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Alles ist möglich

FRANKFURT - Falls es noch eines Beweises bedurfte, dass doch Wahlkampf ist, haben Lufthansa und Air Berlin ihn in dieser Woche erbracht. Lufthansa steuert im Eiltempo auf eine weitgehende Übernahme ihres insolventen Konkurrenten zu. Ein Kommentar von Lisa Schmelzer von der "Börsen-Zeitung".

In Zeiten des Wahlkampfs ist alles möglich. Da wird aus einem Insolvenzverfahren, das eigentlich die Sanierung eines Unternehmens zum Ziel hat, ein Basar, der nur dem Feilschen und Verkaufen dient.

Da werden aus Ministern, die um Neutralität bemüht sein sollten, Lobbyisten im - selbstverständlich ehrenamtlichen - Dienste der Lufthansa. Da werden aus Gläubigern, sonst in Insolvenzverfahren stark involviert, Randfiguren. Und da werden aus Wettbewerbshütern, die Einwand erheben, Spielverderber.

Insofern war der Zeitpunkt für die Air-Berlin-Insolvenz gut gewählt, denn in Zeiten des Wahlkampfes ist tatsächlich alles möglich.

Air Berlin A330-200
Air Berlin A330-200, © Günter Wicker / Flughafen Berlin Brandenburg

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt wünscht sich einen "deutschen Champion" im Luftverkehr. Den wird er bekommen. Ob es am Ende tatsächlich die beste Lösung ist, wenn Air Berlin mehr oder weniger komplett bei Lufthansa landet, sei dahingestellt. Wer denkt, damit könnten möglichst viele Arbeitsplätze gerettet werden, irrt, denn zunächst verlieren alle Mitarbeiter ihren Job und können sich dann neu bewerben. Mit offenem Ausgang.

Ob die Lufthansa, heute schon der "deutsche Champion", durch das Verschwinden von Air Berlin und eine Aufnahme eines Großteils der Flotte des Konkurrenten tatsächlich gestärkt wird, muss sich erst noch zeigen. Denn die Integration von 80 oder mehr Flugzeugen ist ein Kraftakt, den es zu stemmen gilt.

Die Tochter Eurowings, bei der die meisten Flugzeuge landen sollen, ist schon heute ein Gemischtwarenladen, der alles in allem noch zu hohe Kosten hat, um tatsächlich konkurrenzfähig zu sein.

Und die Konkurrenz wird nicht ruhen, nur weil der Marktführer größer geworden ist. Deutschland ist im Vergleich zu anderen Märkten noch relativ wenig von Billigfluganbietern durchdrungen, Ryanair und Easyjet haben mit ihrer Expansion gerade erst angefangen. Auch Easyjet kann sich Hoffnung auf ein Stück Air Berlin machen und hat dann mehr Schlagkraft.

Ryanair ist jahrelang vom deutschen Steuerzahler alimentiert worden, die Iren wurden mit Vergünstigungen an landeseigene regionale Flughäfen gelockt. Das muss man im Hinterkopf haben, wenn man die Klage gegen die Kreditbürgschaft des Bundes für Air Berlin beurteilen will.

Mit seiner Einschätzung, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wenn sich die Nummer 1 und die Nummer 2 am Markt einfach so zusammentun können, liegt Ryanair-Chef Michael O'Leary aber richtig. Was er vielleicht vergessen hat: Es ist Wahlkampf.
© Börsen-Zeitung, OTS, aero.de | Abb.: Andreas Wiese, DUS | 20.08.2017 11:02

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Beitrag vom 21.08.2017 - 09:06 Uhr
Liebe Redaktion,
die Börsenzeitung strotzt auch nicht gerade vor Fachkompetenz...

Wer soll bitte AB komplett sanieren?
Wenn man das wollte, müssten auch radikale Veränderungen kommen, die massive Veränderungen auf allen Ebenen bedeuten würden.
3 Mllionen € Verlust pro Tag... Wer will da Geld investieren, um die Airline wieder gesund zu bekommen? Etwas das über Jahre niemand geschafft hat.

Natürlich ist Wahlkampf, aber die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Sicherung von bezahlten Flügen für eine gewissen Zeit ist gut angelegtes Geld.
Alles andeee wäre ein schlimmes Chaos geworden. Speziell wenn man Banken und anderen Staaten immer mehr Geld gibt.

Davon abgesehen, wenn sich mit fliegen nur noch nach der Methode Ryanair mit seinen dubiosen Beschäftigungsverhältnisen und Geschäftspraktiken Geld verdienen lässt, läuft einiges falsch.

Und zu behaupten, dass sich jetzt eh alle Mitarbeiter auf der Straße befinden und bewerben müssen, zeigt, dass der Autor keine Ahnung hat.

Sollten LH und EasyJet große Teile von AB übernehmen, sind sie auf das sehr gute Personal von AB angewiesen, damit sie die Flugzeuge auch fliegen können. Das Personal wird also bei LH und Easy heiß begehrt sein.

Ich finde es auch schade, dass AB verschwindet, aber ohne Etihad wäre das schon vor Jahren passiert.

