Greifen Airbus-Steuerungscomputer beim A330 nach Autopilot off, Autothrust off und "Alternate Law" noch irgendwie in die Steuerung ein? Z. B., um den Seitenruderausschlag zu begrenzen? Falls nicht, wieso haben die Piloten den Stall nicht beheben können?
http://www.bea.aero/fr/enquetes/vol.af.447/point.enquete.af447.27mai2011.de.pdf
27 Mai 2011
http://www.bea.aero
Bericht über die Untersuchung des Flugzeugunglücks
AF 447 am 1. Juni 2009
Besonderes Vorwort für die deutsche Mitteilung
Diese Mitteilung wurde vom BEA übersetzt und veröffentlicht, um das Verständnis für deutschsprachige
Leser zu erleichtern. Auch wenn die Übersetzung so akkurat wie möglich ist, ist der französische Text als
Referenz zu betrachten.
Ablauf des Flugs
Am Sonntag, den 31. Mai 2009 war der Airbus A330-203 mit der Kennung F-GZCP, betrieben
von Air France, für den Linienflug AF447 zwischen Rio de Janeiro Galeão und Paris Charles de
Gaulle geplant. Zwölf Besatzungsmitglieder (3 Piloten, 9 Flugbegleiter) und 216 Passagiere
befanden sich an Bord des Flugzeugs. Der Abflug war für 22:00(1) Uhr vorgesehen.
Gegen 22:10 Uhr erhielt die Besatzung die Freigabe zum Starten der Triebwerke und Verlassen
der Parkposition. Die Maschine hob um 22:29 Uhr ab. Der Flugkapitän war PNF und einer der
Kopiloten war PF.
Das Abfluggewicht betrug 232,8 Tonnen (bei einem MTOW von 233 Tonnen), einschließlich
70,4 Tonnen Treibstoff.
Um 01:35:15 Uhr informierte die Besatzung den Kontrolleur von ATLANTICO, dass das
Flugzeug den Meldepunkt INTOL überflogen hatte und meldete anschließend die folgenden
Schätzungen: SALPU um 01:48 Uhr, danach ORARO um 02:00 Uhr. Sie sendeten auch den
SELCAL-Code und es wurde ein erfolgreicher Test durchgeführt.
Um 01:35:46 Uhr forderte der Kontrolleur die Besatzung auf, FL350 beizubehalten und ihre
Schätzung für TASIL zu melden.
Um 01:55 Uhr weckte der Flugkapitän den zweiten Kopiloten auf und sagte "[…] er wird meinen
Platz übernehmen".
Zwischen 01:59:32 Uhr und 02:01:46 Uhr nahm der Flugkapitän an der Besprechung
zwischen den beiden Kopiloten teil, in deren Verlauf der PF insbesondere sagte "die
kleine Turbulenz, die du gerade erlebt hast […] eine von dieser Art dürfte vor uns liegen […]
wir sind leider in der Wolkenschicht, wir können im Moment nicht viel höher gehen, denn
die Temperatur sinkt langsamer als vorhergesehen" und "das Logon mit Dakar hat nicht
geklappt". Der Flugkapitän verließ das Cockpit.
Das Flugzeug näherte sich dem Punkt ORARO. Es flog auf Flugfläche 350 und mit Mach 0,82;
die Längsneigung lag bei etwa 2,5 Grad. Das Gewicht und die Schwerpunktlage des Flugzeugs
betrugen etwa 205 Tonnen bzw. 29%. Autopilot 2 und Autothrust waren eingeschaltet.
Um 02:06:04 Uhr rief der PF die Flugbegleiter an und sagt ihnen "in zwei Minuten dürften wir
in eine Zone geraten, in der es ein wenig turbulenter zugehen wird als im Moment, da müsst
ihr aufpassen" und er fügt hinzu "ich rufe dich zurück, sobald wir wieder draußen sind".
Um 02:08:07 Uhr schlug der PNF vor "du kannst eventuell etwas weiter nach links steuern[…]".
Das Flugzeug setzte zu einer leichten Kurve nach links an; die Abweichung von der ursprünglich
vorgesehenen Route betrug etwa 12 Grad. Die Turbulenzen nahmen leicht zu und die Piloten
entschieden, die Geschwindigkeit auf etwa Mach 0,8 zu reduzieren.
