FRANKFURT - Am 9. August stürzt eine ATR 72-500 nordwestlich von Sao Paulo ab. Alle 62 Insassen des Inlandsflugs Voepass 2283 sterben. Unfallhergang und Daten der Flugschreiber legen einen Kontrollverlust durch Vereisung nahe. Spielte bei dem Vorfall ein "schlafender Fehler" im Enteisungssystem eine Rolle?
Sao Paulo, 9. August 2023: Voepass 2283 startet den Landeanflug auf den Flughafen Guarulhos.
Um 16:17:41 Uhr schalten die Piloten das Enteisungssystem zu - "viel Eis", merkt der Erste Offizier laut Mitschnitt des Stimmenrekorders noch an, bevor die Crew die Kontrolle über die ATR 72-500 verliert. Um 16:21:09 Uhr verzeichnen die Systeme einen Strömungsarbriss, die Maschine stürzt ab - alle 62 Insassen sind auf der Stelle tot.
Diesen Ereignisverlauf hatte die brasilianische Flugunfallstelle CENIPA bereits einen Monat nach dem Unglück veröffentlicht. Die Ermittlungen dauern an.
Zwischenzeitlich hat ATR Wartungsvorgaben für das Enteisungssystem überarbeitet - eine aktuelle
Lufttüchtigkeitsanweisung der EASA macht die Änderungen bindend.
FunktionsprüfungenDie europäische Luftfahrtbehörde greift den Ermittlungen zu Voepass 2283 in dem Dokument nicht vor - weist aber auf ein Risiko durch einen "schlafenden Fehler" im ATR-Enteisungssystem hin, der kürzlich bei einer "Überprüfung der Konstruktion" aufgedeckt worden sei.
Konkret müssen Betreiber jetzt in kürzeren Intervallen Funktionsprüfungen an Druckreglern und Sperrventilen des Enteisungssystems vornehmen. Bleibe ein "schlafender Fehler" im System untentdeckt, besteht laut EASA "unter Vereisungsbedingungen die Gefahr eines Kontrollverlusts über das Flugzeug".
© aero.de | Abb.: ATR | 14.01.2025 06:28
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Beitrag vom 15.01.2025 - 18:24 Uhr
Für eine überlebenswichtige Komponente eines Fluggerätes wäre die Formulierung ' it is difficult / impossible to determine the full system functionality ' sicher inakzeptabel.
Hätte ich eigentlich auch erwartet. Allerdings nutzt die EASA den Begriff "dormant failure" ebenfalls in der Sicherheitsanweisung zur ATR Enteisungsanlage, in der sie kürzere Wartungsintervalle für bestimmte Komponenten vorgibt.
https://ad.easa.europa.eu/blob/EASA_AD_2025_0011.pdf/AD_2025-0011_1Dieser Beitrag wurde am 15.01.2025 18:25 Uhr bearbeitet.
Beitrag vom 15.01.2025 - 17:37 Uhr
Danke EricM für die Aufklärung.
Ich nehme einmal an, dass es diese Kategorie 'dormant failure' auch nur für FDRs und CVRs gibt, da das Funktionieren dieser Geräte für das sichere Ende eine konkreten Fluges ja nicht notwendig ist, sondern nur im Nachhinein zur Aufklärung von Unregelmäßigkeiten dient. Für eine überlebenswichtige Komponente eines Fluggerätes wäre die Formulierung ' it is difficult / impossible to determine the full system functionality ' sicher inakzeptabel.
Beitrag vom 15.01.2025 - 13:22 Uhr
Bevor ich meinen Arbeitsplatz ins Cockpit verlegte, habe ich als Dipl.-Ing. für Luft- und Raumfahrttechnik gearbeitet. Von einem 'schlafenden Fehler' habe ich allerdings in meiner aktiven Zeit nie gehört oder gelesen.
Kann mir bitte jemand den Unterschied zwischen einem Konstruktionsfehler und einem 'schlafenden Fehler' aufzeigen. Oder soll der Begriff nahelegen, dass die bei der Musterzulassung des Systems Beteiligten geschlafen haben ?
Berechtigte Frage.
Hier erklärt die EASA das.
https://ad.easa.europa.eu/blob/SIB_200928_FDR_CVR_Dormant_Failures.pdf
Such failures may remain hidden for a certain amount of time, as it is difficult / impossible to determine the full system functionality onboard the aircraft. This behaviour is described as a dormant failure
Sie scheint damit Fehler zu umschreiben, die durch die üblichen Checks nicht aufgedeckt werden.
Vielleicht wäre daher "unentdeckt" besser als "schlafend", denn aktive Auswirkungen haben diese Fehler ja offenbar.
Dieser Beitrag wurde am 15.01.2025 13:23 Uhr bearbeitet.
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Hätte ich eigentlich auch erwartet. Allerdings nutzt die EASA den Begriff "dormant failure" ebenfalls in der Sicherheitsanweisung zur ATR Enteisungsanlage, in der sie kürzere Wartungsintervalle für bestimmte Komponenten vorgibt.
Dieser Beitrag wurde am 15.01.2025 18:25 Uhr bearbeitet.
Ich nehme einmal an, dass es diese Kategorie 'dormant failure' auch nur für FDRs und CVRs gibt, da das Funktionieren dieser Geräte für das sichere Ende eine konkreten Fluges ja nicht notwendig ist, sondern nur im Nachhinein zur Aufklärung von Unregelmäßigkeiten dient. Für eine überlebenswichtige Komponente eines Fluggerätes wäre die Formulierung ' it is difficult / impossible to determine the full system functionality ' sicher inakzeptabel.
Kann mir bitte jemand den Unterschied zwischen einem Konstruktionsfehler und einem 'schlafenden Fehler' aufzeigen. Oder soll der Begriff nahelegen, dass die bei der Musterzulassung des Systems Beteiligten geschlafen haben ?
Berechtigte Frage.
Hier erklärt die EASA das.
Such failures may remain hidden for a certain amount of time, as it is difficult / impossible to determine the full system functionality onboard the aircraft. This behaviour is described as a dormant failure
Sie scheint damit Fehler zu umschreiben, die durch die üblichen Checks nicht aufgedeckt werden.
Vielleicht wäre daher "unentdeckt" besser als "schlafend", denn aktive Auswirkungen haben diese Fehler ja offenbar.
Dieser Beitrag wurde am 15.01.2025 13:23 Uhr bearbeitet.