Antrieb der Boeing 777X
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Der weltgrößte Turbofan ist ausgewachsen

GE9X an Boeing 740-400 Testbed
GE9X an Boeing 740-400 Testbed, © GE Aviation

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PEEBLES - Nach neun Jahren Entwicklungsarbeit ist der größte Turbofan der Welt bereit für die Indienststellung an der überarbeiteten Triple Seven von Boeing. Doch auch nach der Zulassung durch die US-Luftfahrtbehörde FAA warten harte Prüfungen auf das GE9X von GE Aviation.

Die Zahl Neun spielt beim GE9X nicht nur im Namen eine Rolle: Neun Jahre nach Beginn der Entwicklung wichtiger Technologien und Komponenten für den Schubgiganten gab GE Aviation die Zertifizierung durch die Federal Aviation Administration (FAA) bekannt.

In die Zulassungstests involviert waren neun Triebwerke. Jeder der Kolosse wiegt, Sie ahnen es, mehr als neun Tonnen. Beim Treibstoffverbrauch hört die Neuner-Reihe aber auf. Denn um satte zehn Prozent soll das GE9X sparsamer sein als der Vorgänger GE90-115B.

Um die ehrgeizigen Verbrauchsvorgaben zu erreichen, vergrößerte GE den Bläserdurchmesser um 15 Zentimeter auf nie dagewesene 3,4 Meter. Damit würde der Rumpf eines Embraer E-Jets (Durchmesser 3,01 m) locker in die Triebwerksgondel passen.

Gleichzeitig wurde das Kerntriebwerk – Verdichter, Brennkammer, Turbine – verkleinert. Dadurch steigt das Nebenstromverhältnis auf 10:1.

Ingenieure setzen den Koloss auf Diät

Damit das kleinere Kerntriebwerk trotzdem genügend Leistung zum Antrieb des riesigen Fans generiert, muss das Gesamtdruckverhältnis des GE9X rekordverdächtige 60:1 erreichen, 20 Prozent mehr als beim GEnx der Boeing 787.

Höherer Druck bedeutet aber auch höhere Temperaturen. GE Aviation setzt deshalb in der "Hot Section" – Brennkammer, Turbine, Abgasdüse – auf keramische Faserverbundwerkstoffe (Ceramic Matrix Composite, CMC). Sie halten mehr als 1.300 Grad Celsius aus und weisen dabei nur etwa ein Drittel der Dichte von Stahl auf.

Die innere und äußere Verkleidung der Brennkammer und mehrere Teile der Hochdruckturbine (Düsenleitschaufeln der ersten und zweiten Stufe sowie Deckband der ersten Stufe) bestehen aus dem leichten und hitzebeständigen Material. Nach Angaben von GE bringt allein das ein bis zwei Prozent Treibstoffeinsparungen.

Sieben mehrteilige Strukturen

Das Gewicht ist bei einem Großtriebwerk wie dem GE9X ein allgegenwärtiges Thema. CMCs sind ein Beitrag für eine leichtere Konstruktion. Weiteres Potenzial bietet der 3-D-Druck von Metallen. In dem neuen 777X-Antrieb kommen mehr als 300 additiv gefertigte Teile zum Einsatz, so viele wie bisher in keinem anderen kommerziellen Triebwerk.

Diese sind in sieben mehrteilige Strukturen integriert, darunter der Brennkammer-Mixer, die Köpfe der Einspritzdüsen sowie die Schaufeln der fünften und sechsten Stufe der Niederdruckturbine.

GE9X
Das GE9X wird an der Boeing 777X zum Einsatz kommen, © GE Aviation

Ebenfalls vorteilhaft für das Gewicht sind die Kohlefaser-Bläserschaufeln der vierten Generation mit einer rostfreien Stahlvorderkante. Das GE9X kommt mit gerade einmal 16 Stück aus. Zum Vergleich: das GE90 hat 22 Fanschaufeln, das GEnx 18. Ermöglicht wird das unter anderem durch verbesserte Design- und Simulationsprogramme sowie neue, hochfeste Carbonfasern.

