"Seattle Times"
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Boeing hat Blitzschutz der 787-Tanks aufgeweicht

KLM Boeing 787-10
KLM Boeing 787-10, © KLM

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SEATTLE - Boeing hat am Dreamliner zwei Absicherungen der Flügeltanks gegen Blitztreffer still und heimlich abgeschafft. Die mutmaßlich zu Lasten der Produktsicherheit umgesetzen Sparmaßnahmen bringen nicht nur den Hersteller in Erklärungsnot - die US-Luftfahrtaufsicht FAA hat beide Male vor Boeing gekuscht.

Die Grundkonstruktion der 787 aus Verbundwerkstoffen erfordert besonderen Blitzschutz - insbesondere die Treibstofftanks müssen gegen Einschläge gesichert werden, besser mehrlagig - denn im Schnitt wird jedes Flugzeug einmal pro Jahr vom Blitz getroffen.

An frühen Dreamlinern hat Boeing noch alle Schrauben der Tragflächen mit kleinen Schutzkappen versehen. Diese Abschirmung hat der Konzern nach Recherchen der "Seattle Times" bereits vor fünf Jahren "unter minimaler Einbindung der FAA" verworfen - das Centteil war Boeing in der Produktion schlicht zu teuer und bedeutete zusätzlichen Wartungsaufwand für die Kunden.

Anfang 2019 speckten die Ingenieure den Gewitterschutz der 787 weiter ab - Boeing fing an, Dreamliner-Tragflächen ohne blitzableitende Streifen aus Kupferfolie zu produzieren. Am 22. Februar - Tage vor dem zweiten Absturz einer Boeing 737 MAX - wollte die FAA den Hersteller laut "Seattle Times" hier noch zurückpfeifen, doch Boeing legte Einspruch ein.

Begründung: 40 787 seien bereits ohne die Kupferfolie produziert und könnten nicht ausgeliefert werden, wenn die FAA an dem Verbot festhalte. Die Behörde lenkte im Eilverfahren ein und erlaubte Boeing auch die zweite Aufweichung der Blitzschutzvorkehrungen an den Tragflächentanks gegenüber dem 2011 zugelassenen Standard.

Am 28. Juni 2019 ließ die FAA die Änderungen auch für die 787-10 zu und machte damit den Weg für die erste Auslieferung eines solchen Flugzeugs an KLM am Folgetag frei.

FAA-Prüfer hatte Bedenken

Boeing verweist nach Angaben der Zeitung darauf, dass die 787 über "zahlreiche andere Absicherungen gegen Blitzschlag" verfüge und sich das Wissen über Blitztreffer in den den letzten Jahren weiterentwickelt habe. Tatsächlich hat Boeing nur drei der ursprünglich fünf Blitzabweiser zum Schutz der Tragflächentanks beibehalten.

Ein FAA-Sicherheitsingenieur legte im Juni formalen Protest gegen die Rolle rückwärts der Aufsicht bei der Kupferfolie ein: "Ich bin nicht damit einverstanden, dass Lieferpläne unsere Entscheidungen beeinflussen sollten", schrieb Thomas Thorson seinen Vorgesetzen. "Das steht auch nicht in Einklang mit unseren Sicherheitsprinzipien."

Das erhöhte Entflammungsrisiko rechtfertigt laut Thorson eine Einstufung der Änderungen als "potenziell unsicher". Inzwischen ist auch der FAA-Spitze mit dem Weniger an Sicherheit nicht mehr wohl - die Behörde hat auf Druck von US-Kongressabgeordneten bei Boeing eine neue Risikobewertung angefordert.
© aero.de | Abb.: Boeing | 11.12.2019 12:19

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Beitrag vom 19.12.2019 - 00:09 Uhr
@25.1309

Sie kennen sich mit der Materie und den Schadensbildern recht gut aus.
Eine Anmerkung zu Ihren sehr treffenden Kommentaren...


Vielen Dank, besser hätte man es nicht schreiben und erklären können.

Eigentlich müssten betroffene Maschinen mit einer EAD an die Kette gelegt werden bis entsprechende Zulassungsrelevante Test ohne Folie wiederholt wurden.

@menschmeier

Ihr Feedback ehrt mich ganz besonders und motiviert mich, noch Folgendes hinterherzuschicken:

Man liest in den aktuellen Artikeln andauernd, dass es sch um eine Struktur aus nicht leitendem Kunststoff handelt, das ist Unsinn.

"Kohle-"faserverstärkt... und, ist Kohle leitfähig? Ja!

Durch den gegenüber Metallen umgekehrten Wärmleitfähikeitskoeffizienten tritt bei permanent eingeleitetem Gleichstrom eine langsame aber stetige Delamination der Lagen ein, was diesen Baustoff mit besonderer Sorgfalt hinsichtlich potentieller "Kurzschlüsse" zu behandeln lässt.
Diese Kurzschlüsse werden ggf. nicht als solche erkannt und Sicherungen fliegen nicht raus, da der hohe Widerstand der Kohle den Eindruck eines zwischengeschalteten Verbrauchers weckt.
Solange, bis die Kohlefasern komplett verglüht sind, aber dann fließt aber auch kein Strom mehr und man fliegt einfach weiter bis....

