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Hydraulikversagen im Landeanflug auf Omsk, Abbruch, Umleitung nach Nowosibirsk - und schließlich Notlandung im Kornfeld, weil unterwegs der Sprit ausging. Der Arbeitstag einer A320-Crew von Ural Airlines begann am 12. September turbulent.
Und er endete an einem Ort, an den zuvor wohl noch keines der Besatzungsmitglieder je gelangt war: 200 Kilometer westlich von Nowosibirsk, nahe des Mini-Dörfchens Moskowka (Ubinskoje), auf einem gigantisch großen Weizenfeld.
Den havarierten Airbus hatten Pilot Sergej Below und sein First Officer zuvor butterweich ins Getreide gesetzt. So weich, dass im Nachgang eine Passagierin der Nachrichtenagentur Tass mitteilte, die Landung habe sich "noch sanfter" angefühlt, als auf einer normalen Landebahn. Niemand an Bord sei in Panik gewesen, alles sei ruhig und professionell abgelaufen.
Ob es so weit überhaupt hätte kommen müssen, ob die Entscheidung der Crew, nach Nowosibirsk zu fliegen, tatsächlich die bestmögliche war oder ob sie nicht doch besser die Landung in Omsk versucht hätte, ist Gegenstand der laufenden Untersuchung. Für Ural Airlines-Chef Sergej Skuratow war der 12. September so oder so kein Tag zum Verzweifeln - im Gegenteil.
Alle 159 Passagiere, darunter 23 Kinder, waren wohlauf, lediglich fünf mussten laut offiziellen Angaben medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Omnibusse brachten die Fluggäste noch am selben Tag weiter an ihren Zielort Omsk, jedem Passagier wurden überdies 100.000 Rubel (970 Euro) als Entschädigung versprochen.
76 Passagiere haben ihr Geld inzwischen wohl schon ausbezahlt bekommen. Insgesamt sollen 110 Anträge auf Entschädigung bei der Airline eingegangen sein.
Besonders optimistisch gab sich Ural-Chef Skuratow hinsichtlich des weiteren Schicksals der im Feld steckenden A320. Zwar müsse Ural durch den Ausfall der notgelandeten Maschine, Kennzeichen RA-73805, vorübergehend das Flugprogramm kürzen, doch das soll laut Skuratow nur vorübergehend gelten - denn seine Fluggesellschaft werde die RA-73805 wieder flott machen.
"Das Flugzeug ist nicht kaputt", unterstrich Skuratow. Es werde, seiner Schätzung nach, etwa einen Monat dauern, um es wieder in flugbereiten Zustand zu versetzen – vor allem, weil das Fahrwerk beschädigt sei. Ansonsten habe man bisher jedoch "keine gravierenden Schäden" feststellen können.
Noch keine Entscheidung
Wie die A320 nach erfolgreicher Reparatur von ihrem Wald-und-Wiesen-Landeplatz wieder wegkommen soll, dazu nannte der Ural Airlines-General keine Details. Es habe jedoch bereits ähnlich gelagerte Fälle gegeben, bei denen ein Abtransport gelungen sei, orakelte Skuratow.
Laut Oleg Konjuk, Bezirksleiter der Region, ist die Inspektion der Maschine durch Ural-Techniker nach wie vor im Gange. Das fünfköpfige Team werde "prüfen, was als Nächstes mit dem Flugzeug zu tun ist", so Konjuk gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax. Noch sei eine Entscheidung nicht gefallen, allerdings weiß auch Konjuk bislang nicht von schweren Beschädigungen.
Man habe man das Fahrwerk der A320 mit Schwellen unterfüttert, um zu verhindern, dass es weiter in den Boden einsinkt. Auch Konjuk geht davon aus, dass die RA-73805 "noch etwa einen Monat" auf dem Feld stehen wird. Solange werde sie vor Ort ständig bewacht, um Plünderer und Schaulustige fernzuhalten. "Ist sie intakt, wird sie fliegen - ist sie nicht intakt, zerlegen sie sie in Einzelteile", sagte der Lokalpolitiker.
Start vom Weizenfeld?
So verrückt es klingen mag: Sollte die Durchsicht des Flugzeuges ergeben, dass es wieder abheben kann, dürfte eine Evakuierung auf dem Luftweg tatsächlich die einzige Option sein, die A320 in einem Stück von ihrem Feldlandeplatz wegzubekommen.
Es misst in der Länge rund sechs Kilometer. Etwa mittig ist auf Satellitenaufnahmen eine Baumgruppe auszumachen, die man aber wohl entfernen könnte. Zudem setzt in Sibirien bald der Winter ein – die Böden gefrieren. Gelingt es, das Feld vor der A320 ordentlich glattzuziehen, wäre ein Start vom hartgefrorenen Acker technisch sicher machbar.
In jedem Fall steht Ural Airlines bereits in Kontakt mit den betroffenen Landwirten. Einerseits, um entstandene Schäden auszugleichen – andererseits aber auch, um das mögliche weitere Vorgehen zu besprechen. Nicht auszuschließen also, dass der Airbus das Weizenfeld in Moskowka bald auf demselben Weg verlässt, auf dem er es am 12. September in den Morgenstunden erreichte.
© FLUG REVUE - Patrick Zwerger | Abb.: Staatsanwaltschaft Novosibirsk | 22.09.2023 08:45
Kommentare (6) Zur Startseite
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Die Russen scheinen ziemlich verzweifelt zu sein, was westliches Fluggerät angeht.
Sie sind also der Meinung:
in Deutschland und Europa würde man den Flieger (einen Millionenwert!) einfach auf dem 'Acker stehen lassen', egal in welchem Zustand der ist und sich nicht weiter darum kümmern!?
Ps. Schonmal den Namen Kallenbach gehört? Oder davon das in der Antarktis und Arktis Flieger auf Eis landen und starten?
Und selbstverständlich waren Sie gerade dort, haben den Zustand des AB und die örtlichen Gegebenheiten gründlich analysiert um dann Ihren kompetenten Beitrag abzugeben... 🙄.
Sie sind unbestreitbar ein exzellenter Fachmann und Experte.
ist halt einfach eine Kostennutzenfrage - auch wie in D.
Russland kann sich z. Z. wohl kaum leisten, an sich flugfähige Passagierflugzeuge zu verschrotten.
Dann macht man sich entsprechende Gedanken.