Zulassungstest

Im Rahmen der seit Mai 2017 laufenden Zulassungstests absolvierten die neun GE9X-Prototypen etwas weniger als 5.000 Stunden und 8.000 Zyklen (ein kompletter Flug mit Start und Landung). Am Boden mussten die Triebwerke zeigen, dass sie auch extremen Bedingungen widerstehen, darunter Hunderte Stunden mit Unwucht und Vibrationen sowie mehr als 1.000 Zyklen bei maximalen Temperaturen und Drehzahlen.

Bis zum Erstflug der 777X am 25. Januar 2020 hatte das GE9X zudem bereits mehr als 400 Flugstunden an der GE-eigenen Boeing 747-400 gesammelt.

Ganz reibungslos lief der Testbetrieb aber nicht ab, auch wenn es lange so aussah, als ob GE Aviation den Zeitplan voll erfüllen könnte. Das erste Triebwerk wurde früher zum Erstlauf gebracht als in vorigen Programmen.

Am 25. März 2016 – nur sechs Monate nachdem der Entwurf abgeschlossen war – begann die Bodenerprobung im GE-Testzentrum in Peebles, Ohio. Dabei handelte es sich noch um Entwicklungstests, in deren Rahmen die aerodynamische Leistung, die Mechanik und das Kühlsystem validiert werden sollten.

Technische Schwierigkeiten

Erste Flugtests waren für Mitte 2017 geplant, die FAA-Zulassung für 2018. Doch technische Schwierigkeiten sorgten für Verzögerungen. Betroffen war ausgerechnet das Herzstück des neuen Kraftpakets: der Hochdruckverdichter (Druckverhältnis 27:1), der im Vergleich zum GEnx um eine Stufe auf elf Stufen erweitert wurde.

GE9X Testtriebwerk
GE9X Testtriebwerk, © GE

Die Ingenieure hatten bei Bodenläufen 2017 ein Problem an den Hebelarmen, die die verstellbaren Leitschaufeln des Hochdruckverdichters bewegen, entdeckt. Der Erstflug des GE9X konnte deshalb erst mit mehrmonatiger Verspätung am 13. März 2018 stattfinden.

Doch damit nicht genug: Im Juni 2019 wurde bekannt, dass die Leitschaufeln der zweiten Stufe des Hochdruckverdichters zu vorzeitigem Verschleiß neigten. Das Problem wurde noch im Sommer 2019 behoben, trug aber dazu bei, dass Boeing den Erstflug der 777-9 auf Anfang 2020 verschieben musste.

Demonstratoren für die ETOPS-Zulassung

Seit September treibt Boeing nun mit vier 777-9-Protoypen die Flugerprobung des neuen Twin voran. Und auch das GE9X wird weiter getestet. Bis Ende 2020 wird einer der Demonstratoren für die ETOPS-Zulassung (Extended-range Twin-engine Operational Performance Standards) auf Herz und Nieren untersucht.

GE Aviation muss nachweisen, dass der Riese im späteren Betrieb auch beim Ausfall eines Triebwerks das Flugzeug sicher zum nächsten Ausweichflughafen bringen kann.

Derweil wird ein anderes GE9X auf einen Härtetest im ersten Halbjahr 2021 vorbereitet. Dabei soll das Triebwerk auf einem Prüfstand Sand und Staub einsaugen. Im Fokus steht dabei ein Bauteil, das GE als zusätzlichen Schutz für den Betrieb in wüstenähnlichen Umgebungen eingebaut hat: den sogenannten Cyclonic Inducer, der aus einer Kobalt-Chrom-Legierung additiv hergestellt wurde.

Auch wenn sich GE Aviation über die genaue Funktionsweise ausschweigt, handelt es sich wohl um eine Art Fliehkraftabscheider, der die internen Kühlkanäle in den Schaufeln und Düsen der Turbine von Verstopfungen freihalten soll.

Nach den Bodentests, für die synthetischer sowie natürlicher Sand verschiedener Regionen eingesetzt wird, wird das Triebwerk zunächst per Boroskop untersucht und dann auseinandergenommen. Es ist ein langer und sandiger Weg, bis das GE9X voraussichtlich 2022 an der Boeing 777X in den kommerziellen Dienst gehen kann – neun Jahre nach dem offiziellen Programmstart.
© FLUGREVUE - Ulrike Ebner | Abb.: GE Aviation | 09.01.2021 10:11


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