Das Angebot von Inteo Aviation ist doch auch nur Show. Die haben doch selbst bei der kleinen Intersky den anfänglich guten Sanierungsmurs mit dem Kauf von ATR 72 torpediert und damit der Intersky den Todesstoß versetzt. Außerdem ist deren Prinzip nur billig kaufen und teuer verkaufen.
Wer will denn ernsthaft die ganze AB sanieren?

Ein Insolvenzverfahren kann auch mangels Masse eingestellt werden oder wenn eine Sanierung nicht möglich ist, auch in Zerschlagung enden, um noch das Beste rauszuholen.

Dass der Wahlkampf eine Rolle spielt ist klar. Nur dass bei Holzmann damals etwas anderes versprochen wurde, nämlich die Rettung des Unternehmens. Das passiert hier eben nicht.
Beitrag vom 20.08.2017 - 18:21 Uhr
Man bedenke was wohl los wäre, wenn man Air Berlin einfach bankrott gehen liesse, ohne jegliche Unterstützung aus der Politik und wenn Lufthansa eine abwartende Haltung genommen hätte. Am Ende wäre es für Air Berlin oder die Mitarbeiter nicht viel anders ausgegangen als es jetzt vorgezeichnet ist, mit dem Unterschied der Ungewissheit. Der Konsument wäre der Hauptleidtragende. Aber auch jetzt noch funktionierende Betriebsteile und Partner wie Niki oder TUI mit ihren Leasingfliegern bei LH via Air Berlin könnten in Mitleidenschaft gezogen werden, wie auch viele Partner an den Flughäfen und manche Flughäfen selbst müssten mit chaotischen Zuständen und Geschäftseinbrüchen zurechtkommen, allen voran Berlin und Düsseldorf.

Auf der anderen Seite muß man jetzt genau in Erinnerung behalten, was versprochen wird und was davon in einem Jahr noch Bestand hat. Die Vergangenheit, sh. Holzmann, Fairchild Dornier lehrt anderes. Papier ist geduldig und "Talk is Cheap", nicht nur vor den Wahlen.
Beitrag vom 20.08.2017 - 14:37 Uhr
Ein paar Anmerkungen zu dem Kommentar der Börsenzeitung:

Da werden aus Gläubigern, sonst in Insolvenzverfahren stark involviert, Randfiguren. Und da werden aus Wettbewerbshütern, die Einwand erheben, Spielverderber.

Die Gläubiger werden auch hier stark involviert sein, aber hinter den Kulissen. Eine davon ist nun auch der Bund über die KfW. "Randfigur" entspricht wohl eher der aktuellen Medienperspektive.
Die relevanten Wettbewerbshüter (=Bundeskartellamt, ECA) haben bisher nur eine Prüfung angekündigt und dabei bestätigt, dass eine Übernahme noch nicht angemeldet worden sei:
 http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2017-08/air-berlin-lufthansa-uebernahme-monopolkommission-wettbewerb
Die Monopolkomission und andere Gremien und Experten, die hier wohl als "Spelverderber" in der aktuellen Diskussion gesehen werden, dürfen aber nicht mit den eigentlichen zuständigen Behörden verwechselt werden.

Wer denkt, damit könnten möglichst viele Arbeitsplätze gerettet werden, irrt, denn zunächst verlieren alle Mitarbeiter ihren Job und können sich dann neu bewerben. Mit offenem Ausgang.

Wieso ist es schon ausgemacht, dass alle Mitarbeiter ihren Job verlieren? Ein Insolvenzverfahren sollte als erstes das bestehende Geschäft als Ganzes oder in großen Teilen sanieren, inkl. der dafür erforderlichen Arbeitsplätze.

Die Tochter Eurowings, bei der die meisten Flugzeuge landen sollen, ist schon heute ein Gemischtwarenladen, der alles in allem noch zu hohe Kosten hat, um tatsächlich konkurrenzfähig zu sein.

Laut dem Finanzbericht ist die EW Group über das gesamte 1. Halbjahr bereits profitabel (Seite 15, Point-to-Point):  https://investor-relations.lufthansagroup.com/fileadmin/downloads/de/finanzberichte/zwischenberichte/LH-ZB-2017-2-d.pdf
In Anbetracht dessen kann es um die Wettbewebsfähigkeit nicht so schlecht stehen.

Ryanair ist jahrelang vom deutschen Steuerzahler alimentiert worden, die Iren wurden mit Vergünstigungen an landeseigene regionale Flughäfen gelockt. Das muss man im Hinterkopf haben, wenn man die Klage gegen die Kreditbürgschaft des Bundes für Air Berlin beurteilen will.

Das kann man so sehen, nur dass es sich dabei nicht um eine ausschließliche Lex-Ryanair handelt, sondern das jenes auch unter Eigeninitiative der Ryanair und unter Mangel desgleichen bzw. zu spätem Handeln der Konkurrenz so entstanden ist.






Dieser Beitrag wurde am 20.08.2017 14:41 Uhr bearbeitet.


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