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US-Luftfahrt in der Corona-Krise

Boarding nur mit Test
Boarding nur mit Test, © Delta Air Lines

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ATLANTA - Die Corona-Flaute hat auch die Luftfahrtnation USA voll erwischt. Nach dem Auslaufen eines ersten staatlichen Hilfspakets mussten US-Airlines eisern sparen. Die Branche setzt ihre Hoffnungen in eine ähnlich schnelle Rückkehr der Nachfrage wie nach 9/11- und hält ihre Kapazitäten vorerst in Zaum.

Noch vor dem Boarding zum Flug müssen alle Fluggäste, zum Beispiel bei Southwest Airlines, eine Erklärung abgeben, dass sie keine Covid-19-Symptome haben. Das klappt auch rein elektronisch per Mobiltelefon, ohne jegliche Berührung von Check-in-Kiosken, Eingabebildschirmen, Formularen oder ohne Anstehen an den zusätzlich mit Plexiglas verbarrikadierten Schaltern.

Dann geht es in Gruppen von maximal zehn Passagieren, Distanz wahrend, an Bord. Alle Passagiere und alle Airline-Mitarbeiter müssen ständig eine Maske tragen.

Einmal im Monat werden alle Flugzeugkabinen mit elektrostatischen Sprühpistolen gründlich vernebelt und desinfiziert. Zwischen allen einzelnen Flügen werden sämtliche häufig berührten Flächen gereinigt. An den Flughäfen steht den Passagieren Reinigungsflüssigkeit, an Bord stehen Desinfektionstücher zur Verfügung. Jede Nacht wird die Kabine manuell "tiefengereinigt".

Die im Reiseflug einströmende Kabinenluft wird durch HEPA-Filter geleitet, die 99,97 Prozent aller in der Luft schwebenden Partikel abtöten.

Trotz all dieser Bemühungen, die Ansteckungsgefahr zu senken, kehrten die Passagiere bisher nicht zurück, wie eine Auswertung der US-Branchenorganisation Airlines for America (A4A) zeigt, die auf den durch die Heimatschutzbehörde TSA kontrollierten Passagieren an US-Flughäfen basiert. Nur an den Tagen vor Weihnachten nahm der US-Luftverkehr mehrmals hintereinander die Schwelle von einer Million Passagiere pro Tag.

Nachfrageschwund im Nordosten

Regional brach die US-Passagiernachfrage besonders stark im Nordosten der USA und in der Hauptstadt Washington D.C. ein, wo der vorherige Andrang um über 80 Prozent zurückging. Trauriger US-Rekordhalter wurde allerdings Hawaii, wo 91 Prozent weniger Passagiere als im Vorjahr gezählt wurden. Natürlich hinterlässt dieser Markteinbruch auch seine Spuren in den Bilanzen der US-Airlines.

Die A4A meldete Mitte Oktober, dass ihre Mitglieder zusammen jeden Monat fünf Milliarden Dollar Verlust machten. Dieser Zustand werde sich bis ins Frühjahr 2021 hinziehen, erwartet die Branchenorganisation. Seit März 2020 seien bereits die US-Fluggesellschaften Compass Airlines, ExpressJet, Miami Air International, RavnAir Group und Trans States Airlines pleitegegangen oder hätten den Betrieb eingestellt.

Das Flugangebot

Noch immer klaffe eine Lücke zwischen zurückgefahrenem Angebot und noch geringerer Nachfrage. Das Flugangebot (ASM - Available Seat Miles - angebotene Sitzmeilen) sei aufseiten der Airlines um 55 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesenkt worden, die Nachfrage (RSM - Revenue Seat Miles - verkaufte Sitzmeilen) liege aber tatsächlich 71 Prozent unter dem Vorjahr, meldete die A4A Mitte Oktober den aktuellen Stand.

Delta Air Lines A220
Delta Air Lines A220, © Airbus

Im Sommer hatten die Airlines demnach sogar noch zusätzliche Kapazität in den Markt geworfen, das übliche Sommergeschäft blieb aber aus. Erschwerend kommt qualitativ hinzu, dass der lukrative Geschäftsreiseverkehr besonders stark zurückging. Mitte Oktober lag dieser sektorale Rückgang bei 85,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit fehlt den Airlines eine besonders viel fliegende Stammkundengruppe als wesentlicher Umsatzbringer.

Strategien gegen den Mittelabfluss

Sparen gilt als einzige erfolgversprechende Strategie. Entsprechend brutal müssen die Airlines vorgehen. Nach Kapazitätssenkungen in historischem Ausmaß werden ganze Teilflotten stillgelegt und ausgemustert. Ein Viertel der US-Passagierflotte, einstmals insgesamt 5.856 Jets, wurde seit dem Jahresende 2019 abgestellt oder ausgemustert.

