Eigentlich sollten hier Autos der Mitarbeiter parken, so war das mal geplant. Doch heute dient ein Teil des Kellergeschosses der Frankfurter Lufthansa-Hauptverwaltung nicht als Tiefgarage, sondern als Abstellplatz ganz anderer Art.
Im Lufthansa Aviation Center, dessen Eingangsbereich gerade gemäß des neuen Erscheinungsbilds der Lufthansa-Gruppe umgebaut wird, liegen die wirklichen Schätze im Untergeschoss verborgen.
Und das nicht zufällig: Papier ist schwer und historische Dokumente sollten besser kein Licht abbekommen, daher ist der Keller ein idealer Standort. "Historisches Unternehmensarchiv" steht auf der dicken weißen Stahltür, die nur wenige Mitarbeiter und selten externe Besucher passieren dürfen.
Carola Kapitza (59) ist die gute Seele dieser weltweit einmaligen und größten Sammlung zur Geschichte der deutschen Passagierluftfahrt. Sie ist Herrscherin über 200 Quadratmeter Stauraum für einen Kilometer Akten und hunderte Meter an Büchern, verteilt auf endlose Stahlregale und Rollschränke. Dazu über 100.000 Bilder und Fotos sowie rund 4.000 Objekte aller Art.
Carola Kapitza arbeitet seit 33 Jahren im Lufthansa-Archiv und kennt dessen Bestände wie niemand sonst. "Ich weiß jedenfalls, wo die Dinge hier stehen", sagt sie bescheiden.
Lange arbeitete Carola Kapitza mit dem pensionierten früheren Archiv-Chef und Buchautor Werner Bittner gemeinsam im damaligen Archiv im Keller des früheren Firmensitzes am Rheinufer in Köln-Deutz. Vor zwölf Jahren wurde die Sammlung in die neue Hauptverwaltung am Frankfurter Flughafen verlagert.
Damals, unter erstmals starkem Kostendruck durch aufkommende Billigflieger, war das Schicksal der Firmen-Dokumentation zeitweise unklar. Glücklicherweise besann man sich dann aber auf den Wert dieser Schätze und räumte ihnen den gebührenden Platz ein.
Kaum eine Fluggesellschaft weltweit verfügt über eine so lange Historie wie die Deutsche Lufthansa, die gleich zweimal gegründet wurde. Zunächst am 6. Januar 1926 – und nach dem Krieg erneut am 6. Januar 1953, wobei der Flugbetrieb erst am 1. April 1955 wieder aufgenommen werden konnte.
"Und warum heißen wir überhaupt Lufthansa?", fragt Carola Kapitza. Als Antwort zieht sie ein altes Buch aus dem Regal, erschienen 1925 und geschrieben vom damaligen Pressechef der Junkers-Flugzeugwerke.
Thema des Buches sind die "luftpolitischen Möglichkeiten" jener Zeit, "er suchte nach einem griffigen Titel und hat es daher ‚Luft-Hansa’ genannt, in Anspielung an die Hanse im Mittelalter", weiß die Archiv-Chefin. "So entstand unser Name."
Obwohl nur etwa zehn Prozent der heutigen Bestände aus dem Archiv der alten Lufthansa in Berlin-Tempelhof stammen, das in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs zum Großteil zerstört wurde, finden sich auch aus deren Tagen einige bemerkenswerte Dokumente in Frankfurt.
So etwa das erste Aktienbuch von 1926, in das jede Kapitalbewegung per Hand eingetragen wurde. Oder die auf A3-Format ausfaltbaren Flugpläne der 1920er und 1930er Jahre, in denen die Flugstrecken als Linien zwischen den kreisförmig dargestellten Flughäfen verzeichnet waren. Aber auch Bordgeschirr und Uniformen der alten Lufthansa sind archiviert.
Gerade sind Carola Kapitza und ihre drei Kolleginnen wieder viel beschäftigt. "Am 6. Februar 2019 jährt sich zum hundertsten Mal der Beginn des zivilen Luftverkehrs in Deutschland, an diesem Tag führte 1919 eine Junkers F13 der Deutschen Luft-Reederei den ersten Linienflug von Berlin nach Weimar durch", so die Archiv-Leiterin.
