UFO-Umfrage
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Jedes zweite Cabin-Crew-Mitglied Opfer sexueller Belästigung

MÖRFELDEN - Die Hälfte des Kabinenpersonals in Deutschland ist während der Arbeitszeit Opfer sexueller Belästigung geworden - zu diesem Ergebnis kommt eine am Freitag veröffentlichte Umfrage der Flugbegleitergewerkschaft UFO. UFO-Referentin Sylvia Gaßner ordnet die Erkenntnisse im Interview mit aero.de ein.

aero.de: Die jetzt erschienene UFO-Umfrage zu "Sexueller Belästigung am Arbeitsplatz für MitarbeiterInnen von Flugbetrieben" ist die erste umfangreichere dieser Art in Deutschland - war sexuelle Belästigung in der Luftfahrtbranche bisher kein Thema?

Sylvia Gaßner: Doch, es war mit Sicherheit ebenso ein Thema, wie es auch gesellschaftlich ein Thema ist. Die Frage ist tatsächlich, wieso es bisher niemand aufgegriffen hat.

aero.de: Wie haben Sie sexuelle Belästigung in der Umfrage definiert?

Gaßner: Wir haben die Kolleginnen und Kollegen gefragt, wie sie selbst sexuelle Belästigung definieren und ihnen dafür mehrere Auswahlmöglichkeiten angeboten: zum Beispiel anzügliche Kommentare, unerwünschte körperliche Nähe oder das Zeigen von Pornos. Sexuelle Belästigung ist ja immer eine subjektive Definitionssache.

aero.de: Laut der Umfrage ist beinahe jede zweite Flugbegleiterin/jeder zweite Flugbegleiter bei der Arbeit Opfer sexueller Belästigung geworden. Überrascht Sie diese hohe Quote?

Gaßner: Nein, eigentlich nicht. Ehrlich gesagt habe ich mit einer noch höheren Quote gerechnet. Doch 50 Prozent ist schon sehr hoch. Schließlich geht es hier um den Arbeitsplatz, ein Ort an dem wir alle viel Zeit unseres Lebens verbringen – und es schockiert mich, dass sexuelle Belästigung ein Thema ist, mit dem man sich als Flugbegleiter oder als Flugbegleiterin früher oder später in 50 Prozent der Fälle beschäftigen muss.

aero.de: Denken Sie, dass die Airline-Industrie anfälliger für sexuelle Belästigung ist als andere Branchen?

Gaßner: Wir haben in der Umfrage gesehen, dass fast 50 Prozent der Befragten angeben, schon einmal am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden zu sein, diese Quote ist in anderen Bereichen geringer, beispielsweise im öffentlichen Dienst (Frauen: 26 Prozent, Männer: 6 Prozent).

In der UFO-Umfrage haben wir bei Männern mit 43,7 Prozent eine fast ebenso hohe Quote wie bei den Frauen (51,7 Prozent) festgestellt, auch dies ist in anderen Branchen nicht so – daher muss ich sagen: ja, wahrscheinlich.

Sylvia Gaßner, UFO
Sylvia Gaßner, UFO, © UFO

aero.de: Haben Sie Erklärungsansätze für Ihre Einschätzung?

Gaßner: Ich sehe ein großes Problem in der häufig sexistischen Werbung der Airlines. Fast immer geht es um drei, vier Flugbegleiterinnen, die adrett gekleidet im kurzen Röckchen um einen Kapitän herumstehen.

Es gibt aber auch Kapitäninnen in Deutschland - da könnte man die Werbung auch mal ein bisschen anders aufziehen. Zudem geht aus der Umfrage hervor, dass 45,8 Prozent der Übergriffe durch Vorgesetzte an Bord stattfinden. Faktoren dafür können hierarchische und patriarchale Strukturen an Bord sein.

Ich bin ziemlich schockiert von dieser Quote - denn im Grunde besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Kabinenpersonal und seinen Vorgesetzten. Die Kabinenmitarbeiterinnen und Kabinenmitarbeiter müssen sich im Notfall auf ihren Purser und die Cockpit-Crew verlassen. Die endgültigen Entscheidungen zu verschiedenen Dingen hat der Kommandant an Bord.

Wie kann man sich auf jemanden verlassen, der einen vielleicht vorher noch sexuell belästigt hat? Dabei geht es auch um das Ausnutzen von Vertrauen – und das finde ich relativ schwierig. Das Machtgefälle an Bord ist meiner Ansicht nach definitiv ein Thema, das angegangen werden sollte.

aero.de: Wer sollte dieses Thema Ihrer Meinung nach angehen und wie?

Gaßner: Opferschutz ist natürlich eine Sache – die Kolleginnen und Kollegen, die einen Vorfall melden, müssen ernst genommen werden. Aber für mich besteht ein erster Ansatz auch in der Täterprävention.