Der Anteil von aktiven Großraumflugzeugen sank dabei von acht auf jetzt nur noch fünf Prozent. Heute liegt der aktive US-Bestand, inklusive Regionalflugzeugen, bei nur noch 4.343 Jets. Auslieferungen von Neuflugzeugen werden häufig auf spätere Termine verschoben. Junge Jets im Bestand und deren Triebwerke kann man dagegen verkaufen und zurückmieten oder beleihen.

An den Flughäfen werden die in den USA üblicherweise von Airlines langzeitgeleasten Terminalbereiche verkleinert oder aufgegeben und Investitionen werden verschoben. An Bord der Flugzeuge wird beim Catering und sonstigen Angebot gespart. Außerdem werden Beraterhonorare, Boni sowie Mittel für Aktienrückkäufe und etwaige Dividendenausschüttungen gekürzt oder gestrichen.

Vielerlei Verträge werden nachverhandelt. Dabei hatte das Corona-Jahr 2020 für die US-Flugbranche noch aussichtsreich mit einem Wachstum gegenüber dem bereits guten Vorjahrbegonnen.

Airlines beschäftigen nur noch die Hälfte

Auch die Airline-Belegschaften leiden empfindlich unter den Kürzungen. Laut A4A wurden bei den US-Linienairlines, gegenüber der Zeit vor Corona, 44,9 Prozent der Stellen abgebaut. Dabei spielten altersbedingtes sowie freiwilliges Ausscheiden, Abfindungen, Abgänge in andere Branchen, aber auch Insolvenzen oder Kündigungen eine Rolle.

Wenn man alle US-Fluggesellschaften einrechnet, also auch Frachtairlines und den Bedarfsflugverkehr, kommt man sogar auf 50,7 Prozent Stellenschwund. Alleine zwischen März und Juli 2020 entfielen 50.000 Vollzeitjobs. Viele Spezialisten mit besonderen Qualifikationen müssen nun auf einem plötzlich leergefegten Luftfahrt-Arbeitsmarkt neue Jobs finden.

Hilfspaket der US-Regierung


Seit Oktober beschleunigte sich der Personalabbau noch, denn da lief ein Hilfspaket der US-Regierung in Höhe von 25 Milliarden Dollar für die heimischen Airlines aus, das im Gegenzug für viele Mitarbeiter einen Kündigungsschutz bewirkt hatte. Weitere 25 Milliarden Dollar hatte die Regierung als zinsgünstige Kredite ohne Bedingungen gewährt.

Bei einem US-Branchen-Quartalsverlust im zweiten Quartal 2020 von alleine zwölf Milliarden Dollar und im dritten Quartal 2020 von, geschätzt, zehn Milliarden Dollar, sind aber auch die zweistelligen Hilfsmilliarden schnell verbraucht. Jetzt soll ein Nachfolgepaket einem weiteren Stellenabbau entgegenwirken - Airlines haben zwangsbeurlaubte Mitarbeiter inzwischen wieder zurückgerufen.

Schon kann man an den sinkenden Aktienratings der Airlines ablesen, wie kritisch der Finanzmarkt die Branche beäugt. Nur noch Southwest, Delta und Alaska halten mit den Ratings "BBB", "BB" beziehungsweise "BB minus" höherwertige Platzierungen im "Standard & Poor’s"-Aktienindex. Die Verschuldung der US-Airlinebranche kletterte in diesem Jahr um 69 Mrd. Dollar auf 174,8 Mrd. Dollar.

Angesichts dieser unschönen Lage stellt sich natürlich die Frage, wie bald mit einer Erholung zu rechnen sein wird? Laut Airlines for America dauerte es drei Jahre, bis sich der Markt nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wieder erholte. Nach der globalen Finanzkrise 2007/2008 dauerte die Erholung sogar sieben Jahre beziehungsweise zehn Jahre bei der Luftfracht.

Ab 2023 wieder Licht am Ende des Tunnels?

Abhängig vom Verlauf der Pandemie, von der baldigen Verfügbarkeit einer Impfung und von der Wirtschaftslage erwartet die Branchenorganisation A4A einen ersten Hoffnungsschimmer am Flugmarkt durch die zuerst wiederkehrende Nachfrage von Privatreisenden. Dagegen würden viele Firmen nach großen Krisen noch relativ lange auf teure Geschäftsreisen verzichten, so die Erfahrung der US-Airline-Branchenorganisation.

Deswegen bleibe das Thema Kostensenken auf lange Sicht vorrangig. Es werde Jahre dauern, um die jetzt aufgehäuften Schulden wieder abzubauen. Im optimalen Fall werde der US-Passagiermarkt Mitte 2023 wieder sein Niveau von 2019 erreichen und dann darüber hinauswachsen. Im schlechtesten Fall liege die Nachfrage aber noch Anfang 2024 um zehn Prozent unter der US-Passagiernachfrage des Jahres 2019, sagt die Branchenorganisation voraus.
© FLUG REVUE - Sebastian Steinke | Abb.: Delta Air Lines | 24.12.2020 07:51


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