Boeing sagt Joint Venture ab
Älter als 7 Tage

Embraer vor den Trümmern der "perfekten Hochzeit"

Embraer E195-E2
Embraer E195-E2, © Andreas Spaeth

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LONDON - Embraer musste Ende April überraschend hinnehmen, dass Boeing den geplanten 4,2-Milliarden-Dollar-Deal über ein Joint Venture im Bereich der Regionaljets platzen ließ. Jetzt steht Embraer vor einer ungewissen Neuorientierung als einziger verbleibender unabhängiger Hersteller von Zivilflugzeugen.

"Für mich wäre das die perfekte Hochzeit gewesen, weil es keine Überschneidungen bei den Produkten gab und ich hoffte dass beide Firmenkulturen gut zusammen gepasst hätten", sagte Embraer-CEO John Slattery jetzt in einem von Aviation Week veranstalteten Webcast.

"Ich bin sehr enttäuscht, aber überlasse die Arbeit die jetzt getan werden muss den Anwälten", so Slattery. Nach Boeings Ausstieg hatte Embraer harte Vorwürfe erhoben und erklärt, Boeing habe falsch gehandelt die Vereinbarung aufzukündigen und falsche Anschuldigungen erhoben, um die Nichteinhaltung der vereinbarten Zahlungsverpflichtung zu rechtfertigen.

Embraer habe alle Bedingungen der Übereinkunft erfüllt, Boeing hingegen die Umsetzung "systematisch verzögert" und gegen Vorgaben verstoßen. Dagegen wollten die Brasilianer nun mit allen rechtlichen Mitteln vorgehen.

Slattery berichtete jetzt wie "schmerzhaft für unsere Kunden" es gewesen sei, während einer 40tägigen Schließung zu Jahresbeginn die Zivilsparte von Embraer aus dem restlichen Unternehmen herauszulösen und alle digitalen Funktionen in die neue Einheit zu transferieren.

"Verheerender Schlag"

Die wäre als Boeing Brazil Commercial mit etwa 10.000 Mitarbeitern am Markt aufgetreten. Jetzt, so Slattery, gäbe es als Resultat Redundanzen, weil nach der Ausgründung viele Strukturen doppelt vorhanden seien. "Das müssen wir in den nächsten Monaten rückgängig machen", so der CEO.

John Slattery
John Slattery, © Andreas Spaeth

"Boeings Ausstieg ist ein verheerender Schlag für Embraer", hatten die Analysten von Leeham den Vorgang kommentiert und vermutet, dass das Unternehmen nun sicherlich Hilfe vom brasilianischen Staat benötigen werde. Die Corona-Krise verschärft die Probleme akut. "Es wird drei bis fünf Jahre dauern bis der Luftverkehr bei Kapazität und Erträgen wieder auf dem vorherigen Stand ist", vermutet John Slattery.

Am schnellsten sieht er wieder Bedarf für Narrowbody-Flugzeuge wie die 737 MAX und die A320-Familie, während der Markt für Großraumflugzeuge wegen großer Unsicherheiten bei Langstrecken-Reisen eher fünf Jahre für die Erholung bräuchte.

Für Embraer selbst, von deren Flugzeugen derzeit weltweit rund 2.500 in Betrieb sind, sieht John Slattery dagegen relative gute Marktchancen. "Eine einzige Flugzeuggröße ist eben nicht mehr passend für alle Segmente, viele Airlines werden jetzt herausfinden dass sie zusätzlich Flugzeuge brauchen, die 30-50% kleiner als ihre bisherigen Jet sind, um die Trip-Kosten zu senken, die bei geringerem Aufkommen jetzt viel mehr im Fokus stehen als bisher die Sitzmeilen-Kosten", so Slattery.

Konkurrenz durch Airbus A220

In diesem Markt konkurriert Embraer mit dem Airbus A220, "und ich bin nicht sicher wie schwer das werden wird", räumt Slattery ein. "Zumindest hoffe ich, dass Airbus für die A220 einen angemessenen, nachhaltigen und fairen Preis verlangt."

Die sich bisher schon ordentlich verkaufende A220 wird allgemein als großer Gewinner der Krise gesehen, während vor allem der bisherige Absatz von Embraers E2-Familie "enttäuschend" gewesen sei, wie Leeham kommentiert. Nicht einmal 200 seien von der E190-/ E195-E2 bestellt worden, keine einzige E175-E2, die sich derzeit in der Flugerprobung befindet.

Der mögliche Programmstart für ein neues Turboprop-Flugzeug durch Embraer ist derzeit verschoben, es könnte die alternden Modelle von ATR sowie der De Havilland Canada Dash-8-Q400 ersetzen. Leeham schätzt, dass ein solches Programm rund zwei Milliarden US-Dollar kosten würde, der gesamte Markt der nächsten 20 Jahre aber nur bei maximal 2.500 Flugzeugen für alle Hersteller zusammen läge.

Doch nach dem geplatzten Boeing-Einstieg scheint das in weite Ferne gerückt zu sein. "Es ist im derzeitigen Klima sehr schwer ein neues Flugzeug in Angriff zu nehmen. Ich sage nicht, dass wir es nicht irgendwann bauen werden – es ist ein sehr schönes Business Case, ich würde es sehr gern bauen, aber es ist nicht unmittelbar am Horizont", so Slattery.

Er dementierte auch Meldungen, Embraer würde sich in China nach einem neuen Partner umschauen. "Wir haben uns an niemanden auf der Welt proaktiv gewandt, das ist einfach nicht die Zeit dafür", sagte der Embraer-Chef.
© Andreas Spaeth, aero.de | Abb.: Andreas Spaeth | 04.05.2020 13:53

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Beitrag vom 05.05.2020 - 18:41 Uhr
Ich hoffe es auch. Embraer baut technisch hervorragende Flugzeuge - im Gegensatz zu dem ganzen Boeing-Schlamassel der letzten Zeit. Ausserdem ist Embraer für ein Land wie Brasilien ein echter wirtschaftlicher und technischer 'Leuchtturm', eine echte Perle - und so sind sie jetzt nicht abhängig von den Entscheidungen eines Boeing-CEOs in Zeiten von 'America first'. Es ist aber klar, dass es für Embraer in nächster Zeit ganz schwer wird.
Beitrag vom 05.05.2020 - 16:20 Uhr
Das von den anderen Usern gesagte klingt alles plausibel und logisch.
Vielleicht ist Embraer in einigen Jahren aber auch froh unabhängig geblieben zu sein, und nicht von Boeing möglicherweise "ausgesaugt" worden zu sein.
Muss nicht so sein, könnte aber, oder?
Ich wünsche Embraer auf jeden Fall viel Glück auf dem Weg als unabhängiger Hersteller.
Beitrag vom 05.05.2020 - 16:12 Uhr
Danke für die Antworten.


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