SEATTLE - Titan aus China ist mit falschen Herkunftsnachweisen in Lieferketten von Boeing und Airbus gelangt. Leichtmetall-Komponenten an 737 MAX, 787 und A220 der Produktionsjahre 2019 bis 2023 werden seit Jahresanfang geprüft - und ersetzt. Das ist über den Titan-Skandal bislang bekannt.
Die Materialeigenschaften von Titan sind für den Flugzeugbau perfekt. Das leichte und feste Metall wird an Triebwerksaufhängungen, Fahrwerken und anderen stark belasteten Punkten verbaut.
Jetzt erschüttert ein Skandal die Branche. Über ein chinesisches Unternehmen ist Titan unklarer Herkunft in Flugzeuge gelangt.
Der Exporteur hat den Abnehmer Turkish Aerospace Industries 2019 mit offenbar gefälschten Herkunftsnachweisen getäuscht. Auf den Dokumenten wird Baoji Titanium als Quelle deklariert, ein zertifzierter Produzent.
"Baoji Titanium kennt diese Firma nicht und steht in keiner Geschäftsbeziehung zu ihr", teilte Baoji der "New York Times" mit. Die Zeitung berichtete letzte Woche als erstes Medium über die Angelegenheit.
Über Turkish Aerospace gelangte das Rohmaterial zu Verarbeitern in Europa und den USA. Erst im Dezember 2023 fiel einer italienischen Firma bei einer Sichtprüfung eine verdächtige Charge auf. Seither versuchen Teams bei Airbus, Boeing und Zulieferern fieberhaft, die Wege des Titans zu rekonstruieren.
"Hier geht es um Dokumente, die gefälscht, verfälscht und nachgeahmt wurden", äußert sich Spirit Aerosystems gegenüber der "Seattle Times". Der Großkomponentenhersteller aus Kansas beliefert sowohl Boeing als auch Airbus - und hat die Hersteller im Januar 2024 ins Bild gesetzt.
Nach vorläufigen Erkenntnissen wurde das betroffene Titan in Passagier- und Frachttüren sowie an Triebwerksaufhängungen der 787 verwendet. Bei 737 MAX und A220 sollen Hitzeschilde im Bereich der Triebwerksaufhängen betroffen sein.
"Die bisher durchgeführten Tests haben gezeigt, dass eine richtige Titanlegierung verwendet wurde", teilt Boeing mit. An neuen Flugzeugen tauscht der Hersteller betroffene Teile vor der Auslieferung dennoch aus. Es handele sich um ein "branchenweites Problem".
Nicht alle Materialtests bestandenIn aktiven Flotten sehen Boeing und Airbus keine akuten Risiken für die Flugsicherheit. Die "Lufftüchtigkeit" der A220 sei "intakt", versichert Airbus. Die betroffenen Komponenten lassen sich laut Kreisen im Zuge von Wartungen austauschen. EU- und US-Luftfahrtaufsicht behalten die Entwicklung im Blick.
Auch Spirit Aerosystems gibt keine Entwarnung. Zwar hätten Labortests in der Tat keine Normabweichungen bei Qualitätsgrad und Legierung ergeben, erklärt Spirit gegenüber der "Seattle Times". Die Einhaltung der vorschriebenen Verarbeitungsprozesse sei aber weiter fraglich. Einige Materialtests habe das Titan bestanden, andere nicht.
© aero.de | Abb.: Airbus | 18.06.2024 09:16
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Beitrag vom 19.06.2024 - 19:59 Uhr
Ein Titanatom ist ein Titanatom, ob es nun aus Rotchina oder Schwarzafrika kommt. Lediglich Beimischungen anderer Elemente im Erz können einen Unterschied hervorbringen. Für die Verwendung in einem Produkt muß das Material aber nur definierte Voraussetzungen erfüllen, ob es sich in anderen Bereichen unterscheidet ist dann erstmal vollkommen gleichgültig, weil für die Verwendung irrelevant.
Das ist so nicht richtig, vieles entscheidet sich nicht nur über die Beimischung, sondern über die Bearbeitung (Urformung, Umformung, etc.), Wärme, usw.
