Karriereknick im Cockpit
Älter als 7 Tage

"Ich fürchte, dass einige Piloten verglühen"

Lufthansa Crew
Lufthansa Crew, © Lufthansa

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FRANKFURT - Dem Himmelssturm folgt der Karriereknick. In der Corona-Krise stehen tausende Piloten vor einer ungewissen beruflichen Zukunft. Ins Cockpit werden nicht alle zurückkehren. Die Bundesarbeitsagentur stellt sich auf einen erhöhten Beratungs- und Neuvermittlungsbedarf ein.

"Meinem Vermieter oder meiner Bank ist es egal, ob ich Pilot bin": nach 16 Berufsjahren steht der Pilot der insolventen Luftfahrtgesellschaft Walter fast schon mit dem Rücken zu Wand. Mit der Corona-Krise sind im einstigen Dauer-Wachstumsmarkt Luftverkehr auf einen Schlag tausende Kapitäne und Co-Piloten vor existenzielle Fragen gestellt.

Die europäische Pilotenvereinigung EPA schätzt, dass von den rund 65.000 Kräften auf dem Kontinent rund 18.000 dauerhaft ihren Job verlieren. Allein bei der deutschen Lufthansa sollen im kommenden Jahr bis zu 1.200 von rund 5.500 Kollegen gehen, schätzt die Vereinigung Cockpit. Statt Spitzengehältern droht manchen die Arbeitslosigkeit.

Die Cockpit-Mannschaften der Airlines sind durchaus heterogen: Da gibt es Voll-Akademiker, die noch andere Stellen innehaben, Piloten im Management aber auch Kollegen, die nach ihrer zweijährigen Ausbildung davon ausgegangen waren, dass Pilot eine Lebensstellung sei.

Vor allem bei dieser Gruppe ist guter Rat teuer, weiß der Luftverkehrsexperte der Arbeitsagentur am Flughafen Frankfurt, Holger Bausch. "Die meisten sorgen sich erst einmal um die Aufrechterhaltung ihrer Lizenz und schauen, was weltweit möglich ist. Aber ein Jobwechsel nach China, in die Golfstaaten oder nach Südamerika ist derzeit wegen der Pandemie nahezu unmöglich."

Erhard Walther, Chef und Gründer der Hamburger Beratungsgesellschaft Interpersonal, glaubt nicht, dass alle wieder unterkommen. "Ich fürchte, dass einige Piloten verglühen. Es ist sehr aufwendig, Lizenz und medizinische Voraussetzungen aufrecht zu erhalten. Für ältere Kollegen wird sich das vielleicht auch gar nicht mehr rechnen. Jüngere, die vielleicht auch eine Familie versorgen müssen, werden in andere Berufe wechseln."

Der Betreiber der Job-Börse career.aero für fliegerisches Fachpersonal sieht zudem ein klassisches Betätigungsfeld für Ex-Piloten derzeit versperrt: "Die Flughäfen und Zulieferer haben im Moment selbst zu große Mannschaften an Bord."

Die Lufthansa-Pilotin Leila Belaasri weist auf Probleme mit der Verkehrspilotenlizenz ATPL hin, die in Deutschland keinen anerkannten Berufsabschluss darstelle. "Diese Einstufung spiegelt das facettenreiche Kompetenzprofil eines Piloten nicht wider. Folglich ist es signifikant wichtig, die Unterstützung des Luftfahrtbundesamtes zu gewinnen, um die rechtlichen Voraussetzungen für eine bessere Anerkennung zu schaffen. Damit Kollegen leichter in andere Berufe quer einsteigen oder bei verwandten Studiengängen nicht ganz bei Null anfangen müssen."

Wolfgang Zschauer musste nach elf Pilotenjahren aus gesundheitlichen Gründen zurück an den Boden und hat seitdem vielfältige Berufserfahrungen gesammelt. Er sagt: "Piloten haben eine sehr breite technische Systemkompetenz in vielen verschiedenen Fachgebieten. Sie sind ingenieurnah qualifiziert und können sich extrem schnell in komplexe Systeme einarbeiten."

Außerdem seien Piloten sauberes Arbeiten nach vorgegebenen Standards gewohnt, wenn auch bei der x-ten Wiederholung Präzision und genaue Dokumentation gefordert werden. "Das sind insbesondere in Testlaboren oder bei Audits gefragte Fähigkeiten. Bedarf haben da viele Industriezweige wie Pharma, Chemie, Auto oder Maschinenbau."

