Community / / A320 trennten noch 1,80 Meter von Ka...

Beitrag 16 - 30 von 33
Beitrag vom 12.07.2022 - 17:17 Uhr
UserGaidi
User (60 Beiträge)
Mir scheint, als ob viele Missverständnisse bestehen, was einen RNAV/RNP Anflug angeht.

Die Aussagen von freightdawg und Nodrog sind z.B. zwar an sich richtig, aber bei einem RNAV/RNP Anflug leider nicht verifizierbar. Das ist ja das vertrackte. Blotto hat das korrekt angesprochen, allerdings arg kurz, sodass es nicht sofort verständlich wirkt.

Bei einem solchen Anflug wird das vertikale Profil ausschließlich über den Höhenmesser geflogen indem die Anzeige des Pfads aus diesem errechnet wird.

Wenn also z.B. beim Beginn des letzten Sinkfluges (am FAP oder FAF oder wie immer die verschiedenen Systeme diesen Punkt nennen) die Position mit z.B. 3000' und der letzte Punkt (üblicherweise über der Schwelle) mit 50' über der Höhe der Schwelle im FMS programmiert ist (also z.B. 125' bei 75' Schwellenhöhe), dann berechnet das FMS den Anflugpfad aus diesen Höhen. Bei Boeing ist noch ein angezeigter Winkel angezeigt im FMS, wie der jedoch berechnet wird, weiß ich jetzt leider auch nicht, ebenso wenig, was ein Airbus da anzeigt.

Bevor man einen solchen Anflug beginnt, muss er im Allgemeinen "validiert" werden, dazu gehört u.a., dass der Wert des angezeigten Pfades (in Grad) im FMS innerhalb eines bestimmten Bereichs mit dem in der Karte verzeichneten Pfad liegen muss (also z.B. 2,99° im FMS gegenüber 3° in der Karte), dass die Punkte des Anflugs mit der richtigen Höhe kodiert sind, und dass die Distanzen dazwischen innerhalb bestimmter Bereiche sind. Nur wenn die Kodierung diesen Validierungs-Kriterien entspricht, kann der Anflug gekoppelt oder mit VNAV geflogen werden, ansonsten ist er "klassisch" mit V/S oder FPA zu fliegen (Boeing, bei Airbus mag das anders sein), was wiederum in höheren Anflug-Minima resultiert.

Man überprüft also die Kodierung und fliegt dann dieses Profil so wie kodiert ab.

Wenn ich dann am FAP/FAF mit z.B. 3000' anfangen muss, dann fliegt man dort mit ANGEZEIGTEN 3000', egal, ob ich jetzt das QNH falsch eingestellt habe oder nicht. Es ist kein Anflug mit wahren Höhen, nur angezeigten Höhen. Wenn ich dann also im laufe des Anfluges daher die Distanzen und die Höhe immer wieder überprüfe, dann mache ich nichts anderes, als dass ich das Profil überprüfe, dass ich jetzt gerade relativ zum kodierten oder kartografierten Profil ANGEZEIGT fliege. Ich weiß die WAHRE Höhe nicht. Deswegen sieht auf den Instrumenten im Cockpit bei falsch eingestelltem Luftdruck das ANGEZEIGTE Profil genauso aus, wie das gewünschte kartografierte Profil, ist aber natürlich falsch.

Der erste richtig wahre Wert, den man angezeigt bekommt, ist der Radio-Höhenmesser unter 2500' über Grund. Da man aber das Profil der Landschaft vor der Bahn nicht kennt, ist der oft nicht zu gebrauchen und wird erst später relevant, wenn es bei einem solchen RNAV Anflug eigentlich zu spät ist.

Das ist einer der vielen, aber großen Unterschiede zu beispielsweise einem ILS Anflug, da dort der Gleitpfad die wahre Höhe anzeigt (nicht in Fuß auf dem Höhenmesser, aber als Symbol auf den Instrumenten). So kann man dann mit Entfernungen überprüfen, was auf dem Höhenmesser tatsächlich angezeigt wird.

In vielen neueren Cockpits kann dann noch ein System eingebaut sein, das intern die Höhe des Profils vergleicht und in Bodennähe dann eine auditive Warnung ausruft, z.B. "Altimeter setting!", aber die genauen Werte, wann das passiert, sind mir nicht bekannt, ebenso wenig, welche Parameter und Inputs genau für diese Warnung herangezogen werden (wahrscheinlich GNSS).

