Alternativen zur 737 MAX
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Boeings Dilemma – Chance für China?

SEATTLE - Die jüngsten Ereignisse rund um die 737 MAX lassen Airlines an ihrer Order für Boeings Bestseller zweifeln. Doch ein Wechsel zu Airbus ist schwierig, denn auch dort stapeln sich die Aufträge. Das könnte neuen, aufstrebenden Herstellern in die Karten spielen – zum Beispiel Comac.

Zwei Abstürze in fünf Monaten, 346 Tote, weltweites Grounding: Das Image der Boeing 737 MAX ist mehr als angekratzt. Noch ist ein Zusammenhang zwischen den beiden Unfällen nicht bewiesen, jedoch treten fast täglich Neuigkeiten zutage, die genau auf einen solchen Zusammenhang hindeuten.

Boeing 737 MAX Xiamen Airlines
Boeing 737 MAX Xiamen Airlines, © Boeing

Wie lange die knapp 370 ausgelieferten 737 MAX am Boden bleiben müssen, ist noch unklar. Ob sich das Flugzeug danach die Akzeptanz der Passagiere zurückholen kann, ebenfalls. Zudem ermittelt nun auch die Justiz gegen Boeing – bei der Zulassung der 737 MAX soll es zu Verstößen gegen geltende Sicherheitskultur gekommen sein.

In Anbetracht dessen wundert es wenig, dass manche Airline laut über eine Stornierung ihrer MAX-Aufträge bei Boeing nachdenkt. Derlei Planspiele waren zuletzt vor allem von Lion Air zu hören, die durch den ersten MAX-Absturz im Oktober 2018 bereits einen Totalverlust zu verzeichnen hatte. Wirklich dazu durchringen konnte sich allerdings bisher noch kein MAX-Kunde.

Und zwar auch deswegen, weil die Alternativen beschränkt sind. Denn bei Boeings Hauptkonkurrent Airbus platzen die Auftragsbücher für das MAX-Gegenstück A320neo bereits jetzt aus allen Nähten. Die Fertigungsrate läuft auf Anschlag, Zulieferer kommen mit der Teileproduktion kaum hinterher und zu allem Überfluss sind auch die A320neo nicht frei von Kinderkrankheiten.

Wer als bisheriger Boeing-Kunde also seine 737 MAX-Bestellungen gerne canceln und zum A320neo wechseln möchte, muss sich wohl oder übel hinten anstellen – und damit lange Wartezeiten in Kauf nehmen.

Scoot Airbus A320neo
Scoot Airbus A320neo, © Airbus

Diese Patt-Situation zwischen den beiden Big Playern könnte anderen Herstellern die Tür zu Höhenflügen öffnen. Aus Russland vermeldet das Portal "Russian Aviation Insider", dass die Aeroflot-Billigtochter Pobeda prüft, 30 offene MAX-Bestellungen gegen Aufträge für die russische Irkut MS-21 zu tauschen.

Allerdings kämpft das MS-21-Programm mit diversen Problemen und ist selbst auf längere Sicht nicht sehr massentauglich ausgelegt: Laut Yury Slyusar, Vorstand des MS 21-Herstellers UAC, soll sich die Fertigungsrate ab dem siebten Produktionsjahr bei einem Maximum von jährlich 72 Maschinen einpendeln. Zum Vergleich: Boeing baut derzeit 57 737 MAX – im Monat!

Besonders in China beim staatlichen Flugzeugbauer Comac dürfte man die Entwicklung jedoch mit wachsendem Interesse verfolgen. Schließlich hat man dort mit der C919 ebenfalls ein hauseigenes Konkurrenzprodukt zur Boeing 737 MAX in petto – und zudem im eigenen Land den Markt mit dem größten prognostizierten Wachstum weltweit.

Irkut MS-21
Irkut MS-21, © Irkut

Auf über 6.000 Flugzeuge schätzt etwa Airbus den Bedarf in China bis 2035. Der größte Teil davon entfällt laut diesen Schätzungen auf Standardrumpfmaschinen der Boeing 737-Klasse.

In der Tat hat auch Boeing China als wichtigen Absatzmarkt für die 737 MAX identifiziert. Rund ein Viertel der bereits ausgelieferten MAX 8 und MAX 9 stehen in Diensten chinesischer Carrier.

Erst im Dezember feierte der Flugzeugbauer aus Everett die Eröffnung einer 737 MAX-Komplettierungslinie in Zhoushan, vor den Toren von Shanghai. Pikanterweise betreibt Boeing diese Linie auf Geheiß der chinesischen Regierung als Joint Venture – gemeinsam mit Comac.


