Albtraum vom Fliegen
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Sexuelle Belästigung gegen Flugpersonal

FRANKFURT - Attraktiv und offen: so präsentieren Airlines gerne ihre Cabin Crew. Dass Einige dieses Bild falsch interpretieren und Grenzen überschreiten, zeigt die Umfrage der australischen Gewerkschaft TWU. Knapp zwei Drittel des befragten Flugpersonals wurden demnach Opfer sexueller Belästigung. Wie sieht es in Deutschland aus?

"In unserer Branche wird angenommen, dass Kabinenpersonal im Gegensatz zu Piloten frei verfügbar ist", zitiert die Umfrage der australischen Transportarbeitergewerkschaft TWU ein Crew Mitglied. "Frei verfügbar" ist hier durchaus doppeldeutig zu verstehen.

Aus der TWU-Umfrage zu sexueller Belästigung gegen Cabin Crew-Mitglieder - 65 Prozent der Befragten gaben an, betroffen zu sein
Aus der TWU-Umfrage zu sexueller Belästigung gegen Cabin Crew-Mitglieder - 65 Prozent der Befragten gaben an, betroffen zu sein, © TWU

Denn 65 Prozent der insgesamt 400 befragten Stewardessen und Stewards sind in ihrem Arbeitsumfeld bereits zu Opfern sexueller Belästigung geworden. "Wir werden jeden Tag an Leiste und Po betatscht, manchmal auf jedem einzelnen Flug", heißt es in einem anderen Zitat.

Die Urheber der Belästigung sind nach der Erfahrung der Befragten sowohl Passagiere als auch Kollegen. In der TWU-Umfrage ging die Belästigung bei drei von fünf Befragten von Passagieren aus, bei vier von fünf Befragten waren Kollegen die Aggressoren. Knapp 70 Prozent der Betroffenen, die ihr Geschlecht angegeben haben, waren Frauen, dreißig Prozent Männer.

"Einige Faktoren verschärfen das Problem (der sexuellen Belästigung, Red.) für Kabinenpersonal", sagt TWU-Präsident Michael Kaine. "Die hierarchische Natur ihres Arbeitsumfeldes, die Nachtschichten und Übernachtungen, die zum Job gehören und der strenge Dresscode, der ihr Erscheinungsbild bestimmt."

Aus der TWU-Umfrage zu sexueller Belästigung gegen Cabin Crew-Mitglieder - Urheber der Belästigung sind sowohl Kollegen als auch Passagiere
Aus der TWU-Umfrage zu sexueller Belästigung gegen Cabin Crew-Mitglieder - Urheber der Belästigung sind sowohl Kollegen als auch Passagiere, © TWU

Cockpits sind weltweit größtenteils männlich besetzt, Piloten stehen in der Hierarchie an Bord ganz oben. Finden sie die Ergebnisse der TWU-Studie überraschend?

"Ja und nein", sagt der Präsident der australischen Pilotengewerkschaft AFAP Simon Lutton gegenüber aero.de. "Sexuelle Belästigung gibt es in vielen Arbeitsumgebungen, die Luftfahrt ist da keine Ausnahme. Ihre Natur macht sie vielleicht anfälliger dafür."

Innerhalb der AFAP ist sie Lutton zufolge ein Thema, das sehr ernst genommen und von Fall zu Fall behandelt wird. Seine Gewerkschaft unterstütze jede Initiative, die sich gegen sexuelle Belästigung von Crew-Mitgliedern engagiert.

Qantas betont auf aero.de-Anfrage, dass die TWU nur einen sehr kleinen Teil ihrer Belegschaft repräsentiert. "Wir nehmen die Sicherheit unserer Mitarbeiter sehr ernst und fahren eine Null-Toleranz-Linie gegen sexuelle Belästigung", lässt die Airline wissen. Fälle könnten auch anonym an die Airline herangetragen werden.