Wenn man also daher den Anflug mit einem falschen QNH beginnt, kann man den Flieger unangespitzt in den Boden fliegen, wenn der Unterschied zwischen echtem und falschen QNH groß genug ist. Sogar ohne jemals vorher aus dem Fenster gesehen zu haben (wenn keine entsprechenden Warnsysteme wie oben beschrieben eingebaut sind). Eine GPWS Warnung wird man auch nicht bekommen, da der Flieger ja für die Landung konfiguriert ist und die Annäherung an den Boden ja gewollt ist. Nur ein EGPWS mag hier noch Abhilfe schaffen, wenn es die Position mit der Datenbank der Bahnkoordinaten vergleicht. Aber es ist alles andere als selbstverständlich, dass das eingebaut ist. Ebenso wenig mag es überhaupt anschlagen, da auch hier entsprechende Toleranzen eingebaut sind (sein müssen).

Der einzig wirkliche Schutz ist der bereits vorher angesprochene Gegencheck mit der ATIS, am besten natürlich der digitalen, also schriftlichen.

Denn, und das ist ja schon seit Jahrzehnten das Dilemma: Der Unterschied zwischen "One zero zero one" und "One zero one one" mit obendrein den verschiedensten Akzenten ist marginal und schnell missverständlich (und der französische Akzent mag zwar nett klingen, aber er ist bei den meisten, die ihn haben, richtig stark und sehr oft schwierig zu verstehen, selbst bei denen, die fließend englisch sprechen).

Das war auch früher schon ein Thema, immerhin kam man dann ja auf die Idee vor ein paar Jahrzehnten, z.B. die Anweisungen für Höhenangaben zu ändern, z.B. FL "one hundred" anstelle "one zero zero". Es gab schlicht zu viele Verwechslungen und knappe Begegnungen, weil die einen auf 100 gingen, obwohl sie auf 110 sollten und umgekehrt. Gilt ja auch für tausender.

Warum man hier nicht schon längst den Sprachgebrauch geändert hat, ist mir ein Rätsel. "Eleven" ist m.E. nach völlig eindeutig und hört sich wie keine andere Zahl an. Das trifft auf "ten" ebenso zu, mit kleinen Einschränkungen. Und allemal zig mal besser als "one one" oder "one zero", speziell, wenn diverse Male hintereinander gesagt.

Wenn man den Kollegen in Paris ohne weitere Kenntnis der Details überhaupt einen Vorwurf machen kann, dann m.E. den, dass sie anscheinend ohne große Nachfrage oder Gegencheck mit der ATIS den QNH Wert angenommen haben. Aber auch das ist nicht zwangsweise so, da sie evtl. keine digitale ATIS hatten (weil: fehlt im Flieger, das System?) und dann die ATIS abgehört hatten und es durchaus möglich ist, den dortigen Wert misszuverstehen. Obendrein hört wahrscheinlich nur einer der beiden die ATIS ab - da gäbe es dann auch noch Verbesserungsmöglichkeiten, speziell bei geplantem RNAV Anflug.

Ich hoffe, das trägt ein wenig mehr zum Verständnis bei. Ich finde die obigen ziemlich pauschalen Aburteilungen ziemlich unzutreffend.
Beitrag vom 12.07.2022 - 17:45 Uhr
UserEricM
User (5516 Beiträge)
Ich hoffe, das trägt ein wenig mehr zum Verständnis bei.

Ja, definitiv, danke für die Spitzen-Erklärung.
Beitrag vom 12.07.2022 - 20:22 Uhr
UserJordanPensionär
Pensionär
User (2385 Beiträge)

Ich hoffe, das trägt ein wenig mehr zum Verständnis bei. Ich finde die obigen ziemlich pauschalen Aburteilungen ziemlich unzutreffend.

Danke auch für die Erklärung. Gleichzeitig macht mir das echt Angst!

Technikgläubigkeit bis zur (glücklicherweise nicht passierten) Katastrophe.

Nochmals:
hätte ein Blick aus dem Fenster nach vorne und nach der Seite gereicht um zumindest zu erkennen, dass da gewaltig was schief läuft!?

Btw. Ist eigentlich schon näheres über die Katastrophe in China vor Kurzem bekannt?

Beitrag vom 12.07.2022 - 21:51 Uhr
UserGaidi
User (60 Beiträge)
@JordanPensionär: Schwer zu sagen. Es liest sich schon seltsam das alles. Speziell das weitere Sinken nach Einleitung des GA. Aber man kann bis zum Bericht eh nur spekulieren, sinnlos also.

Was den Unfall in China betrifft, scheint es wohl - aber auch das bisher ohne definitive Grundlage - auf Suizid hinaus zu laufen. Zwar ohne Grundlage, sprich Beweis bisher (ob der je kommt, wenn man bedenkt, wo das stattfand?), aber scheint durchaus Sinn zu ergeben: Ich kenne niemanden, der mir erklären kann, wie ein Flugzeug ungewollt ein solches Profil mit der Nase spitz nach unten fliegen könnte. Aber bitte mit Vorsicht zu genießen, das ist nur eine Schlussfolgerung, kein Beweis oder mit Anspruch auf endgültige Richtigkeit.
Beitrag vom 13.07.2022 - 09:33 Uhr
UserRunway
User (2880 Beiträge)

Ich hoffe, das trägt ein wenig mehr zum Verständnis bei. Ich finde die obigen ziemlich pauschalen Aburteilungen ziemlich unzutreffend.