China bringt seine Industrie in Stellung

Aus den bisherigen Partnern könnten nun also harte Konkurrenten werden. Immerhin war China nach dem Ethiopian-Absturz die erste Nation, deren Luftfahrtbehörde ein Flugverbot für die Boeing 737 MAX anordnete. "Wenn sie klug sind, werden sie nun an die Türen von Airlines klopfen, die erwägen, Standardrumpfflugzeuge zu kaufen", zitiert die Nachrichtenagentur Bloomberg Chad Ohlandt, einen leitenden Ingenieur der Rand Corporation in Washington.

Comac C919
Comac C919, © Comac

Bisher verzeichnet Comac für die C919 nach Angaben von Bloomberg 815 Bestellungen von 28 Kunden – darunter mehrheitlich Airlines aus dem chinesischen Raum, aber auch das US-Leasingunternehmen GE Capital Aviation Services. Im Vergleich zu den über 5.000 Aufträgen, die Boeing im Orderbuch für die 737 MAX stehen hat, ist bei Comac also noch viel Luft nach oben.

Allerdings wird die Serienfertigung der C919 wohl frühestens 2020 anlaufen. Bisher befinden sich lediglich drei Prototypen in der Luft. Nach mehreren Verzögerungen ist die Indienststellung des ersten Flugzeugs für 2021 geplant. Auch Comac-Kunden werden demnach warten müssen.

Gerade im so zukunftsträchtigen chinesischen Markt könnte die Comac C919 für Boeing mittelfristig dennoch zur ernsten Gefahr werden. Der Großteil der chinesischen Fluggesellschaften ist wie der Comac-Konzern in staatlicher Hand – und der Staat wird das Prestigeprodukt "made in China" sicher nicht links liegen lassen. Schon gar nicht, wenn die Konkurrenz Schwäche zeigt.

Die privaten Gesellschaften würden sich einer Regierungsempfehlung für das heimische Produkt wohl ebenfalls kaum entziehen können, ohne zumindest latent unpatriotisch zu wirken. Noch ist das zwar alles Zukunftsmusik – aber die aktuellen Vorfälle haben die Zukunftsaussichten für Boeings Sorgenkind 737 MAX sicher nicht rosiger gemacht.
© FLUG REVUE - PZ | Abb.: Boeing | 19.03.2019 15:49

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Beitrag vom 20.03.2019 - 08:24 Uhr
Boeing hatte nach der T7 20 Jahre kein neues Muster mehr (fertig) entwickelt, weil dies den Aktionären (zu dieser Zeit) nicht die entsprechende Rendite gebracht hätte.

Airbus war erst auf dem Weg zu einem umfassenden Hersteller mit vollständiger Modellpalette, d.h. sämtliche Muster sind weitgehend zeitgemäß.

Die Produktion des Dreamliners war wieder getrieben vom Aktionärsprofit, Werke verkauft, weltweite Vergabe von Fertigungsanteilen mit der bekannten Verzögerungskatastrophe.

Die (Weiter-) Entwicklung eines Flugzeugs kann nicht beliebig verkürzt werden, schon gar nicht zu Lasten der Flight Safety, was so langsam auch den gierigsten Investment Bankern klar werden dürfte.

Der Absturz in Mülhausen war kein technisches Versagen, der Pilot hatte das Steuerungssystem abgeschaltet und ist zu langsam und zu tief geflogen.
Beitrag vom 20.03.2019 - 06:53 Uhr
Nicht alle Bäume wachsen in den Himmel

Als ich vor gut zwei Jahren zur Vorsicht ob des starken Orderwachstums bei den Herstellern warnte hatte ich die Auswirkungen des MAX Vorfalls nicht gesehen. Eine Verstetigung des Wachstums hatte ich mit Wachstumsabschwächung, politischen und kriegerischen Handlungen mit dicken Fragezeichen versehen. Die folgenden und noch andauernden Airlinepleiten (Marktbereinigung) wird jetzt wohl noch beschleunigt und weitere Opfer unter den Airlines fordern. Interessanter Weise wir dies wohl dem Gebrauchtmarkt sehr nutzen und geparkte Airliner aus der Wüste reaktivieren, weil durch das derzeitige MAX-Debakel schlicht Flugzeuge für die geplanten Strecken fehlen.

Sehe ich ganz anders. Der Markt verlangt Neos und MAX, und er braucht 120 pro Monat. Für das Wachstum, in Asien, Europa, Afrika, Südamerika und Nordamerika.
Da fliegen schon enorme Bestände an NGs und A320s rum, alleine die ganzen A319 und B737-7 müssen ersetzt werden.
Es gibt auch keinen Zusammenhang mit der Ausweitung der Produktion (aktuell gehen 57 und 55 pro Monat raus) und jetzt diesem Desaster.
Boeing hat bei der Max wie schon bei der B787 einfach ein extrem gefährliches System entwickelt das man so in der Luftfahrt einfach nicht machen darf.