Dazu plant der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) eine Aktion und braucht Material. Das Bonner Haus der Geschichte stellt eine Ausstellung zum Thema Luxus zusammen, "die haben sich bei uns Objekte zum Thema "Fliegen in den 1960er Jahren" ausgeliehen", berichtet Kapitza.
Gleichzeitig arbeiten die Kuratoren im Dornier-Museum in Friedrichshafen an der Ausstellung zur 1977 nach Mogadischu entführten Lufthansa-Boeing 737 "Landshut", die 2017 aus Brasilien an den Bodensee gebracht wurde. "Da sind wir auch gefragt", so Kapitza.
Allerdings sei sie selbst geschockt gewesen bei der Durchsicht dokumentarischer Fotos, die nach der Erstürmung des Flugzeugs durch die GSG9 entstanden waren, so stark sei das Leiden der Geiseln auch noch nach ihrer Befreiung an Bord offensichtlich geworden.
"Diese Fotos werden wir nicht herausgeben", hat sie entschieden. Solche Bilder aus Mogadischu sind genau wie alle Dokumente zu Unfällen von Lufthansa-Flugzeugen, aber auch Papiere und geheime Akten aus Vorstand und Aufsichtsrat in einer Art blauem Käfig gelagert, gesichert durch eine blaue Tür aus engmaschigem Stahl.
"Da stehen etwa 50 Regalmeter Dokumente, die wir nie veröffentlichen werden, zum Glück sind wir keine Behörde oder öffentliche Einrichtung mit Publikationspflicht", sagt Carola Kapitza.
Nur Archivmitarbeiter haben hier Zutritt, derzeit wird im Auftrag des Vorstands eine interne Dokumentation des Germanwings-Absturzes 2015 und dem firmeninternen Umgang damit erarbeitet.
2019 jährt sich auch der Erstflug der Boeing 747, deren erster europäischer Betreiber die Lufthansa ab 1970 war. Auch zu solchen erfreulicheren Pioniertaten finden sich im Lufthansa-Archiv vielfältige und äußerst seltene Dokumente.
Eine Mitarbeiterin bringt einen großen zusammengefalteten Plan aus leicht vergilbtem Papier. "Das ist der Original-Bemalungsplan, nach dem Boeing unsere ersten Jumbos lackiert hat", weiß Carola Kapitza.
Ein dickes, silbern eingebundenes Heft von Boeing enthält die genauen Kabinen-Spezifikationen für die erste 747-30, absurd dabei vor allem die große Aufschrift "Deutsche Lufthansa" in Frakturschrift.
"Das würden die heute sicher nicht mehr machen", lacht die Archivleiterin. Egal zu welchem Thema der deutschen Fliegerei - das Lufthansa-Archiv ist stets eine ungeahnte Fundgrube.
Besucher oder selbst professionelle Rechercheure dürfen hier nicht selbst hinein. "Das lehnen wir ab, weil wir keine Arbeitsplätze haben für die Präsenzrecherche und keine Mitarbeiter für die Betreuung", betont die Leiterin.
Sehr interessiert ist Carola Kapitza auch an Angeboten von Dokumenten oder Objekten zur Lufthansa-Geschichte von außen, auch von Sammlern oder Galerien. Wer etwa im Nachlass seiner Familie oder auf dem Flohmarkt Interessantes findet, kann es dem Lufthansa-Archiv anbieten.
"Wir haben ein Ankauf-Budget und kaufen gern zu vernünftigen Preisen Dinge, aber nicht dann, wenn Leute wie geschehen für ein für ein früheres Giveaway aus Porzellan ein Ticket für einen Fernflug haben wollen", so Kapitza.
Wachsen tut ihre Sammlung so oder so jedes Jahr um etwa 40 Regalmeter, allein schon mit Dokumenten aus dem Haus. "Aber wir müssen immer die Archiv-Würdigkeit prüfen und ob Dokumente relevant für die Firmengeschichte sind, wir sind hier keine Aktenablage."
© Andreas Spaeth | Abb.: Andreas Spaeth, Planestream | 30.12.2018 08:41
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