Es gibt schon einen Grund für die umfangreichen Zertifizierungsverfahren, nur weil zwei Legierungen die gleiche Chemische Zusammensetzung haben, heisst es nicht das sie in Bauteilen die gleichen Eigenschaften aufweisen.
Das ist richtig. Aber wenn die Bearbeitung eines Materials entscheidend ist für die spätere Qualifikation des Produkts, dann gehört die Bearbeitung auch in den Anforderungskatalog. Dann aber wären das bereits Normabweichungen gewesen, was ja ausdrücklich verneint wurde: "hätten Labortests in der Tat keine Normabweichungen bei Qualitätsgrad und Legierung ergeben".
Beitrag vom 19.06.2024 - 11:26 Uhr
Was mir gerade einfiel und dies könnte zur Klarheit beitragen:
Die Amerikaner verwenden zur Identifizierung der Titansorten gerne die "Grades".
"Grade 5" ist z.B. die verbreitete Legierung TiAl6V4.
Dies ist vermutlich mit dem im Bericht erwähnten "Qualitätsgrad" gemeint.
Ist halt eine nur halbwegs fachmännische Übersetzung eines Zeitungsartikels...
Das würde Sinn ergeben, denn dann würden sich beide Aspekte der Aussage "keine Normabweichungen bei Qualitätsgrad und Legierung" nur auf die chemische Zusammensetzung der Legierung beziehen, was, wie weiter oben von mehreren Teilnehmern erwähnt, die Wärmebehandlung und andere physikalische Aspekte der Verarbeitung nicht berücksichtigt.
Damit wären wesentliche Eigenschaften des Materials und damit der daraus hergestellten Teile nicht vollständig bekannt.
Danke für die Info :)
Beitrag vom 19.06.2024 - 09:29 Uhr
Was mir gerade einfiel und dies könnte zur Klarheit beitragen:
Die Amerikaner verwenden zur Identifizierung der Titansorten gerne die "Grades".
"Grade 5" ist z.B. die verbreitete Legierung TiAl6V4.
Dies ist vermutlich mit dem im Bericht erwähnten "Qualitätsgrad" gemeint.
Ist halt eine nur halbwegs fachmännische Übersetzung eines Zeitungsartikels...
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Das ist so nicht richtig, vieles entscheidet sich nicht nur über die Beimischung, sondern über die Bearbeitung (Urformung, Umformung, etc.), Wärme, usw.
Es gibt schon einen Grund für die umfangreichen Zertifizierungsverfahren, nur weil zwei Legierungen die gleiche Chemische Zusammensetzung haben, heisst es nicht das sie in Bauteilen die gleichen Eigenschaften aufweisen.
Das ist richtig. Aber wenn die Bearbeitung eines Materials entscheidend ist für die spätere Qualifikation des Produkts, dann gehört die Bearbeitung auch in den Anforderungskatalog. Dann aber wären das bereits Normabweichungen gewesen, was ja ausdrücklich verneint wurde: "hätten Labortests in der Tat keine Normabweichungen bei Qualitätsgrad und Legierung ergeben".
Die Amerikaner verwenden zur Identifizierung der Titansorten gerne die "Grades".
"Grade 5" ist z.B. die verbreitete Legierung TiAl6V4.
Dies ist vermutlich mit dem im Bericht erwähnten "Qualitätsgrad" gemeint.
Ist halt eine nur halbwegs fachmännische Übersetzung eines Zeitungsartikels...
Das würde Sinn ergeben, denn dann würden sich beide Aspekte der Aussage "keine Normabweichungen bei Qualitätsgrad und Legierung" nur auf die chemische Zusammensetzung der Legierung beziehen, was, wie weiter oben von mehreren Teilnehmern erwähnt, die Wärmebehandlung und andere physikalische Aspekte der Verarbeitung nicht berücksichtigt.
Damit wären wesentliche Eigenschaften des Materials und damit der daraus hergestellten Teile nicht vollständig bekannt.
Danke für die Info :)
Die Amerikaner verwenden zur Identifizierung der Titansorten gerne die "Grades".
"Grade 5" ist z.B. die verbreitete Legierung TiAl6V4.
Dies ist vermutlich mit dem im Bericht erwähnten "Qualitätsgrad" gemeint.
Ist halt eine nur halbwegs fachmännische Übersetzung eines Zeitungsartikels...