Im namentlich bekannt gewordenen Fall einer ehemaligen Qantas-Stewardess, die die Belästigung durch einen Kollegen öffentlich gemacht hat, habe Qantas gründlich recherchiert. "Der Angestellte hat sich sofort entschuldigt und Reue gezeigt", sagt Qantas zu aero.de. 

Die betroffene Stewardess habe nicht mehr mit ihm in einer Schicht arbeiten müssen. Sie selbst bestreitet das in einem Interview. Es steht Aussage gegen Aussage.

"Ich dachte nicht, dass sie mir eher glauben würden als einem Senior Captain", begründet ein Umfrageteilnehmer gegenüber der TWU die Entscheidung, Belästigung nicht öffentlich zu machen.

"Keine Ausnahme", sagt Sylvia Gaßner von der deutschen Flugbegleitergewerkschaft UFO. Sie will Betroffene dennoch ermutigen, ihre Erfahrungen nicht für sich zu behalten. Denn "jeder Fall, der nicht geäußert wird, ermöglicht es den Tätern, mit ihrem Handeln durchzukommen und das immer wieder zu tun", sagt sie.

In Deutschland bisher nur Dunkelziffern

Ist sexuelle Belästigung gegen Cabin Crew-Mitglieder ein Problem in Deutschland? Eine flächendeckende Umfrage speziell für die Luftfahrt wie jetzt in Australien gibt es bisher nicht. Das heißt jedoch nicht, dass sexuelle Belästigung für Crewmitglieder hierzulande kein Thema ist.


Aus der TWU-Umfrage zu sexueller Belästigung gegen Cabin Crew-Mitglieder - Nur knapp ein Drittel der Betroffenen hat Einen Vorfall dem Arbeitgeber gegenüber thematisiert
Aus der TWU-Umfrage zu sexueller Belästigung gegen Cabin Crew-Mitglieder - Nur knapp ein Drittel der Betroffenen hat Einen Vorfall dem Arbeitgeber gegenüber thematisiert, © TWU

Sylvia Gaßner weiß von mehreren Fällen sexueller Belästigung gegenüber Flugpersonal zu berichten, möchte sie aber nicht veröffentlicht wissen, um die Betroffenen zu schützen und ihre Persönlichkeitsrechte zu wahren.

Ihre Gewerkschaft bietet betroffenen Mitgliedern Rechtsbeistand, sie hilft ihnen, die richtigen Ansprechpartner bei der Polizei zu finden und vermittelt psychologische Unterstützung. Vor allem aber bietet sie Betroffenen das persönliche Gespräch an und hört ihnen zunächst einmal zu.

"Sexuelle Belästigung ist insgesamt eine gesellschaftliche Verantwortung", sagt der Sprecher der VC Cockpit Janis Schmitt gegenüber aero.de. "Wo Unrecht geschieht - und sexuelle Belästigung ist Unrecht - müssen wir entschieden einschreiten."

Dennoch: Seine Gewerkschaft hat diese Aufgabe über das Verfassen eines Flyers mit dem Titel "Grenzachtender Umgang und Sexuelle Belästigung" hinaus bisher nicht für sich entdeckt. Die aero.de-Anfrage zu dem Thema - "überraschend, und das erste Mal, dass Medien diesbezüglich an uns herantreten", sagt Schmitt gegenüber aero.de.

"Wird Ihnen als Kollege oder Vorgesetzter ein Übergriff zugetragen, können Sie nur ein vertrauliches Gespräch anbieten und Reaktionsmöglichkeiten aufzeigen (...) Es muss nicht unbedingt etwas passieren", heißt es in dem Flyer unspezifisch.

Aus der TWU-Umfrage zu sexueller Belästigung gegen Cabin Crew-Mitglieder - Ein Großteil der Betroffenen ist unzufrieden damit, wie der Arbeitgeber mit entsprechenden Berichten umgeht
Aus der TWU-Umfrage zu sexueller Belästigung gegen Cabin Crew-Mitglieder - Ein Großteil der Betroffenen ist unzufrieden damit, wie der Arbeitgeber mit entsprechenden Berichten umgeht, © TWU

Lufthansa-Personalchefin Bettina Volkens wird um einiges deutlicher. "Klar ist: jeder Fall ist einer zuviel", sagte sie im Interview mit dem "SPIEGEL". Die Lufthansa Group hat ihren Verhaltenskodex im Zuge der #metoo-Debatte klarer formuliert.

