Flug 4U-753
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Germanwings-Zwischenfall: Gekürze Fassung des BFU-Zwischenberichts

Germanwings Airbus A319
Germanwings Airbus A319, © Germanwings

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BRAUNSCHWEIG - Bei der Lufthansa-Tochter Germanwings hat es einen möglicherweise gefährlichen Zwischenfall mit Gasen im Cockpit gegeben. Wie die die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) berichtet, habe sich der Notfall bereits am 19. Dezember 2010 ereignete. Die beiden Piloten hätten beim Landeanflug auf Köln/Bonn beinahe das Bewusstsein verloren, nachdem Gase im Cockpit ausgeströmt seien, welche offenbar von der vorherigen Enteisung des Flugzeugs stammten.

Nach Medienberichten von "Die Welt" und "NDR Info" soll Germanwings der BFU zunächst wichtige Informationen über Flug 4U-753 vorenthalten haben. Erst nachdem die Behörde Ende 2011 weitere Informationen erhalten hatte, nahm sie die Untersuchung auf. Inzwischen liegt ein Zwischenbericht vor. Germanwings-Sprecher Heinz-Joachim Schöttes wurde mit der Aussage zitiert, der Copilot habe sich lediglich "unwohl" gefühlt. Der Kapitän sei nicht schwer beeinträchtigt gewesen und habe "nach dem Zwischenfall seine Arbeit weitergeführt". An Bord befanden sich 144 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder.

Auszug aus dem BFU-Bericht

Am 19. Dezember 2010 befand sich der Airbus A319 aus Wien kommend im Anflug auf den Verkehrsflughafen Köln. Während des Eindrehens auf den Queranflug nahmen beide Piloten einen außergewöhnlichen Geruch wahr. Kurze Zeit später - beim Eindrehen auf die Anfluggrundlinie - bemerkten beide Flugzeugführer eine deutliche Beeinträchtigung ihres körperlichen und kognitiven Leistungsvermögens. Sie setzten ihre Sauerstoffmasken auf und erklärten Luftnotlage. Der Flugkapitän vermochte dennoch das Flugzeug sicher zu landen. Der Copilot war nicht mehr in der Verfassung gewesen, seiner Funktion im Cockpit uneingeschränkt nachzukommen. Beide Flugzeugführer begaben sich nach der Landung umgehend in medizinische Behandlung.

Ereignisse und Flugverlauf im Detail

Die Cockpit-Besatzung begann mittags 13:25 Uhr ausgeruht ihren Dienstantritt am Verkehrsflughafen Köln. Der erste Flugabschnitt ihres Tagesumlaufs sollte nach Wien führen. Im weiteren Verlauf sollte die Besatzung laut Plan nach Köln zurückkehren, um dann einen weiteren Flug nach Mailand (Italien) und zurück durchzuführen. Der Wetterbericht für den Tag ließ schwere Schneefälle in Köln erwarten. Als dann der Flughafen infolge des anhaltenden starken Schneefalls geschlossen wurde, war der Besatzung bewusst, dass ihr Tagesumlauf wahrscheinlich nicht mehr wie geplant durchgeführt werden konnte.

Nach etwa drei Stunden Wartezeit in Wien zeichnete sich ein Nachlassen des Schneefalls in Köln ab und als das Flugzeug eine Flugdurchführungsfreigabe (Slot) für etwa 50 Minuten später erhielt, wurde unverzüglich mit dem Einsteigen begonnen. Auf Grund einer zügigen Enteisung bei laufenden Triebwerken auf der dafür vorgesehen Haltefläche und eines nachfolgenden kurzen Rollweges konnte das Flugzeug den Flughafen um 20:12 Uhr in der letzten Minute des zugewiesenen Slots verlassen. Der Flug nach Köln verlief zunächst ereignislos. Der Flugkapitän (CM1) war auf diesem Flugabschnitt der steuernde Pilot (PF). Zu diesem Zeitpunkt war es beiden Flugzeugführern bewusst, dass sie aufgrund der Verspätung von nunmehr vier Stunden nicht mehr nach Mailand fliegen würden.

Der Anflug auf den Zielflughafen verlief fast vollständig als kontinuierlicher Sinkflug (continuous descent) und beide Piloten beschrieben die Arbeitsatmosphäre als professionell. Sie wurden vom Radarlotsen mit Kursvorgabe an das Instrumentenlandesystem (ILS) der Landebahn 14L herangeführt. In einer Höhe von 3 000 Fuß AMSL und beim Eindrehen auf den linken Queranflug nahmen beide Piloten zum ersten Mal einen seltsamen, stark ausgeprägten, unangenehmen Geruch wahr - eine Mischung aus verbrannt und elektrisch Riechendem.