Ab 02:10:05 Uhr schaltetne sich der Autopilot und anschließend der Autothrust ab und der
PF sagte "ich habe die Steuerung übernommen". Das Flugzeug begann nach rechts abzukippen
und der PF zog das Flugzeug nach links hoch ("Pitch-up"). Die Überziehwarnung wurde zwei
Mal in Folge ausgelöst. Die aufgezeichneten Parameter zeigten einen plötzlichen Abfall der
Geschwindigkeit von ca. 275 kt auf 60 kt in der linken primären Fluganzeige und kurz darauf
in der auf dem ISIS (Integrated Standby Instrument System) angezeigten Geschwindigkeit.
Anmerkung 1: Nur die in der linken primären Fluganzeige und auf dem ISIS angezeigten
Geschwindigkeiten werden im Flugdatenschreiber aufgezeichnet; die auf der rechten Seite
angezeigte Geschwindigkeit wird nicht aufgezeichnet.
Anmerkung 2: Autopilot und Autothrust blieben bis zum Ende des Flugs abgeschaltet.
Um 02:10:16 Uhr sagte der PNF "wir haben die Geschwindigkeiten verloren" und anschließend
"Alternate Law {...]".
Anmerkung 1: Der Anstellwinkel ist der Winkel zwischen der Anströmung (relativer Wind) und
der Längsachse des Flugzeugs. Diese Information wird den Piloten nicht angezeigt.
Anmerkung 2: Bei den Alternate oder Direct Laws sind die Anstellwinkel-Schutzsysteme nicht
mehr verfügbar, aber es wird eine Überziehwarnung (Stall Warning) ausgelöst, wenn der
größte der Anstellwinkelwerte eine bestimmte Schwelle überschreitet.
Der Anstellwinkel des Flugzeugs erhöhte sich nach und nach über 10 Grad hinaus und das
Flugzeug geriet in eine ansteigende Bahn. Der PF zog das Flugzeug hoch (Pitch-up) und
abwechselnd nach rechts und nach links. Die vertikale Geschwindigkeit, die 7.000 ft/min
erreicht hatte, sank auf 700 ft/min und es kam zu einem Abkippen zwischen 12 Grad nach
rechts und 10 Grad nach links. Die auf der linken Seite angezeigte Geschwindigkeit erhöhte
sich plötzlich auf 215 kt (Mach 0,68). Das Flugzeug befand sich nun in einer Höhe von etwa
37.500 ft und der aufgezeichnete Anstellwinkel betrug etwa 4 Grad.
Ab 02:10:50 Uhr versuchte der PNF mehrmals den Flugkapitän zurückzuzurufen.
Um 02:10:51 Uhr wurde die Überziehwarnung erneut ausgelöst. Die Schubhebel befanden
sich in der Stellung TO/GA und der PF zog das Flugzeug weiterhin hoch. Der aufgezeichnete
Anstellwinkel von etwa 6 Grad bei Auslösen der Überziehwarnung nahm weiter zu. Die
trimmbare Höhenflosse (THS) wechselte innerhalb von 1 Minute von 3 auf 13 Grad hochgezogen
und blieb bis zum Ende des Flugs in dieser Position.
Etwa fünfzehn Sekunden später erhöhte sich die auf dem ISIS angezeigte Geschwindigkeit
plötzlich auf etwa 185 kt; sie war nun mit der anderen aufgezeichneten Geschwindigkeit
konsistent. Der PF zog das Flugzeug weiterhin hoch. Die Flughöhe erreichte ihr Maximum von
etwa 38.000 ft, die Neigung und der Anstellwinkel betrugen 16 Grad.
Anmerkung: Die Inkonsistenz zwischen den links angezeigten und auf dem ISIS angezeigten
Geschwindigkeiten dauerte etwas weniger als eine Minute.
Gegen 02:11:40 Uhr kehrte der Flugkapitän in das Cockpit zurück. In den nachfolgenden
Sekunden wurden alle aufgezeichneten Geschwindigkeiten ungültig und die Überziehwarnung
stoppte.
