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Boeing und Piloten zanken über Aufklärung zu MCAS

Air Italy Boeing 737 MAX
Air Italy Boeing 737 MAX, © Boeing/Craig Larsen

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SEATTLE - Das Assistenzsystem MCAS war bis November 2018 nur einem kleinen Expertenkreis ein Begriff. Boeing-Chef Dennis Muilenburg tritt trotzdem energisch Vorwürfen entgegen, Boeing habe Piloten eine wichtige Funktion der 737 MAX "absichtlich vorenthalten". Die sehen das anders.

"Alle relevanten Systemfunktionen werden im Flight Crew Operations Manual erklärt", verteidigt Muilenburg die Flugsicherheit der 737 MAX in einem Memo an die Mitarbeiter. Gegenteilige Darstellungen "in den Medien" seien "schlichtweg falsch".

Das Maneuvering Characteristics Augmentation System, kurz MCAS, ist ein neues Schutzsystem: errechnet der Computer einen drohenden Strömungsabriss, trimmt er die Nase der 737 MAX automatisch runter. Das MCAS verarbeitet dazu unter anderem Daten der Anströmwinkelsensoren.

Eine Fehlfunktion dieser Sensoren und Eingriffe des MCAS könnten die Piloten des Lion Air Flugs 610 am 29. Oktober vor massive Steuerungsprobleme gestellt haben - die endgültigen Ergebnisse der Untersuchungen zu dem Absturz der werksneuen 737 MAX 8 in die Javasee liegen noch nicht vor. Alle 189 Menschen an Bord sind bei dem Absturz ums Leben gekommen.

Boeing hat sich mit Hinweis auf die laufenden Flugunfallermittlungen bisher nicht öffentlich zu einer möglichen Verwicklung des MCAS positioniert. Der Hersteller wies Piloten und Betreiber jedoch Tage nach dem Absturz auf ein Verfahren hin, mit dem sich Eingriffe des MCAS "überstimmen" lassen.

Dringliche Lufttüchtigkeitsanweisungen für die 737 MAX 8 und 737 MAX 9 der US-Luftfahrtaufsicht FAA legen nahe, dass sich die Möglichkeit automatischer MCAS-Eingriffe in die Trimmung bis zum Absturz des Lion-Air-Flugs nicht allzu weit rumgesprochen hatte.

Laut FAA besteht die Gefahr, dass bei gestörtem Anstellwinkelsensor mehrfach automatische, starke Abwärts-Steuerimpulse über die Trimmung des Höhenruders gegeben werden. Diese könnten zu "Schwierigkeiten bei der Steuerung, exzessiver Sinkfluglage, starkem Höhenverlust und Bodenkollsionen" führen, so die behördliche Warnung.

Bei allen Anzeichen für eine vertrimmte Steuerung und eine Störung der Anstellwinkelmessung oder Geschwindigkeitsanzeige solle sofort das Verfahren für "Runaway Stabilizer" eingeleitet werden, mahnt die FAA.

Einigermaßen vertrimmt finden Piloten, Instruktoren und einige Betreiber der 737 MAX die anfänglichen Produktinformationen des Herstellers.

"Wir hatten keine Kenntnis einiger Funktionen des Maneuvering Characteristics Augmentation System, das in der 737 MAX 8 installiert ist", zitierte "Reuters" einen American-Sprecher. Southwest Airlines unterrichtete ihre Piloten letzte Woche eilig über die Funktionsweise des Flugassistenzsystems

Chinesische Airlines sind behördlich angehalten, Flughandbücher der 737 MAX zu aktualisieren. Muilenburgs Perspektive steht in direktem Widerspruch zu der größerer Betreiber. In einer Telefonkonferenz will sich Boeing am Dienstag weiteren Fragen seiner Kunden zu den Systemen der 737 MAX stellen.

"Ziemlich aktiv"

Doch Boeing erhält auch Rückendeckung. Schließlich arbeiteten viele Systeme eines Flugzeugs im Hintergrund, sagte der Chef der United-Pilotengewerkschaft, Flugkapitän Todd Insler - in einem Airbus sogar noch mehr als in einer Boeing. "Ich muss nicht wissen, wie das im einzelnen funktioniert".

Insler weist darauf hin, dass das Flughandbuch der 737 MAX zwar nicht auf das MCAS eingeht, dafür aber Verfahrensregeln nennt, mit denen automatische Eingriffe in die Flugsteuerung deaktiviert werden können. "Die Frage (...) hier ist, warum die (Lion Air-, Red.) Piloten das Flugzeug nicht geflogen haben."

In der US-Pilotenszene gehen die Meinungen über die Aufklärungspflichten von Boeing zum MCAS polar auseinander.

"Dieses System arbeitet eben nicht nur im Hintergrund", sagte der Vertreter der Piloten von American Airlines, Flugkapitän Dennis Tajer. Das MCAS "ist ziemlich aktiv" und "beeinflusst Steuerung und Handlingeigenschaften". Durch das System verhielten sich 737 MAX eben "anders als ältere Modelle der 737".
© aero.de, Flug Revue, Bloomberg News | Abb.: Air Italy | 20.11.2018 12:45

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Beitrag vom 21.11.2018 - 01:31 Uhr
mal ganz abgesehen von dem völlig bekloppten Statement von diesem Cpt. Todd Insler ... ich frag mich immer ob das MCAS seitens Boeing für sich alleine operiert oder im Verbund mit anderen FAC.
Hat da jemand von euch mehr Info´s?
Beitrag vom 20.11.2018 - 18:54 Uhr
Ich hätte gewettet, das er unter 45 ist, aber er ist 49. Jedenfalls ein „Child of Magenta“ sprich Computer Fliegergeneration. A 320 hat er auch schon als CPT geflogen. Vielleicht wusste er auch bei diesem Flugzeug nicht was alles im Hintergrund abläuft. Wie war das noch mal mit AF, LH in Hamburg, AirAsia, T7 in LAX und Dubai beim Go around? Usw.. Jedenfalls sollte man wissen wie die kritische Situation zu meistern ist.

Im Normalfall treten die Umstände wo dieses Wissen um die Reaktion des Flugzeuges in 3 oder 4 Pilotenleben nur einmal auf, wenn das reicht. Dann geht es aber ums Ganze. Aber sein Gehalt ist sicher seinem Können angemessen.
@ 25.1309: ich laufe auch mit raus...
Beitrag vom 20.11.2018 - 17:59 Uhr
"Ich muss nicht wissen, wie das im einzelnen funktioniert".

Ob er auf der Boeing Payrol steht? Anders ist ein solches Statement kaum zu erklären.


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