Danke auch für die Erklärung. Gleichzeitig macht mir das echt Angst!

Technikgläubigkeit bis zur (glücklicherweise nicht passierten) Katastrophe.

Nochmals:
hätte ein Blick aus dem Fenster nach vorne und nach der Seite gereicht um zumindest zu erkennen, dass da gewaltig was schief läuft!?

Genau dies Gefühl von Zweifeln an der Sicherheit bei Landungen hatte ich auch. War bisher davon ausgegangen das die elektronischen Helferlein an Bord und Boden soviel Redundanz aufweisen das zwar kurzfristig Diskrepanzen entstehen diese aber sehr schnell entdeckt werden können. Danke an Gaidu für die ausf. Erklärung. Auch wenn das für mich mangels Kenntnis nicht wirklich nachvollziehbar ist.

Erklärt aber noch immer nicht wie ein Blick aus dem Fenster 1,80 m Höhe ohne Sicht auf Landebahn nicht verhindert hätte. Von dichtem Bodennebel war doch nirgends die Rede. Es bleibt für mich als Fluglaien unverständlich.
Beitrag vom 13.07.2022 - 11:19 Uhr
UserBlotto
User (349 Beiträge)
Technikgläubigkeit bis zur (glücklicherweise nicht passierten) Katastrophe.

Hier ist ja eher ein Mangel an Technik. Die ATIS wurde mutmaßlich nur verbal übertragen, crosscheck über die ATIS Frequenz macht vermutlich auch kaum jemand. Das verbunden mit Anflugverfahren, das an der Stelle seinen Schwachpunkt hat. Vermutlich hat der Flieger auch kein LPV eingerüstet.
Also: Mit mehr Technik (LPV, D-ATIS) wäre das vielleicht so nicht passiert.

Nochmals:
hätte ein Blick aus dem Fenster nach vorne und nach der Seite gereicht um zumindest zu erkennen, dass da gewaltig was schief läuft!?

Könnte gut sein, dass die Passagiere das besser sehen konnten, als die beiden in Reihe 0. Wenn man durch einen entsprechenden Regenschauer fliegt, ist die Sicht nach vorne auch schnell mal null.
Im Report wird ja auch von Wetter im Anflug gesprochen, das noch nicht am Platz war.
Beitrag vom 13.07.2022 - 11:36 Uhr
UserBlotto
User (349 Beiträge)
@JordanPensionär: Schwer zu sagen. Es liest sich schon seltsam das alles. Speziell das weitere Sinken nach Einleitung des GA. Aber man kann bis zum Bericht eh nur spekulieren, sinnlos also.

Laut Bericht steigt der Flieger ziemlich direkt nach setzen von TOGA. Was mich als Laien wundert ist der Abstand von 18 Sekunden zwischen erster MSAW und dem Einleiten des Go-Around. Das riecht so, als hätten die Piloten nicht geringste Idee davon gehabt, in welcher Situation der Flieger ist.
Beitrag vom 13.07.2022 - 13:05 Uhr
Userfbwlaie
User (4897 Beiträge)
Was helfen QNH-Angaben, wenn keiner richtig zuhört bzw. sich nicht um eine klare Aussprache kümmert.
Wie kann es sein, dass Anweisungen von Lotsen lt. Protokol unverständlich sind?
Sprechtraining für einen Fluglotsen - weshalb nicht!
Im konkreten Fall muss man sich natürlich fragen, weshalb der Lotse bzw. die Radarüberwachung keinen
Alarm ausgelöst haben. Der Lotse sieht doch ggf. die Höhe lt. Transponder (1013HP basiert)?
Beitrag vom 13.07.2022 - 13:31 Uhr
UserFRA251
F/O
User (78 Beiträge)
Vielleicht auch noch einmal ein guter Anlass, um die entsprechenden SOP‘s etwas nachzubessern und die Bedeutung eines korrekt eingestellten QNH‘s hervorzuheben. Da verfolgt unsere Firma m.E. nach einen guten Ansatz: PM stellt den QNH mit Hilfe der Vorhersage aus den Flugplan ein, PF mit Hilfe der ATIS/ des Towers. Kommt es zu einer Diskrepanz wird umgehend nachgefragt.
Wie auch immer, Glück im Unglück für alle Beteiligten und hoffentlich eine Lehre für die Zukunft!
Beitrag vom 13.07.2022 - 17:39 Uhr
UserFW 190
User (2115 Beiträge)

Wäre interessant ob sie über ACARS eine ATIS gedruckt bekommen haben. Wenn du ihn nur per Funk bekommst, dann wird es schwierig. Im Report steht ja, dass ATC den Wert falsch übermittelt hat. Und der Air France hintendran dann auf französisch den richtigen Wert sagt. Ich werde nicht verstehen, warum man an so einem riesigen Airport die Sprachen wechselt...