Dennoch ist es schon erstaunlich wie schnell ein veritables Unternehmen wie Boeing so schnell verrissen und totgesagt wird. Sicherlich birgt die derzeitige Situation beträchtliches Potential für ein unternehmerisch existenzbedrohende Situation. Man soll aber nicht glauben bei Boeing gebe es nur Dummköpfe.

O- Ton eines Vorstands eines Landesbankers in kleiner Runde als ihm klar war das kein Vorstand die Finanzkrise überleben wird: " bei uns arbeiten ja NICHT NUR Vollidioten"
Gerücht aus Seattle über frühe B788: Kein nicht suizidaler Boeing Angestellter würde mit der Kiste fliegen.
Bei Boeing regiert das Cash, die Entscheidung die Max so zu bringen war mit Sicherheit aus betriebswirtschaftlichen Gründen - schnell um nicht zuviel Markt an den Neo zu verlieren.

An dieser Stelle darf man auch an Unfälle mit dem damals revolutionären Fly-By-Wire Systems des damals neuen Airbus A 320 erinnern, speziell der Air France Mulhouse Unfall sowie auch der von Indian Airlines in 1990.

Die Sache liegt wohl etwas anders, keine mehrfachen Abstürze aufgrund eines Systems, andere Ausfallraten zu der zeit.

Man stelle sich nur vor die Batterie Probleme des Dreamliner oder die Triebwerksprobleme der A 320 Neo hätten zu Unfällen geführt. Es wäre ebenfalls zu berechtigten Zweifeln bezüglich der Zulassung gekommen. Am Ende hatte man es in den Griff bekommen. So wird es auch bei der MAX sein.

Das glaube ich auch, das man es in den Griff bekommt.
Die Probleme des Dreamliners waren reines Glück das es keinen Totalverlust gab.



Nicht nur technische Überlegungen gehören jetzt auf den Prüfstand. Der zunehmende Verdrängungswettbewerb kann nur zu Lasten der Sicherheit und der Passagiere gehen. Man sollte aus dem jetzigen MAX Debakel mitnehmen, dass nicht alle Bäume in den Himmel wachsen.

Das sehe ich nicht.
Beitrag vom 19.03.2019 - 23:50 Uhr
Nicht alle Bäume wachsen in den Himmel

Als ich vor gut zwei Jahren zur Vorsicht ob des starken Orderwachstums bei den Herstellern warnte hatte ich die Auswirkungen des MAX Vorfalls nicht gesehen. Eine Verstetigung des Wachstums hatte ich mit Wachstumsabschwächung, politischen und kriegerischen Handlungen mit dicken Fragezeichen versehen. Die folgenden und noch andauernden Airlinepleiten (Marktbereinigung) wird jetzt wohl noch beschleunigt und weitere Opfer unter den Airlines fordern. Interessanter Weise wir dies wohl dem Gebrauchtmarkt sehr nutzen und geparkte Airliner aus der Wüste reaktivieren, weil durch das derzeitige MAX-Debakel schlicht Flugzeuge für die geplanten Strecken fehlen.

Dennoch ist es schon erstaunlich wie schnell ein veritables Unternehmen wie Boeing so schnell verrissen und totgesagt wird. Sicherlich birgt die derzeitige Situation beträchtliches Potential für ein unternehmerisch existenzbedrohende Situation. Man soll aber nicht glauben bei Boeing gebe es nur Dummköpfe.

An dieser Stelle darf man auch an Unfälle mit dem damals revolutionären Fly-By-Wire Systems des damals neuen Airbus A 320 erinnern, speziell der Air France Mulhouse Unfall sowie auch der von Indian Airlines in 1990.

Man stelle sich nur vor die Batterie Probleme des Dreamliner oder die Triebwerksprobleme der A 320 Neo hätten zu Unfällen geführt. Es wäre ebenfalls zu berechtigten Zweifeln bezüglich der Zulassung gekommen. Am Ende hatte man es in den Griff bekommen. So wird es auch bei der MAX sein.

Nicht nur technische Überlegungen gehören jetzt auf den Prüfstand. Der zunehmende Verdrängungswettbewerb kann nur zu Lasten der Sicherheit und der Passagiere gehen. Man sollte aus dem jetzigen MAX Debakel mitnehmen, dass nicht alle Bäume in den Himmel wachsen.


Vielen Dank für diesen sehr qualifizierten Beitrag! Sehe ich genauso.


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