Während des nachfolgenden Eindrehens auf die Landekurssender (localizer) sagte der Copilot (CM2), dass ihm "kotzübel" sei und er beabsichtige die Sauerstoffmaske aufzusetzen. Er hatte den intensiven Geruch als "elektrisch-süßlich" wahrgenommen, der sich beim Einatmen "dicht" anfühlte. Als sich seine Arme und Beine taub anzufühlen begannen und er den Eindruck hatte, nicht mehr klar denken zu können, griff er zur Sauerstoffmaske, die er beim zweiten Versuch erfolgreich überstülpte.

Dadurch alarmiert und sich selbst beobachtend verspürte der CM1 urplötzlich ein starkes Kribbeln in Händen und Füßen. Gleichzeitig bemerkte er, wie ihm "im wahrsten Sinne des Wortes die Sinne schwanden." Sein Gesichtsfeld schränkte sich nahezu schlagartig ein (Tunnelblick) und er verspürte ein starkes Schwindelgefühl. Auch er griff nach seiner Sauerstoffmaske - ein Verfahren, das von den Cockpitbesatzungen regelmäßig im Simulator geübt wird.

Mittlerweile war das Flugzeug auf dem Localizer ausgerichtet, befand sich ungefähr 12 nautische Meilen (NM) auf dem Endanflug mit einer im Autopiloten vorgewählten Geschwindigkeit von 220 Knoten. Der Kapitän erteilte die Anweisung an den assistierenden Piloten (PNF), den Anfluglotsen darüber zu informieren, dass sie auf die Turmfrequenz wechseln wollen und er solle beim Turmlotsen dann Luftnotlage (mayday) erklären, was der Copilot auch tat. Der CM1 flog das Flugzeug manuell.

Der Copilot hatte zu diesem Zeitpunkt Schwierigkeiten, den Ablauf in einem Gesamtbild zu erfassen. Er konnte sich nur noch mit Mühe auf einzelne Aspekte des ablaufenden Geschehens konzentrieren und spürte, dass er die anfallenden Informationen nicht mehr verarbeiten konnte. Auch der Kapitän war am Ende seiner Leistungsfähigkeit angekommen.

Nachdem beide Piloten das Flugzeug in die Landekonfiguration gebracht hatten, musste die noch zu hohe Geschwindigkeit bis zum Aufsetzen weiter reduziert werden. Da sich der Flugkapitän weder physisch noch psychisch in der Lage fühlte, ein Durchstartmanöver zu fliegen, teilte er dem Copiloten mit, dass er das so genannte 1 000 Fuß-Tor (safety gate), bei dem zum Fortsetzen des Anfluges alle notwendigen Parameter für die Landung erreicht sein müssen, außer Kraft setze – für ihn käme nur noch eine sofortige Landung in Frage.

Das Flugzeug setzte um 21:34 Uhr deutlich spürbar auf der Landebahn auf und begann automatisch zu bremsen (autobrake medium). Beim Erreichen einer Geschwindigkeit von ungefähr 40 Knoten begann der CM1, mit den Füßen zu bremsen und konnte über den Abrollweg A3 die Piste verlassen. Die durchzuführenden Schaltungen sowie das Einfahren der Klappen (after landings items) nach der Landung hatten beide Piloten vergessen.

Kurz vor dem Erreichen der Parkposition fiel dem Copiloten auf, dass die After Landing Items noch nicht ausgeführt waren, was er nun nachholte. Nach dem Setzen der Parkbremse (Block On: 21:40 Uhr) bemerkten beide, dass die Hilfsturbine (APU) noch nicht gestartet worden war – auch das wurde nun nachgeholt. Der Copilot wollte sein Fenster öffnen, wofür er drei Versuche benötigte. Erst nach dem Öffnen nahm er die Sauerstoffmaske ab und registrierte wieder den beißenden Geruch, worauf er die Maske sofort wieder aufsetzte.

Das gesamte Geschehen wurde nach Angaben der BFU in der Flugzeugkabine nicht registriert.
© aero.de mit BFU, dpa | 28.09.2012 08:27

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Beitrag vom 03.10.2012 - 18:25 Uhr
Zwei Helden, diese Jungs!

In so einer Situation noch einmal alles aus sich rauszuholen und die Kiste irgendwie runterzubringen und Menschenleben zu retten, ist schon eine Meisterleistung! Hoffe sehr, die beiden sind inzwischen wieder 100% wohlauf und können ihrer Leidenschaft wieder voll konzentriert und rehabilitiert nachgehen.

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