Klagewelle
Älter als 7 Tage

Ein Gericht befasst sich fast nur noch mit Fluggastklagen

Fraport AG
Flughafen Frankfurt, © Fraport AG

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FRANKFURT - Bei Gerichten an den Standorten der 20 größten deutschen Flughäfen landen immer mehr Klagen gegen Airlines. Nach Angaben des Deutschen Richterbundes waren es im vergangenen Jahr mehr als 125.000 und damit so viele wie nie. Neue Systeme sollen die Klagewelle brechen.

Immer mehr Passagiere klagen gegen Airlines. Im Vergleich zum Vorjahr sei die Zahl der Fälle bundesweit rund 80 Prozent gestiegen, teilte der Deutsche Richterbund mit. Die Kunden verlangen meist Entschädigungen für ausgefallene oder verspätete Flüge.

Mit knapp 37.300 Verfahren gab es beim Amtsgericht Köln das höchste Aufkommen, wie eine Umfrage der "Deutschen Richterzeitung" ergab, auf die sich der Verband bezog. Das seien fast doppelt so viele wie im Vorjahr. In der Domstadt hat die Lufthansa ihren juristischen Sitz.

Es folgen Frankfurt mit gut 15.000 Fällen (2022: etwa 11.300) und das für den Hauptstadtflughafen BER zuständige Amtsgericht Königs Wusterhausen mit knapp 14.000 (2022: mehr als 7.000).

Bei dem Gericht in Brandenburg machen die Verfahren von BER-Passagieren nach Verbandsangaben inzwischen 93 Prozent aller Zivilklagen aus. Beim Amtsgericht Erdingen, das für den Flughafen München zuständig ist, sind es sogar 94 Prozent.

Auch bei der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) sind die Fallzahlen wieder deutlich gestiegen, wenn auch mit knapp 39.800 Beschwerden das Rekordjahr 2020 knapp verfehlt wurde. Erneut machten Streitigkeiten um Flugreisen mit 84 Prozent den weit größten Anteil der Verbrauchereingaben aus. Bei den mehr als 33.000 Schlichtungsbitten ging es meist um annullierte Flüge, Verspätungen und Gepäckprobleme. Im Schnitt konnten 85 Prozent der Verfahren mit einer Einigung beendet werden, berichtet die SÖP.

Gerichte testen KI

Der Richterbund sieht Portale, mit denen Fluggäste ihre Ansprüche schnell und einfach durchsetzen können, als einen wesentlichen Grund für die Entwicklung bei den Gerichten. "Viele Amtsgerichte ächzen unter einer neuen Welle von Fluggastverfahren", sagte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn der Deutschen Presse-Agentur.

Die Justiz habe reagiert und versuche, "Fließbandklagen", mit denen Anwaltskanzleien und Inkassodienstleister viele Gerichte überhäuften, mit moderner Technik besser zu bewältigen. In Frankfurt wurde zum Beispiel ein KI-Assistenzprogramm erprobt.

Dieses kann nach Angaben des hessischen Justizministeriums Schriftsätze analysieren, Metadaten auslesen sowie Richterinnen und Richtern Textbausteine für ein Urteil vorschlagen. Die erfolgreiche Entwicklung des Prototyps "Frauke" stößt auch in Brandenburg auf Interesse: Im vergangenen November vereinbarten die beiden Länder eine Zusammenarbeit.

"Bislang ist daraus aber noch keine Standardsoftware entwickelt worden, die im Regelbetrieb der Gerichte durch die Klageflut helfen könnte", sagt Rebehn. Er erneuerte seine Kritik an mangelnden Ausgaben für die Justiz: "Mit einem auf 50 Millionen Euro jährlich eingedampften Minibudget der Bundesregierung wird sich die Justiz-Digitalisierung in Deutschland allerdings nicht spürbar beschleunigen lassen."

Weniger Passagiere als vor Pandemie

Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes hat sich der Luftverkehr in Deutschland 2023 zwar weiter vom Corona-Schock erholt, fliegt im europäischen Vergleich aber hinterher.

