Fliegen für eine Handvoll Euro
Älter als 7 Tage

Grenzwertige Pilotenverträge bei sechs Günstigairlines

GENT - Passagiere tauschen dieser Tage bereitwillig Reisekomfort gegen erschwingliche Ticketpreise ein. Der Billig-Zeitgeist ist inzwischen auch in den Cockpits angekommen - Europas Günstigflieger zeigen viel Kreativität, wenn es darum geht Personalkosten überschaubar zu halten.

Bereederungen über Pilotenagenturen darf man als inzwischen fast schon branchenüblich nennen. Manch eine Airline reizt Spielräume aber noch weiter aus, um Sozialkosten und Steuern in den Ländern zu umgehen, in denen sie ihre Piloten stationiert.

Mehr als die Hälfte aller Piloten bei Norwegian, Ryanair und vier kleinerer europäischer Niedrigpreisairlines seien zu "atypischen" Bedingungen angestellt, urteilt eine vergangene Woche von Wissenschaftlern der Universität Gent veröffentlichte Studie.

Ryanair Boeing 737-800
Ryanair Boeing 737-800, © Boeing

Erwartungsgemäß wird die Arbeit im Cockpit hier schlechter bezahlt als bei Lufthansa oder Air France-KLM. Die Praktiken der gerügten sechs entfernen sich aber selbst von denen anderer Günstigairlines, etwa Easyjet oder Germanwings, die ihre meisten Piloten unter regulären Arbeitsverträgen beschäftigen.

Die Studie der Universität Gent stützt sich auf eine Befragung von mehr als 6.600 europäischen Piloten.

Einstellungsgespräch über einem Wettbüro

Eines der undurchsichtigsten Anstellungsverfahren betreibt wohl Ryanair. Der irische Billigflieger verweise viele neue Piloten an eine Firma namens "Brookfield Aviation International" mit Sitz im britischen Epsom.

Deren Räumlichkeiten befinden sich in einem Gebäude, in dessen Erdgeschoss sich ein Café und ein Wettbüro eingemietet haben. Brookfield schickt die Piloten direkt zu Steuerbüros, die Kleinfirmen gründen und Gruppen von Piloten als deren Geschäftsführer eintragen.

Diese Gesellschaften schließen "einen Vertrag (mit Brookfield) über Pilotendienstleistungen", die Brookfield "dann wiederum an Ryanair erbringt", heißt es in einem Urteil eines britischen Gerichts aus dem Jahr 2013.

Ein in Belgien stationierter Pilot hatte Teile des Konstrukts erfolgreich angegriffen. Ryanair, befand das Gericht, sei Verantwortung in Fragen der "Steuer oder gehaltsabhängiger Beiträge zur Sozialversicherung" für ihre in dem Modell beschäftigten Piloten ausgewichen.

Ryanair-Sprecher Robin Kiely wollte Vertragsinhalte nicht kommentieren, jedoch arbeite Ryanair "mit einem Mix direkt beschäftigter Piloten und Vertragspiloten, genauso wie andere Airlines auch". Brookfield hat auf telefonische Anfragen und Emails nicht reagiert.
                                               
Kritik brachte Ryanair auch die Praxis ein, Piloten mit irischen Verträgen einzustellen, obwohl sie in Ländern mit höheren Steuern oder schärferen Arbeitsgesetzen arbeiten.

Letztes Jahr verurteilte ein französisches Gericht Ryanair zur Zahlung von neun Millionen Euro an Bußgeldern und ausstehenden Sozialabgaben für in Marseille stationierte Crews. Ryanair hat Berufung angekündigt.

Norwegian-Prinzip im Kreuzfeuer der Gewerkschaften

Auch Norwegian bereedert in eher fragwürdigen Modellen. Piloten und Flugbegleiter ihrer Langstreckentochter "Norwegian Air International" heuern über eine Agentur in Singapur an, die Piloten werden dann in Bangkok stationiert.

Norwegian Boeing 787 Dreamliner
Norwegian Boeing 787 Dreamliner, © Norwegian Air Shuttle

Das Norwegian-Prinzip steht derzeit im Kreuzfeuer europäischer und amerikanischer Pilotenvertretungen. "Wenn es weiterhin erlaubt bleibt, wird Norwegians Geschäftsmodell andere Airlines in Europa und den USA zwingen, sich anzupassen", warnt Martin Lindgren, Präsident der Swedish Airline Pilots Association, bei der einige Mitglieder für Norwegian fliegen.

