maßgeblich sei. Die deutschen Angehörigen könnten beispielsweise nur in ihrer Heimat oder in Frankreich ihre Ansprüche einklagen, wo üblicherweise weniger Geld zugesprochen wird als in den USA oder in Brasilien. Das weiß auch Air France und hat auf dieser Grundlage ihr Angebot gemacht.

Theoretisch könnte die Fluggesellschaft sogar den Versuch wagen, in einem Prozess ihre Unschuld am Unglück nachzuweisen, um ihre Haftung zu begrenzen. Dieser Schritt gilt angesichts der ungewissen Erfolgsaussichten allerdings als unwahrscheinlich. Die Versicherer gehen bereits davon aus, dass der Absturz einer der teuersten der Geschichte wird. Die Branche rechnet mit Kosten in Höhe von mehr als 600 Millionen Euro.

Ärger droht letztendlich auch dem französischen Staat. Die deutsche Angehörigenvereinigung hat bei der EU-Kommission beantragt, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich einzuleiten. Sie wirft den Franzosen vor, eine EU-Richtlinie zu meldepflichtigen Ereignissen in der Luftfahrt aus dem Jahr 2003 nicht ordnungsgemäß umgesetzt zu haben. Dies soll wiederum dazu geführt haben, dass frühere Ausfälle von Geschwindigkeitsmessern an Air France-Maschinen nicht näher untersucht wurden.

Denkmal für die Opfer von Flug AF447


An diesem Dienstag wollen sich viele Angehörige auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise zu einer Trauerfeier versammeln - ohne jeden Medienrummel. Dabei soll ein Denkmal für die 228 getöteten Passagiere enthüllt werden. "Es gibt aber auch Familien, die sind einfach noch nicht in der Lage, so etwas mitzumachen", erzählt Bernd Gans. Für ihn sei es hingegen selbstverständlich, nach Frankreich zu reisen. "Unsere Tochter hat vier Jahre in Paris studiert. Sie war glücklich dort."
© dpa, aero.de | Abb.: FAB | 01.06.2010 08:33


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