Man sammelt immernoch Erfahrungen und neue Erkenntnisse mit diesem Baustoff in der Luftfahrt, was, wie ich finde, die "Lockerung" des Blitzschutzes umso erstaunlicher erscheinen lässt.

Gruß, 25.1309







@Runway

Die Blitzschlagstruktur von B787 ist sicher nochmals speziell. Andererseits ist CFK seit relativ langer Zeit im praktischem Einsatz. Es müßten dadurch eigentlich entsprechende generelle Erfahrungen vorliegen um das gut einschätzen zu können. Vielleicht ist das weglasssen technisch daher ausreichend begründet.

Da stimme ich grundsätzlich zu, zumindest, was die strukturellen Eigenschaften z.B. bzgl. Belastung und Ermüdung angeht. Schauen wir hier aber tiefer ins Detail, so gibt es noch viel zu erforschen, was die perfekte Faserlängen, Lagen, und Richtungen angeht. Hier sind so viele Kombinationsmöglichkeiten vorhanden, dass man die optimale Lösung mittels Simulation zu ermitteln versucht... wahnsinnig interessant, aber leider nicht mein Fachgebiet.

Unsere Branche hat manche Spezialdisziplinen hervorgebracht, die man ausschließlich bei uns benötigt. In allen anderen Disziplinen ist man in der Luftfahrt ja gut beraten, auf Bewährtes zurückzugreifen und keine Innovationsabenteuer zu starten.
Beim CFK-Blitzschutz fragen aber Branchen wie Windenergie und andere bei der Luftfahrt nach, wie wir das denn machen, was einerseits toll ist, andererseits aber auch darauf hinweist, dass wir hier Neuland betreten.
Für mich ein weiterer Grund, nicht sofort nach ein paar überstandenen Blitzeinschlägen die Schutzmaßnahmen zurückzufahren.

Was aber die Zulassung mit Kupferfolie und das weglassen ohne VORHERIGE Absprache mit der FAA betrifft passt das leider genau in das miserable Bild das Boeing derzeit mit seiner Sicherheitsphilosophie bietet. Ich frage mich wer bei Boeing diesen Schritt in der Produktion veranlaßt hat ohne schlaflose Nächte zu haben. Was bei dem Thema MCAS sogar dreimal gilt.

Du hast das sicher nicht direkt so gemeint, aber stimmt dieser Satz "Ich frage mich wer bei Boeing diesen Schritt in der Produktion veranlaßt hat ohne schlaflose Nächte zu haben.", wäre es fatal.
Die Produktion hat nicht zu entscheiden, ob man etwas weglässt oder beibehält, das ist reine Sache der Konstruktion. In diesem ganzen Chaos wäre es aber keine Überraschung, sollte jemand seine Produktionsziele unter Druck, mit etwas "Kreativität" zu erreichen versuchen.

Werden eigentlich alle neuen Dreamliner jetzt ohne Folie ausgeliefert?
Normalerweise hätten ja auch die Kunden über die Änderung der Standardspezifikation des Modells informiert werden müssen? Wurden sie und haben dies akzeptiert?

Je mehr man nachfragt, umso sonderbarer erscheint mir das Ganze.

Gruß, 25.1309
>


Sie beschreiben die Schadensbilder sehr detailliert und kennen sich mit dem Thema gut aus. Sie sollten auch in Betracht ziehen, dass diese Effekte mit Zerstörungen innerhalb der Struktur nicht nur bei Blitzeinschlägen eintreten können, so wie Sie das beschreiben.
Es ist richtig, dass einige Bereiche in ihrem Wissen anderen voraus sind. Die Windkraft schaut auf die Luftfahrt. - und manchmal sind andere Bereiche der Luftfahrt voraus.

Wenn Sie ein paar Details zu den ungewöhnlichen Eigenschaften des Carbons verstehen möchten, dann schauen Sie sich mal diesen Artikel an, an welchen Details hier das MIT arbeitet und wie sie die Eigenschaften der p- und n-dotierten Halbleiter (Silizium) schon mit Carbon nachbilden können und auch einen lauffähigen 16-Bit-Prozessor auf Carbon-Basis erfolgreich geschaffen haben. Hier wird auch das Wort Semiconductor für diese Carbon-Strukturen verwendet.

 http://news.mit.edu/2019/carbon-nanotubes-microprocessor-0828

Andere Quellen arbeiten an nichtflüchtigen Speicherelementen auf Carbon-Basis und arbeiten ebenfalls mit Nanotubes oder Graphen.

Das gibt einen kleinen Einblick wie variabel die Leitfähgkeit von Carbon sein kann und wo andere Fakultäten heute technisch stehen und auch was die mittlerweile machen und verstehen können!

