Lufthansa und VC
Älter als 7 Tage

Im Abwärts-Wettlauf zum großen Bruch

FRANKFURT - Cockpit streikt, Lufthansa klagt - am Dienstag artete der Tarifstreit endgültig in einer Schlammschlacht aus, in der nur noch die Scheidungsanwälte fehlen. Beide Seiten beteuern ihre Bereitschaft zur Einigung. Nur gibt es dieses Mal keine Mitte, in der man sich treffen könnte.

Lufthansa fechte den "härtesten Arbeitskampf ihrer Geschichte" aus, schwörte Konzernchef Carsten Spohr die Anleger jüngst auf seine Linie ein. "Ich glaube, die Aktionäre stehen hinter uns, dass diese notwendige Kostensenkung stattfinden muss."

Spohr hat sich festgelegt. Beim Aufbau echter Günstigmarken wird Lufthansa den bei Germanwings allenfalls leidlich geglückten Spagat zwischen Konzern- und Arbeitnehmerinteressen gar nicht erst versuchen. Vorsichtshalber flaggt der Konzern den Europaverkehr mit Eurowings Europe nach Österreich aus.

Monatelang berieten Lufthansa und Piloten hinter verschlossenen Türen über die Zukunft. Der harten Linie des Managements stellte Cockpit im Juli mit Benjamin Sindram einen ebenso standfest für die Interessen der Konzernpiloten streitenden Verhandlungsführer entgegen.

Flughafen Frankfurt
Gewitterwolken über dem Frankfurter Flughafen, © Björn Schmitt / world-of-aviation.de

Anders als bei Air France wehren sich die Piloten bei Lufthansa aber nicht mit aller Gewalt gegen den Aufbau einer Billigmarke oder wettbewerbsfähige Cockpit-Personalkosten. Man habe Lufthansa gar einen "Vergleich der Bedingungen mit dem maßgeblichen Wettbewerber Easyjet" angeboten, betonte die VC vor ihrem Streik.

Zwar zähneknirschend, aber letztlich im Konsens ließen die Piloten den Konzern auch bei "JUMP" gewähren. Ältere Airbus A340-300 darf Lufthansa auf eigenen Langstrecken bald mit günstigeren Crews ihrer Regional-Tochter Cityline betreiben.

Kalkulierter Keil

Die Schwelle, die rote Linie, der Rubikon ist für die Konzernpiloten aber überschritten, sobald man sie bei der Weichenstellung übergeht. In der Lufthansa-DNA ist die unternehmensgestaltende Mitwirkung der Piloten fest verankert, selbst ein Wechsel von Piloten ins Topmanagement nicht unüblich.

Im Sommer setzte Lufthansa genau hier einen Keil an. Mit Eurowings Europe schuf der Konzern Tatsachen, begann mit der Anwerbung von Piloten zu selbst als angemessen empfundenen und festgelegten Konditionen. Cockpit beharrte zeitgleich auf Verhandlungen über eine neue LowCost-Tarifgruppe innerhalb des Konzerntarifvertrags.

Dies waren miteinander grundsätzlich unvereinbare Positionen, die zwangsläufig zur erneuten Eskalation im Tarifkonflikt führen mussten.

Cockpit streikt, Lufthansa klagt - 60 Millionen Euro will der Konzern jetzt bei der VC eintreiben, Schadensersatz für einen aus Konzernsicht unberechtigten Streik 2014. Juristische Nicklichkeiten. Viel schwerer wiegen andere Ankündigungen, die das Verhältnis von Lufthansa und Piloten nachhaltig belasten werden.

Lufthansa werde den "Besitzstand" der aktuellen KTV-Piloten einfrieren, teilte Lufthansa am Dienstag mit. Neue Piloten würden zu KTV-Bedingungen nicht mehr eingestellt. Dies werde "aufgrund der natürlichen Fluktuation" dazu führen, dass die Flotten bei Lufthansa, Germanwings und Lufthansa Cargo schrumpfen.

Management-Pilot Spohr will den Konzerntarif austrocknen und mit den KTV-Piloten auch nicht länger über das große Ganze sprechen.

"Zukünftige Gespräche mit der Konzerntarifkommission der Vereinigung Cockpit werden auf die Themen begrenzt, die in ihrem Verantwortungsbereich liegen", erklärte Lufthansa und zählte abschließend die Tarifverträge zwischen Konzern und Gewerkschaft auf.

Den Tarifvertrag zur Übergangsversorgung hat Lufthansa bereits kassiert, was Cockpit zumindest bis Mittwoch eine robuste rechtliche Grundlage für jede neue Streikrunde lieferte. Es werde nun geprüft, "ob alle noch nicht gekündigten Vereinbarungen zwischen Lufthansa und der Konzerntarifkommission der VC sinnvoll aufrechterhalten werden können", erklärte Lufthansa.

Bruch in der Lufthansa-DNA

Fraglich, was der Konzern damit bezweckt. Am Inhalt der Tarifverträge - am Geld - wird sich der Diskurs zwischen Management und Piloten jedenfalls kaum noch lösen lassen.