"Der kostengetriebene Ansatz von Norwegian wird sich negativ auf die Arbeitsbedingungen aller Airlinemitarbeiter in Europa und den Vereinigten Staaten auswirken", sagte Lindgren voraus.

In die Vereinigten Staaten fliegt Norwegian seit letztem Jahr mit viel Gegenwind - hier formiert sich politischer Widerstand gegen den norwegischen Günstigflieger.


ECA: "Marktverzerrendes Geschäftsgebaren"


Umstritten oder nicht - ihre Bereederungsmodelle verschaffen sowohl Ryanair als auch Norwegian in Europa und auf der Langstrecke eindeutige Wettbewerbsvorteile.

Vor Anlegern rühmte sich Ryanair im November ihrer Personalstückkosten von nur sechs Euro. Selbst der nächste Konkurrent Easyjet produziere seine Tickets mit einem Personalkostenanteil von neun Euro, Air Berlin zu 17 Euro.

Solche Zahlenvergleiche provozieren den Widerstand der European Cockpit Association (ECA), die 38.000 Piloten in Europa vertritt. Sie spricht mit Blick auf Ryanair und Norwegian von "marktverzerrendem Geschäftsgebaren".

Im Dezember rief die ECA die EU auf, "Scheinselbständigkeit und Sozialdumping" bei Airlines Einhalt zu gebieten, die ihre Betriebskosten auf diese Weise senken wollen.

Kaum Vertragspiloten in den USA

In Europa ist der Einsatz von Vertragspiloten mittlerweile deutlich weiter verbreitet als in den USA, wo große Netzwerkairlines ihre kürzeren Strecken seit Jahren unter günstigen Regionalairlines ausschreiben. Im Regelfall beginnen junge US Piloten ihre Karriere bei einer Regionalairline und schaffen mit etwas Glück später den Sprung in ein Konzerncockpit.

"Das ist eine dieser Sachen, die Piloten wirklich auf die Barrikaden bringen", äußerte sich der frühere Allegiant-Chef Andrew Levy über Vertragsbereederungen. Allegiant hatte vom angedachten Einsatz von Vertragspiloten Abstand genommen, nachdem Gewerkschaften Widerstand ankündigten und der Airline die regulatorischen Hürden zu hoch erschienen.
© Bloomberg News | Abb.: Ingo Lang | 16.02.2015 11:04

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Beitrag vom 28.02.2015 - 20:56 Uhr
@valhs,

die Piloten dürften nur sehr begrenzt nebenbei als free lancer arbeiten können...
Raynair hat somit nur das Problem der Beschäftigung von Scheinselbstständigen an Brookfield verschoben.

Beitrag vom 28.02.2015 - 17:07 Uhr
Manchmal glaubt man, ihr haltet alle anderen für blöd. Deswegen mucken auch immer mehr Kollegen auf, um es deutlich zu sagen, verarschen können wir uns alleine. Jeder hat Respekt vor dem was ihr macht und ihr macht den Job sicherlich mit am Besten unter allen Piloten weltweit, aber auch viele Kollegen am Boden haben eine super Ausbildung und machen einen hervorragenden Job und die sehen es irgendwann nicht mehr ein, dass nur ihr, weil ihr die gewerkschaftliche Macht habt, immer nahezu ungeschoren davon kommt, während bei den anderen überall gespart wird, mehr gearbeitet wird, verlagert wird etc. pp.
Also die Rückendeckung innerhalb des eigenen Konzerns scheint nicht sonderlich ausgeprägt zu sein. Genau andersherum als boeing757767 das dargestellt hatte. Man soll halt nicht alles glauben was irgendjemand hier schreibt, auch wenn er angeblich LH CPT ist.

Und das schliessen Sie aus was 2 Beiträgen bei einer Belegschaft mit 117000 Mitarbeitern.
Wieder einen Markennamen ? Nicht sehr originell.
Beitrag vom 18.02.2015 - 17:41 Uhr
Auch die Gehälter der Ryanair-Piloten (auch derer die über die in dem Artikel besagte "Brookfield Aviation International" angestellten) scheinen wohl eher am oberen Ende der branchenüblichen Skala zu liegen... also nicht "Fliegen für ein paar Euro", wie der Artikel und die LH-Piloten suggerieren!

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