Einsatzmöglichkeiten in "technischen Hochrisikofeldern"

In seinem aktuellen Beruf achtet Zschauer darauf, dass die komplexen Regeln der europäischen Luftsicherheitsbehörde EASA am Münchner Flughafen umgesetzt und eingehalten werden. Eine klassische Aufgabe für Ex-Piloten, findet er. "Wir wissen, wie wichtig Genauigkeit ist und können Vorfälle genau analysieren."

Arbeitsvermittler Bausch rät den Betroffenen zur Selbstanalyse: "Die Bewerber müssen im Einzelfall schauen, welche Teilgebiete ihres bisherigen Jobs sie ausbauen wollen. Das könnten beispielsweise Luftrecht, Technik oder auch die Meteorologie sein."

Interpersonal-Chef Walther sieht ebenfalls Möglichkeiten außerhalb der Fliegerei: "Grundsätzlich können Piloten mit ihren Kompetenzen auch gut in technischen Hochrisiko-Umfeldern eingesetzt werden, zum Beispiel in Kraftwerken. Das haben bislang noch zu wenige potenzielle Arbeitgeber erkannt."

Die Pilotin und Coachin Belaasri wirbt mit den Führungsqualitäten der Berufsgruppe: "Piloten sind Verantwortungs- und Entscheidungsträger, die in einem vorgegebenen Team mit gelebter psychologischer Sicherheit alle verfügbaren Ressourcen nutzen können. Dazu braucht es hohe kommunikative Fähigkeiten, um eine Atmosphäre von Offenheit und Vertrauen zu schaffen. Piloten haben eine ausgeprägte Lösungskompetenz für Probleme und Konflikte."
© dpa-AFX | Abb.: Lufthansa, CAE | 01.03.2021 07:48

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Beitrag vom 01.03.2021 - 17:23 Uhr
In 2-3 Jahren fliegen wieder genausoviele Passagiere wie 2019. Dafür wird man auch wieder Piloten brauchen.
Das kann ich mir nicht richtig vorstellen dass man dann die ganzen Jumbos und Superjumbos wieder aus der Wüste holt.
Viele alte Piloten wird es nicht mehr geben, da sie entweder aufgegeben haben, oder einen anderen Job (ausserhalb eines Linienflug-Cockpits) gefunden haben.
Oder die Firma den Schritt zum Schnitt gemacht hat. Verkleinerung oder Pleite, das werden wir noch ein paarmal erleben.
Und die Jungen - die dann nachkommen, werden nicht mehr jene Bedingingen finden, welche die "Alten" noch hatten.
Die können aber heute selber entscheiden ob sie nachkommen oder ob sie es lassen wollen. Die Qual der Wahl sozusagen. Wenn die Bedingungen entsprechend "schlecht" sind, wird sich das schon von selbst einpendeln. Andere Branchen werden ebenfalls überdenken ob man geeignete Bewerber auch für weniger Gage ins Haus bekommt.
Denn dank "Never waste a good crises" haben die Fluggesellschaften zwischenweitlich die "guten alten Bedingungen" eliminiert.
Angeblich sind die bereits seit längeren Jahren nicht mehr so toll. Aber es wird weitere Kürzungen geben, das sehe ich genau so wie Sie.
Beitrag vom 01.03.2021 - 15:17 Uhr
In 2-3 Jahren fliegen wieder genausoviele Passagiere wie 2019. Dafür wird man auch wieder Piloten brauchen.
Viele alte Piloten wird es nicht mehr geben, da sie entweder aufgegeben haben, oder einen anderen Job (ausserhalb eines Linienflug-Cockpits) gefunden haben.
Und die Jungen - die dann nachkommen, werden nicht mehr jene Bedingingen finden, welche die "Alten" noch hatten.
Denn dank "Never waste a good crises" haben die Fluggesellschaften zwischenweitlich die "guten alten Bedingungen" eliminiert.

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Beitrag vom 01.03.2021 - 14:41 Uhr
Die Fliegerei wird sich fundamental wandeln. Weg von den Traum-Gehältern (in der Kabine bereits Realität) und hin zu spürbar schlechteren (Einsatz-)Bedingungen.
Was aber ziemlich wenig damit zu tun hat dass Menschen LCC Tickets kaufen.


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