Die Statistiker registrierten 2023 an den 23 deutschen Hauptverkehrsflughäfen 185,2 Millionen Passagiere. Das waren 19,3 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, aber auch 18,3 Prozent weniger als im letzten Vor-Corona-Jahr 2019.

Vor allem auf Inlandsflügen sind nicht einmal halb so viele Menschen unterwegs wie vor der Pandemie. Daran wird sich auch in diesem Jahr nicht viel ändern: Laut der Flugplanauswertung des Branchenverbands BDL werden im ersten Halbjahr innerdeutsch 53 Prozent der Sitzplätze von 2019 angeboten.

Auf der Langstrecke sind es der Prognose zufolge 95 Prozent und auf der Kurz- und Mittelstrecke mit Zielen außerhalb Deutschlands 89 Prozent. Besonders gering bleibe das Flugangebot in Dresden, Stuttgart und Berlin.
© dpa-AFX | Abb.: Fraport | 05.02.2024 06:49

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Beitrag vom 06.02.2024 - 07:30 Uhr
Interessant wäre es in diesem Zusammenhang gewesen such zu vermelden, wieviel Prozent der Klagen erfolgreich sind und wieviele nicht.

Natürlich alle Airlines betreffend.

Diese Frage ist leicht zu beantworten. Der allergrößte Teil der Klagen hat Erfolg. Es haben sich aus der Situation der großen Verspätungen und Annullierungen von Flügen zwei Geschäftsmodelle ergeben:
Das erste Geschäftsmodell ist das der Fluggesellschaften, nämlich Fluggästen ihre berechtigte Ausgleichszahlung nach Fluggastrechte – Verordnung zu verweigern.
Das zweite Geschäftsmodell ist, dass Dienstleister und Rechtsanwälte die für Fluggäste die zumeist berechtigten Ansprüche auf Ausgleichszahlung vor Gericht durchsetzen.
Das Gericht als neutrale Instanz verurteilt in den allermeisten Fällen die Fluggesellschaften zur Zahlung. Offensichtlich scheint sich das Geschäftsmodell für die Fluggesellschaften aber nach wie vor zu rechnen, denn von einem betroffenen Flug mach ja nur ein Teil der Fluggäste seine Ansprüche geltend.
Meine anwaltliche Erfahrung mit vielen großen (auch deutschen) Fluggesellschaften ist es, dass vorgerichtlich gemauert wird und nach Klage Erhebung in mindestens 50 % der Fälle der Anspruch anerkannt wird und von den verbleibenden 50 % werden. 80-90 % zu Gunsten der Fluggäste entschieden. Nur selten stellt sich im Prozess heraus, dass Ansprüche der Flug Gäste nicht bestehen.
So, und nun mache ich mich gleich auf den Weg zum Amtsgericht Frankfurt, um wieder zwei Fälle gegen Fluggesellschaften zu verhandeln.
Holger Hopperdietzel

Dieser Beitrag wurde am 06.02.2024 07:31 Uhr bearbeitet.
Beitrag vom 05.02.2024 - 12:31 Uhr
Es gäbe noch einen anderen Weg, um die Gerichte zu entlasten: Die Einführung eines Strafschadenersatzes, wie er in den USA möglich ist. Dann würden es sich die Airlines überlegen, ob es sich rechnet, berechtigte Ansprüche erst mal abzulehnen und darauf zu hoffen, dass die Kunden es nicht bis zum Ende durchziehen.

Zu dem Strafschadensersatz sollte noch ein Zuschlag zu den Gerichtskosten kommen, der sich pro verlorenem Fall um 5 % kumulativ erhöht (Zinseszins).
Beitrag vom 05.02.2024 - 11:27 Uhr
Es gäbe noch einen anderen Weg, um die Gerichte zu entlasten: Die Einführung eines Strafschadenersatzes, wie er in den USA möglich ist. Dann würden es sich die Airlines überlegen, ob es sich rechnet, berechtigte Ansprüche erst mal abzulehnen und darauf zu hoffen, dass die Kunden es nicht bis zum Ende durchziehen.


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