Der am Dienstag vom Konzern öffentlich erklärte Bruch der Praxis, Entscheidungen mit den Piloten abzustimmen, ist für Cockpit schlicht unverdaulich. "Wir sind bereit, zukunftsfähige Strukturen mitzugestalten", antwortete Cockpit am Mittwoch fast zum Trotz. Der Konflikt hat gerade neu begonnen.
© aero.de | Abb.: world-of-aviation.de, Björn Schmitt Aviation Photography | 09.09.2015 11:43

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Beitrag vom 09.09.2015 - 19:10 Uhr
Das Management der LH kündigt fast alle Tarifverträge, möchte überall gravierende Verschlechterungen durchsetzen, aber dafür gleichzeitig noch nicht einmal Arbeitsplatzsicherheit für Piloten garantieren, sondern ungehemmt weiter Tarifflucht ins Ausland betreiben und im Inland die Langstreckenflugzeuge A340 mit billigerem Personal bereedern.

Ausserdem wird die Notlage der verschuldeten NFFs mit Knebelverträgen schamlos missbraucht.

Und da wundert sich die Nation, dass sich die betroffene Gewerkschaft mit allen Mitteln wehrt?



Beitrag vom 09.09.2015 - 14:30 Uhr
Modhinweis
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Beitrag von@jasbourne aus doppelt eröffneten Thread hierher übernommen.
Fly-away
Moderator
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Beitrag vom 09.09.2015 - 12:12 Uhr
User @jasonbourne (209 Beiträge)

Eigentlich ein super Artikel,aber der letzte Absatz passt mir nicht.

Es ist doch relativ logisch was das Management ("der Konzern") damit bezweckt.
Handlungsfreiheit und ein Ausbruch aus der Erpressparkeit durch die VC. Ausserdem eine Beschneidung der Macht der Piloten.

Es war doch irgendwie klar, das es so nicht weiter gehen kann - erst streikt VC, holt sich ein Stueck vom Kuchen, dann streikt UFO, holt ihren share, dann streiken die Lotsen, das Bodenpersonal von Verdi, etc. - nahezu jede Berufsgruppe kann relativ einfach die LH stilllegen.
Von einem Streik bei Ryanair oder den ME3 habe ich noch nix gehoert.

Ausserdem muss man das Gesamtumfeld sehen, in dem LH agiert.
Die Liberalisierung und Open Skies haben das Umfeld veraendert, LCCs das Kurzstreckengeschaeft an sich gerissen, auf der Langstrecke sind aus dem Nichts innerhalb weniger Jahre Konkurrenten mit riesiger Kapazitaet entstanden. UNd auch die US Airlines haben sich extrem konsolidiert und sind wieder wettbewerbsfaehig.
Aber VC tut so,als agiert man immer noch im Wettbewerbsumfeld der 90ger oder 00er Jahre.

Und ganz ehrlich: Die KTV Piloten sind sehr gut bezahlt.
VC streikt ja nicht, um mehr Geld zu bekommen, sondern einfach aus dem Grund, um in Zukunft nicht obsolet zu werden.
DIe LH will ja bislang nicht an den Besitzstand heran, aber um es wirklich sinnvoll zu machen, muessten die KTV Piloten entweder weniger Lohn bekommen oder mehr arbeiten.

Man muss halt verstehen, das die Kosten der Airlines sich nicht in vielen Punkten unterscheiden - man fliegt die selben Flugzeuge,die selben Airports, etc.
Die Erloese sind vom Markt her begrenzt, da bleiben nicht mehr soviele Stellschrauben.

Am Ende kann man vortrefflich darueber streiten, ob eine Gewerkschaft einen solchen Einfluss auf die Unternehmenspolitik haben darf oder nicht.

Wie die LH aus dem Dilema kommen will, sehe ich nicht.
Ich glaube das es ohne einen echten LCC mit entsprechender Struktur nicht geht, daher ist die Eurowings aus meiner Perspektive alternativlos.
Die point2point Kurzstrecke einzustellen, ist wohl auch keine Loesung.

Bleibt fuer mich nur die Loesung, die Eurowings Fluege von Deutschland aus mit einer neu zu schaffenden KTV Tarifgruppe fuer LCC zu beeredern, und alles andere ueber die in Austria ansaessige Gesellschaft.
Sonst faellt mir keine Loesung ein.
Beitrag vom 09.09.2015 - 14:24 Uhr
Dass mit Herrn Spohr nun ausgerechnet ein Management-Pilot versucht, den Einfluss der Piloten auf die Strategie zu brechen, hat schon viel Ironie in sich. War bei Management-Pilot Willi Walsh allerdings auch nicht anders.

Lufthansa überträgt ihren Piloten auch heute noch sehr gerne Führungsverantwortung außerhalb der Cockpits. Das steckt organisatorisch und in den Köpfen tief drin. Das kriegt man nicht so einfach raus.

Bei US-Banken gab es den Spruch "Never lend money to an airline run by pilots" - das war also ein wirkliches Problem. In Nordamerika brauchte es viele Fusionen und Chapter-11-Insolvenzverfahren, um eine saubere Trennung zwischen Arbeitgeber und fliegender Arbeitnehmerseite herzustellen. Das wird Spohr bei Lufthansa nicht im Hauruck-Verfahren durchsetzen können.



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