Welche Effekte man bei einem CFK-Flugzeug geschaffen hat, das wird einem von den Luftfahrt-Experten wohl niemand detailliert sagen können, weil das fast alles keine Spezialisten für den elektrischen Schaltungsaufbau sind und sie nur ihre mechanischen Eigenschaften und ein bisschen Blitzschlag im Auge haben. Maßgeblich für einen Blitzeinschlag und die anderen elektrischen Effekte sind aber die Ausführungen der Kontaktierungen und der elektrisch isolierten Bereiche innerhalb ihrer gesamten Konstruktion. Und ob das jemand weiß was man da schaltungstechnisch wirklich gebaut hat? – Da habe ich einfach meine Zweifel.

Diese Stromflüsse entstehen auch in Bereichen, wo Sie überhaupt keine elektrischen Durchleitungen erwarten würden! Und da haben Sie auch keine Sicherungen designed oder irgendwelche Stromkreise vorgesehen und trotzdem haben Sie diese Effekte im Material!

Ich gebe Ihnen Recht, dass CARBON ein sehr interessantes und hochkomplexes Thema ist, das absolut nicht unkritisch ist. Wenn man damit wirklich richtig umgehen kann, dann ist es ein phantastisches Material.

- ABER IN EINIGEN BEREICHEN HAT CARBON AUFGRUND SEINER GEFÄHRLICHKEIT EINFACH NICHTS VERLOREN!
Das muss man einfach wissen und auch so berücksichtigen!

Dieses Wissen ist leider bei vielen noch total unterentwickelt, auch wenn das einige einfach nicht glauben wollen und noch sehr euphorisch mit dem Thema umgehen.



Dieser Beitrag wurde am 19.12.2019 00:14 Uhr bearbeitet.
Beitrag vom 17.12.2019 - 15:01 Uhr
Warum muß ich eigentlich erst bei den Russen nachsehen was da bei Blitzeinschlägen in Plastikfliegern passieren kann??
 https://de.sputniknews.com/technik/20191217326253773-boeing-787-blitzschutz/
Vierzig Löcher bei einem Blitzeinschlag sind ja wohl keine Kleinigkeit oder Eventualität mehr.
Beitrag vom 14.12.2019 - 15:27 Uhr

@Runway

Die Blitzschlagstruktur von B787 ist sicher nochmals speziell. Andererseits ist CFK seit relativ langer Zeit im praktischem Einsatz. Es müßten dadurch eigentlich entsprechende generelle Erfahrungen vorliegen um das gut einschätzen zu können. Vielleicht ist das weglasssen technisch daher ausreichend begründet.

Da stimme ich grundsätzlich zu, zumindest, was die strukturellen Eigenschaften z.B. bzgl. Belastung und Ermüdung angeht. Schauen wir hier aber tiefer ins Detail, so gibt es noch viel zu erforschen, was die perfekte Faserlängen, Lagen, und Richtungen angeht. Hier sind so viele Kombinationsmöglichkeiten vorhanden, dass man die optimale Lösung mittels Simulation zu ermitteln versucht... wahnsinnig interessant, aber leider nicht mein Fachgebiet.

Unsere Branche hat manche Spezialdisziplinen hervorgebracht, die man ausschließlich bei uns benötigt. In allen anderen Disziplinen ist man in der Luftfahrt ja gut beraten, auf Bewährtes zurückzugreifen und keine Innovationsabenteuer zu starten.
Beim CFK-Blitzschutz fragen aber Branchen wie Windenergie und andere bei der Luftfahrt nach, wie wir das denn machen, was einerseits toll ist, andererseits aber auch darauf hinweist, dass wir hier Neuland betreten.
Für mich ein weiterer Grund, nicht sofort nach ein paar überstandenen Blitzeinschlägen die Schutzmaßnahmen zurückzufahren.

Was aber die Zulassung mit Kupferfolie und das weglassen ohne VORHERIGE Absprache mit der FAA betrifft paßt das leider genau in das miserable Bild das Boeing derzeit mit seiner Sicherheitsphilosophie bietet. Ich frage mich wer bei Boeing diesen Schritt in der Produktion veranlaßt hat ohne schlaflose Nächte zu haben. Was bei dem Thema MCAS sogar dreimal gilt.

Du hast das sicher nicht dirket so gemeint, aber stimmt dieser Satz "Ich frage mich wer bei Boeing diesen Schritt in der Produktion veranlaßt hat ohne schlaflose Nächte zu haben.", wäre es fatal.
Die Produktion hat nicht zu entscheiden, ob man etwas weglässt oder beibehält, das ist reine Sache der Konstruktion. In diesem ganzen Chaos wäre es aber keine Überraschung, sollte jemand seine Produktionsziele unter Druck, mit etwas "Kreativität" zu erreichen versuchen.

Werden eigentlich alle neuen Dreamliner jetzt ohne Folie ausgeliefert?
Normalerweise hätten ja auch die Kunden über die Änderung der Standardspezifikation des Modells informiert werden müssen? Wurden sie und haben dies akzeptiert?

Je mehr man nachfragt, umso sonderbarer erscheint mir das Ganze.

Gruß, 25.1309


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