"Wir tolerieren keine sexuelle Belästigung", steht dort nun, "Dies beinhaltet insbesondere unerwünschte Annäherungen und Übergriffe tatsächlicher oder verbaler Art."

Im Sommer 2018 hat Lufthansa zwei externe Ombudsleute eingesetzt, die Betroffenen als Ansprechpartner dienen sollen. "Unsere Flugbegleiter und Cockpit-Crew werden für den Umgang mit sexueller Belästigung an Bord geschult" teilt die Airline auf aero.de-Anfrage mit.

"Es geht dabei vor allem darum, Grenzen zu setzen und Signale zu erkennen, sowie die Information zu vermitteln und Sicherheit zu geben, was sexuelle Belästigung sein kann."

Die Angst, nicht ernst genommen zu werden

Solch klare Signale vom Arbeitgeber wünscht sich auch die Gewerkschaft TWU. "Es reicht nicht, wenn Airlines sagen, dass sie Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung eingeleitet haben", heißt es in dem Statement zur Umfrage. "Unsere Umfrage zeigt, dass es hier ein endemisches Problem gibt, das hunderte von Männern und Frauen einer schrecklichen Behandlung aussetzt."

Nur dreißig Prozent der Betroffenen haben laut TWU-Umfrage die erlittene Belästigung gegenüber ihrem Arbeitgeber thematisiert. 84 Prozent davon waren unzufrieden damit, wie das Unternehmen darauf reagiert hat.

"Meine Beschwerde führte dazu, dass er beschützt und ich entlassen wurde", berichtet eine der Befragten. Ein fataler Umgang, der die Hemmschwelle, sexuelle Belästigung anzuzeigen, noch weiter anhebt.

Von sexueller Belästigung betroffene Stewardessen und Stewards können sich per E-Mail bei der UFO melden (info@ufo-online.aero) und dort ohne weitere Angaben um einen Rückruf von der AG Gesundheit bitten, um Unterstützung zu erhalten.
© aero.de | Abb.: aero.de (Montage) | 20.10.2018 09:03

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Beitrag vom 22.10.2018 - 12:07 Uhr
Und an wen sollen sich sexuell belästige Piloten wenden?

An ihren Arbeitgeber, genau wie das Kabinenpersonal.
Wird der Arbeitgeber nicht tätig, ist die gewerkschaft die nächste Station.
Es muss nicht in jedem Fall ein Mediationsverfahren oder ähnliches geben.
Den VerursacherInnen der Beschwerde sollte aber mitgeteilt werden, dass eine Beschwerde gegen sie vorliegt, und die Airline sollte sicherstellen, dass die involvierten Beschäftigten nicht mehr zusammen fliegen.
Es steht zu hoffen, dass sich nach einer ersten Beschwerde die Verhaltensweise an das aktuelle Jahrhundert anpasst. Kommt es zu wiederholten Beschwerden gegen die gleiche Person, muss die Personalabteilung tätig werden.
Eine Abmahnung wäre hier der erste Schritt.
Das trifft natürlich nur zu, wenn das Verhalten nicht von Anfang eine Straftat darstellt.

Beitrag vom 20.10.2018 - 16:20 Uhr
Und an wen sollen sich sexuell belästige Piloten wenden?

Ich denke, alle Mitarbeiter eines Unternehmens sind intellektuell so ausgereift, dass sie die Hotline oder E-Mail-Adresse in ihrer Firma herausfinden. Vorzugsweise sie die Daten im Firmenintranet hinterlegt.

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Beitrag vom 20.10.2018 - 12:10 Uhr
Und an wen sollen sich sexuell belästige Piloten wenden?


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