Anmerkung: Wenn die gemessenen Geschwindigkeiten unter 60 kt fallen, werden die
gemessenen Anstellwinkelwerte als ungültig betrachtet und von den Systemen nicht
berücksichtigt. Wenn sie unter 30 kt liegen, werden die Geschwindigkeitswerte selbst als
ungültig betrachtet.
Die Höhe betrug nun etwa 35.000 ft, der Anstellwinkel war höher als 40 Grad und die vertikale
Geschwindigkeit lag bei etwa -10.000 ft/min. Die Neigung des Flugzeugs betrug nicht
mehr als 15 Grad und die N1 der Triebwerke lagen bei annäherd 100 %. Das Flugzeug war
Schwankbewegungen ausgesetzt, die manchmal bis zu 40 Grad erreichten. Der PF drückte
etwa 30 Sekunden lang den Steuerknüppel bis zum linken Anschlag und Pitch-up.
Um 02:12:02 Uhr sagte der PF "ich habe keine Angaben mehr" und der PNF "wir haben
keine gültigen Angaben mehr". Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Schubhebel in der
Stellung IDLE, die N1 der Triebwerke lagen bei 55 %. Etwa fünfzehn Sekunden später zog
der PF das Flugzeug nach unten (Pitch-down). In den nachfolgenden Momenten wurde eine
Verringerung des Anstellwinkels festgestellt, die Geschwindigkeiten wurden erneut gültig
und die Überziehwarnung wurde erneut aktiviert.
Um 02.13.32 Uhr sagte der PF "wir werden auf Level hundert kommen". Etwa fünfzehn Sekunden
später wurden gleichzeitige Einwirkungen der beiden Piloten auf die Steuerknüppel
aufgezeichnet und der PF sagt "mach du, übernimm die Steuerung".
Der Anstellwinkel blieb, wenn er gültig war, immer über 35 Grad.
Die Aufzeichnungen endeten um 02.14:28 Uhr. Die letzten aufgezeichneten Werte waren eine
vertikale Geschwindigkeit von -10.912 ft/min, eine Bodengeschwindigkeit von 107 kt, eine
Neigung von 16,2 Grad hochgezogen, ein Rollwinkel von 5,3 Grad und ein magnetischer Kurs
von 270 Grad.
Neue ermittelte Tatsachen
In dieser Phase der Untersuchung, konnten ergänzend zu den Zwischenberichten des BEA
vom 2. Juli und 17. Dezember 2009 die folgenden neuen Tatsachen ermittelt werden:
*.) Die Zusammensetzung der Besatzung entsprach den Verfahren des Betreibers.
*.) Zum Zeitpunkt des Vorfalls lagen das Gewicht und die Schwerpunktlage des Flugzeugs
innerhalb der Betriebsgrenzen.
*.) Zum Zeitpunkt des Vorfalls befanden sich die beiden Kopiloten im Cockpit und der Flugkapitän
in der Ruhepause; letzterer kam etwa 1 Minute 30 Sekunden nach Abschalten des
Autopiloten ins Cockpit zurück.
*.) Es kam zu einer Inkonsistenz zwischen den auf der linken Seite angezeigten und auf dem
Integrated Standby Instrument System (ISIS) angezeigten Geschwindigkeiten. Diese
Inkonsistenz dauerte etwas weniger als eine Minute
*.) Nach dem Abschalten des Autopiloten:
- stieg das Flugzeug auf die Höhe von 38.000 ft;
- wurde der Überziehalarm (Stall Warning) ausgelöst und das Flugzeug sackte ab;
- die Steuerungen des PF bestanden hauptsächlich in einem Hochziehen des Flugzeugs
(Pitch-up);
- der Abstieg dauerte 3 Minuten und 30 Sekunden; das Flugzeug blieb während dieser
Zeit im Stall-Zustand (Überziehen). Der Anstellwinkel erhöhte sich und blieb bei über
35 Grad;
- die Triebwerke funktionierten und reagierten immer auf die Steuerungen der Besatzung;
*.) Die letzten aufgezeichneten Werte waren eine Neigung von 16,2 Grad hochgezogen, ein
Rollwinkel von 5,3 Grad nach links und eine vertikale Geschwindigkeit von 10.912 ft/min.
Dieser Beitrag wurde am 27.05.2011 19:32 Uhr bearbeitet.