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Fehler im System

Boeing 777-Linie in Everett
Boeing 777-Linie in Everett, © Boeing

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FRANKFURT - Innovationsdruck und rasanter Produktionshochlauf passen nicht zusammen. Während Unfallermittler noch die Ursache für zwei Abstürze mit 346 Toten klären, drängt Boeing bei der Wiederzulassung der 737 MAX zur Eile. Der Fehler liegt im System, kommentiert die "Börsen-Zeitung".

Der Luftfahrtkonzern Boeing hat mit seiner Salamitaktik jegliche Glaubwürdigkeit verspielt. Als die Maschinen des Typs 737 Max abgestürzt waren, versuchte der Konzern zunächst, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben, den Piloten und den Airlines.

Probleme mit der Software in den Fliegern wurden erst eingestanden, als die Beweislast erdrückend war. Verantwortung übernehmen muss nun ein Manager, der seit drei Jahren im Amt ist und mit der Entwicklung des Absturz-Flugzeuges daher nur wenig zu tun haben kann.

Während der Chef der Zivilluftfahrtsparte gehen muss, bleibt Konzernchef Dennis Muilenburg an Bord - noch. Will man Boeing das Festhalten am Chef positiv auslegen, könnte man vermuten, er soll so lange bleiben, bis die Causa 737 Max abgearbeitet ist. Einem Nachfolger würde so ein Neustart erleichtert. Wahrscheinlicher aber ist es, dass das Schuldbewusstsein bei Boeing und Muilenburg immer noch eher schwach ausgeprägt ist.

Sicher wurden im Fall 737 Max von Boeing - und vermutlich auch von einem Teil der mit der Zulassung betrauten Behörde - gravierende Fehler gemacht. Doch ein fehlerhaftes Flugzeug ist in der Luftfahrtindustrie beileibe kein Einzelfall, wenn die Mängel auch in den meisten Fällen glücklicherweise weniger fatale Folgen haben als bei der 737 Max.

Nahezu im Wochenrhythmus ist von Problemen mit Triebwerken zu hören, die Maschinen zum Grounding zwingen (Airbus A220) oder die Entwicklung eines Modells verzögern (Boeing 777X). Da müssen Sitzreihen leer bleiben, damit ein Flieger nicht zu kippen droht (A320 neo) oder es werden Risse in Bauteilen gefunden (Boeing 737).

Sorgen um die Ingenieurskunst muss man sich deshalb nicht machen. Das zuweilen schlampig wirkende Arbeiten hat vielmehr mit dem enormen Zeit- und Kostendruck zu tun, unter dem Hersteller, Zulieferer und Airlines stehen und der manch einen dazu verleitet, von Fall zu Fall Fünfe gerade sein zu lassen.

Anders lässt sich nicht erklären, warum etwa für die Lufthansa, die mehr Passagiere unterbringen wollte, ein Airbus A320neo mit weit in das Heck verschobener Bordküche konfiguriert wurde, was nun zu einer ungünstigen Gewichtsverteilung inklusive Kippgefahr führt.

Im Fall der Boeing 737 Max wurde beispielsweise an Sensoren gespart und an der Schulung von Piloten. Auch die Behörden verfolgten bei Zulassungen ein strenges Kosten- und Zeitmanagement - Teile der Prüfungen und Abnahmen wurden ausgelagert, an den Hersteller Boeing. Es ist allerhöchste Zeit, solche Fehler im System auszumerzen.
© Lisa Schmelzer, Börsenzeitung | Abb.: Boeing | 25.10.2019 16:08

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Beitrag vom 26.10.2019 - 06:30 Uhr
Nein, die Hauptschuld ist die ungeheuerlich überhebliche Ignoranz einer für die Zulassung verantwortlichen Behörde, welche aus Faulheit ihrer Pflicht nicht nachkommt. Die Prüfung und Zulassung des Flugzeuges dem Hersteller überläßt.

Nach allem was (mir, aktuell) bekannt ist, hat Boeing für MCAS in der letztendlich verbauten Konfiguration mit starken und häufigen Trim-Inputs basierend auf einem einzigen Sensor nicht mal eine Zulassung beantragt. Das System wurde in der Form gegenüber den Behörden und den Piloten gar nicht erst dokumentiert.

Unabhängig davon gebe ich Ihnen beim obrigen Statement generell recht. Der Staat darf seine Kontroll- und Überwachungsfunktionen gegenüber der Wirtschaft nicht an ebendiese delegieren.
Das sollte man auch im Hinterkopf haben, wenn politische Parteien den "schlanken Staat für freie Bürger" oder Steuererleichterungen versprechen.
Denn im Gegenzug müssen die Ausgaben des Staates sinken, was zB die Budgets der Behörden betrifft, die Kontrollfunktionen der Wirtschaft ausüben.

Was aber denke ich noch stärker wirkt, ist das grottenfalsche, aber immer wieder auftauchende Argument, staatliche Kontrollen würden die Wirtschaft behindern und Arbeitsplätze kosten.
Gerne auch angewendet auf z.B. die deutsche Lebensmittelindustrie.
Die Firma Wilke genoss aufgrund des zaghaften Vorgehens der Behörden jahrelang quasi Narrenfreiheit und auch hier hat das Wegsehen Menschenleben gekostet.
Weil die Arbeitsplätze ja so wichtig waren... die jetzt _alle_ weg sind.
Realistische Kontrollen hätten im Nachhinein also Menschenleben gerettet UND möglicherweise sogar mehr Arbeitsplätze erhalten als Nachsichtigkeit.

Dieser Beitrag wurde am 26.10.2019 07:36 Uhr bearbeitet.
Beitrag vom 25.10.2019 - 20:49 Uhr
Sicherheit und Qualität kosten schlicht Geld bei der Herstellung
Kurzfristig vielleicht, langfristig beweist Boeing gerade das Gegenteil. Gewöhnlich ist fehlende Qualität sehr teuer. Es gibt einige Unternehmen, die durch Qualitätsprobleme bankrott gegangen sind.
Beitrag vom 25.10.2019 - 20:38 Uhr
Der Text wirkt in seiner undifferenzierte Gleichmacherei einfach nur inkompetent.
Warum sollen Sicherheitsanweisungen ein Zeichen von geringer Sicherheit sein?
Die Beispiele A220 grounding bei Swiss, Sperrung der letzten Sitze beim A321neo ACF sind doch genaue Gegenteil. Hier wird vorsorglich ein Risiko überprüft bzw. reduziert anstatt zu warten, dass was passiert.
Das widerlegt doch die These des Text, das zu wenig Zeit und Geld da ist.
Die Forderung nach absoluter Fehlerfreiheit ist doch völlig unrealistisch. Genau dieses Denken hat zur Boeing Katastrophe geführt. Weil man Fehler und Probleme lieber nicht zu gibt und jede Neuentwicklung scheut, weil man ja damit Fehler machen könnte.


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