Meiner Meinung nach sollte es in der Ausbildung sowohl des Cockpit- als auch des Kabinenpersonals dazu eine Trainingseinheit geben: Wo liegen persönliche Grenzen, wie kann ich die persönlichen Grenzen anderer Menschen respektieren?

aero.de: Was können Airlines neben dem von Ihnen angesprochenen Training tun, um sexuelle Belästigung zu unterbinden und ihre Angestellten zu schützen?

Gaßner: Eine Anlaufstelle für Opfer sexueller Belästigung, die mit vertrauenswürdigen Personen besetzt ist, ist sehr wichtig. Aber natürlich stellt sie nicht den alleinigen Lösungsweg dar. Denn es gibt immer noch eine Hemmschwelle, einen Vorfall zu melden.

Wenn uns #metoo etwas gelehrt hat, dann ist es, dass Betroffene vor allem aus Angst vor negativen Folgen oder dass sie in den Ruf geraten, sie seien prüde oder zu empfindlich, nicht über Belästigung sprechen.

Das ist auch eines der Ergebnisse der Umfrage: Knapp 50 Prozent haben einen Vorfall sexueller Belästigung aus Angst vor persönlichen Nachteilen oder beruflichen Konsequenzen nicht gemeldet.

Hier sind wir wieder beim Training: Wenn ich selbst nicht weiß, wo meine persönliche Grenze liegt, sie dann aber jemand überschreitet, fühle ich mich vielleicht erst einmal einen Moment lang unwohl, kann das aber nicht zuordnen - und melde den Fall auch nicht.

Wenn ich vielleicht erst weit im Nachhinein darauf komme, dass das eine grenzüberschreitende Erfahrung für mich war, ist es für eine Meldung vielleicht zu spät.

aero.de: Wäre ein innerbetriebliches Regelwerk mit klaren Leitlinien eine Hilfe?

Gaßner: Klare Leitlinien wäre in vielen Fällen wünschenswert – es gibt aber auch eine Grauzone, in der die persönlichen Grenzen liegen. Auch wenn die nicht klar definiert sind müssen Betroffene das Recht haben, Überschreitungen dieser Grenzen zu melden.

aero.de: Könnte zu der Hemmschwelle, Übergriffe durch Kollegen zu melden, auch der Wunsch beitragen, als Betroffener nicht als unkameradschaftlich zu gelten?

Gaßner: In kleineren Betrieben auf jeden Fall. Die Angst, der Person nochmal über den Weg zu laufen oder als Buhmann dazustehen, ist sicher groß – besonders, wenn der oder die Betroffene nicht weiß, was nach einer Meldung passiert und welche Möglichkeiten der Arbeitgeber hat, die Person zu schützen und den Täter oder die Täterin einer gerechten Konsequenz auszusetzen.

Das ist glaube ich für viele Kolleginnen und Kollegen nicht abschätzbar. Traurig ist es, wenn es am Ende heißt: "Es steht Aussage gegen Aussage, wir können nichts machen." Und dem Opfer ebenso geglaubt wird wie dem Täter, obwohl der schon öfter aufgefallen ist.

Auch hier geht es häufig um ein Machtgefälle: Wenn ein Täter eine Schlüsselposition in einem Unternehmen innehat, könnte es der Geschäftsführung gegebenenfalls schwerfallen, eine Konsequenz auszusprechen.

aero.de: Kurz zu den Passagieren – hier ist die Täterquote mit 25 Prozent im Vergleich zur Belästigung durch Kollegen relativ gering. Ist das im internationalen Vergleich ein Richtwert oder ist diese Quote anderswo höher?

Gaßner: In vergleichbaren Umfragen waren die Quoten diesbezüglich um einiges höher. Laut der US-amerikanischen Flugbegleitergewerkschaft AFA wurden insgesamt 53 Prozent des Kabinenpersonals Opfer sexueller Belästigung durch Passagiere, die australische Gewerkschaft berichtet nach einer Umfrage sogar von 60 Prozent.

Allerdings waren bei der Frage nach den Aggressoren in unserer Umfrage Mehrfachnennungen möglich. Es kann also sein, dass eine Kollegin oder ein Kollege von einem Passagier und einem Vorgesetzten und einem anderen Kollegen, der gleichwertig gestellt ist, belästigt wurde.

aero.de: Mit welcher Begründung würden Sie Kolleginnen und Kollegen ermutigen, Vorfälle sexueller Belästigung zu melden?

Gaßner: Je mehr solcher Vorfälle gemeldet werden, umso mehr Aufmerksamkeit bekommt das Thema in einem Unternehmen, umso mehr Akzeptanz gibt es dafür und umso mehr Sicherheit gibt es auch im Verhaltenskodex.

Je mehr Betroffene einen Vorfall melden und berichten können, dass das Unternehmen sie ernst genommen und unterstützt hat, desto mehr werden andere Betroffene ermutigt, Vorfälle ebenfalls zu melden.