Wieso nicht? Fliege viel nach Latein Amerika und habe spanisch oder portugiesisch nie als Gefahr empfunden. Ob ein falscher Wert jetzt auf Englisch oder einer anderen Sprache übermittelt wird, spielt auch keine Rolle. Falsch ist falsch. Der QNH hatte verifiziert werden

Nun, wenn die aber dannach den richtigen Wert auf Französich genannt haben, läßt das schon auf Sprachprobleme schließen. Einfach immer auch in Englisch die wichtigen Daten durchgeben das schult ja auch das Sprachverständnis und die richtige Aussprache. Nur den small talk in Landesprache. Aber das Problem mit der Atis kann auch dem Cockpit zugerechnet werden.

Beitrag vom 13.07.2022 - 21:05 Uhr
UserJordanPensionär
Pensionär
User (2385 Beiträge)
Ich stelle mir gerade vor, da hätte gar keiner mehr auf "Null" gesessen. Soll ja irgendwie dran geforscht werden (wegen zu hoher Lohnkosten und so...).
Beitrag vom 14.07.2022 - 08:20 Uhr
UserTiburon
User (3 Beiträge)
Danke Gaidi für die wirklich gute Erklärung.

Was helfen QNH-Angaben, wenn keiner richtig zuhört bzw. sich nicht um eine klare Aussprache kümmert.
Wie kann es sein, dass Anweisungen von Lotsen lt. Protokol unverständlich sind?
Sprechtraining für einen Fluglotsen - weshalb nicht!
Im konkreten Fall muss man sich natürlich fragen, weshalb der Lotse bzw. die Radarüberwachung keinen
Alarm ausgelöst haben. Der Lotse sieht doch ggf. die Höhe lt. Transponder (1013HP basiert)?

In der Tat hätte dies auf dem Radarbild des Lotsen auffallen können. Allerdings muss man beachten, dass eine Abweichung von 300 ft im Sinkflug nicht so leicht auffällt (wenn es kein System gibt, das dies überwacht). Wenn das Flugzeug konstant in einer Höhe fliegt, fällt eine Abweichung von 300 ft relativ leicht auf, im Enroute-Descent gar nicht und im Endanflug kaum. Da muss der Lotse schon sehr genau hinschauen, um zu erkennen, dass Position und Höhe nicht zusammenpassen. Auf Flightradar24 sieht es so aus, als hätte der Flug einen kontinuierlichen Sinkflug durchgeführt, also keinen Levelflug in einer Altitude, wo man das hätte erkennen können.
Erst nach dem ersten Anflug kam ein längeres Segment mit 5000 ft. Dass ATC hier nicht darauf aufmerksam wurde, dass da mit dem QNH etwas nicht stimmen kann, ist bedenklich.
Beitrag vom 15.07.2022 - 22:31 Uhr
UserNicci72
User (575 Beiträge)
@JordanPensionär: Schwer zu sagen. Es liest sich schon seltsam das alles.(...)

Beim Aviation Herald kann man außerdem lesen, dass beim zweiten Anflug der ATC die richtige QNH durchgab, der PM aber die falsche aus dem ersten Anflug als Readback wiedergab, ohne dass dies vom ATC korrigiert worden wäre, so dass es beinahe zweimal zu einem CFIT gekommen wäre.
Beitrag vom 15.07.2022 - 23:27 Uhr
UserEin Leser dieser..
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User (657 Beiträge)
Ich stelle mir gerade vor, da hätte gar keiner mehr auf "Null" gesessen. Soll ja irgendwie dran geforscht werden (wegen zu hoher Lohnkosten und so...).

Dann hätte wohl auch kein ATC etwas falsches gesagt. Nicht die Technik war schuld.
Ob´s einen nun gefällt oder nicht.
Beitrag vom 15.07.2022 - 23:30 Uhr
UserEin Leser dieser..
... Seite
User (657 Beiträge)
...
Im konkreten Fall muss man sich natürlich fragen, weshalb der Lotse bzw. die Radarüberwachung keinen Alarm ausgelöst haben. Der Lotse sieht doch ggf. die Höhe lt. Transponder (1013HP basiert)?

Wenn die Maschine "glaubt" auf einer anderen Höhe zu sein, dann wird sie die falsche Höhe auch über den Transponder ausgeben.