Ich denke, nur so schafft man es: Mit einem ersten Schwung von Kolleginnen und Kollegen, die mutig genug sind, eine Meldung zu machen und dann den Erfahrungswert zu generieren, dass es keine negativen Folgen für sie selbst hatte.

aero.de: Eine Wirkung Ihrer Umfrage könnte also darin liegen, Betroffene zu ermutigen, Vorfälle sexueller Belästigung gegenüber ihrem Arbeitgeber zu melden. Welche Wirkung wünschen Sie sich darüber hinaus?

Gaßner: Ich würde mir wünschen, dass das Thema auch in anderen Flugbetrieben ankommt. Dass generell die Werbung und der Außenauftritt von Airlines überdacht wird. Aber auch, dass das Thema sexuelle Belästigung in die Piloten- als auch in die Kabinenpersonalausbildung integriert wird. Und ich wünsche mir, dass die Betroffenen nicht schweigen.

Frau Gaßner, wir danken Ihnen für das Gespräch.


In der Umfrage hat die UFO die Angaben von 1.135 Teilnehmern ausgewertet. Die Gewerkschaft weist darauf hin, dass die Umfrage offen zur Teilnahme auf ihrer Homepage stand. Einen Verifizierungsmechanismus um sicherzustellen, dass tatsächlich nur Kabinenmitarbeiter teilgenommen haben, gab es nicht.
© aero.de | Abb.: UFO, aero.de (Montage) | 10.05.2019 11:00
#14278
Beitrag vom 11.05.2019 - 21:19 Uhr
@hinterfrager2

Da haben Sie mich mißverstanden. Ich möchte, daß man die Umfragefragen, Antworten und Ergebnisse hier veröffentlicht und nicht ein solches heiße Luft Interview. Also das genau Gegenteil. Das Interview vermittelt mir keine besonderen Erkenntnisse.

Aber auch @FW 190 hätte mal "Butter bei die Fische" geben können, also Beispiele bringen sollen. Daß ich Kabinenpersonal fragen soll brauche ich nicht. Ich hatte selbst mal eine Stewardeß als Freundin, welche mir einiges erzählte, und zwar Belästigungen seitens der Passagiere. Die waren immer das Problem, nicht die Kollegen.

Das Übelste war gewesen, daß ein männlicher Fluggast sich mehr als unverschämt ungastlich benommen hatte und ihr einfach unter den Rock langte, als sie gerade seinen Tomatensaft eingoß. Logisch, daß plötzlich der Saft über den Anzug des Passagieres floß, statt ins Glas. Der Pax verzog dabei keine Miene und gab auch keinen Laut von sich. Er wußte genau weshalb das geschah.

Ich habe da sehr große Probleme mit solchem Typ Mann und muß mich, selbst männlich, dafür schämen, welches männliche Ekelpaket dort sitzt. Und vielleicht ist es dann auch noch der Mann, mit dem man einige Stunden später am Verhandlungstisch sitzt, ohne zu ahnen, was vorher geschah.
Beitrag vom 11.05.2019 - 08:41 Uhr
"aero.de: Wie haben Sie sexuelle Belästigung in der Umfrage definiert?

Gaßner: Wir haben die Kolleginnen und Kollegen gefragt, wie sie selbst sexuelle Belästigung definieren und ihnen dafür mehrere Auswahlmöglichkeiten angeboten: zum Beispiel anzügliche Kommentare, unerwünschte körperliche Nähe oder das Zeigen von Pornos. Sexuelle Belästigung ist ja immer eine subjektive Definitionssache."

Das sagt doch alles. Frau Gaßner ist noch nicht einmal in der Lage präzise zu formulieren, nach welcher sexuellen Belästigung in der Umfrage gefragt wurde. Damit ist sie unglaubwürdig, Aber wer A sagt muß auch B sagen können.

Bei dieser Antwort habe ich auch die "Stirn gerunzelt", aber deshalb die ganze Umfrage für unglaubwürdig zu erklären, halte ich für falsch.
Die Frage ist wirklich, was oder wie definiert man sexuelle Belästigung. Und da hat @Airbus333 mit seinen Fragen schon völlig recht.

Also zurück zum Anfang und zuerst die Fragen der Umfrage aufzeigen und die Antworten dazu. Anderes ist wertlos.

Ich finde das diese Thema und das Problem wirklich vorhanden ist (siehe Missbrauch in der Kirche, wurde Anfangs auch eher als lapidar abgetan), aber eben ein sehr sensibles. Es muss auf jeden Fall angegangen werden. Ob wir hier im Forum allerdings die "Fachleute" dafür sind, wage ich zu bezweifeln.
Beitrag vom 11.05.2019 - 06:39 Uhr
@ushh

Kritik reicht Ihnen um mich gleich als Täter zu identifizieren? Versuchen Sie meinen Beitrag bitte objektiv zu betrachten, er sollte rein kritisch verstanden werden. Aber ich kann Sie verstehen schwarz/weiß ist einfacher.


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