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Passagierklagen verstopfen die Amtsgerichte. In Erding sind 90 Prozent der Verfahren reine Fluggastfälle. Gefolgt vom Amtsgericht Königs Wusterhausen, zuständig für den Hauptstadtflughafen BER: 83 Prozent der Zivilfälle sind hier Fluggastfälle.
Amtsgerichte fühlen sich zunehmend durch solche Massenverfahren zusehens überlastet. Bundesweit verhandeln Amtsgerichte im Schnitt rund 100.000 Fluggastfälle jährlich, das sind 10 Prozent aller Zivilfälle.
Nach einem Rückgang der Fallzahlen im vergangenen Corona-Sommer steigt die Zahl der Fluggastverfahren in diesem Sommer wieder massiv an, vergleichbar mit dem Vor-Corona-Sommer 2019. Die meisten Fälle meldet aktuell das Amtsgericht Köln mit rund 7.300 (Stand 31.7.2022).
Dabei ist der Höhepunkt der Klagezahlen noch nicht erreicht. Der Sprecher des Amtsgerichts Frankfurt Michael Gottmann rechnet damit, dass "eine Welle zusätzlicher Fluggastklagen ab Spätherbst auf uns zurollen wird." Am Amtsgericht Frankfurt machen Fluggastfälle etwa die Hälfte der Zivilfälle aus.
Die Fluggastrechteverordnung billigt Passagieren bei mehr als dreistündiger Flugverspätung oder Annullierung ihres Fluges eine Entschädigung von bis zu 600 Euro zu, abhängig von der Entfernung des geplanten Fluges. Reiseexperten und Fluggastportale erklären gegenüber "Report Mainz", dass viele Airlines die Entschädigung grundsätzlich nicht zahlten, um so Kosten zu sparen.
Bis zu 30 Klagen - für einen Flug
Bei dem Fluggastportal Flightright melden sich aktuell täglich rund tausend geschädigte Passagiere. "Rund 50 Prozent unserer Fälle landen vor Gericht", erklärt Oskar de Felice, Sprecher von Flightright. Zudem müsse für jeden einzelnen Passagier in einem Flugzeug individuell geklagt werden, obwohl der Sachverhalt immer der gleiche sei. "Das ist total absurd: Wir haben häufig 20, 30 Passagiere auf einem Flug und müssen dann 20, 30 Urteile erstreiten," so De Felice.
Der Hessische Justizminister Roman Poseck (CDU) erklärt gegenüber "Report Mainz", diese Massenverfahren hätten erhebliche Folgen für die Justiz: "Wenn die Gerichte jetzt in ganz hohem Maße diese Massenverfahren bearbeiten müssen, werden personelle Kapazitäten gebunden, die an anderer Stelle nicht vorhanden sind." Man könne das Personal nur einmal einsetzen. "Das Personal, das Massenverfahren bearbeitet, steht für Haftsachen, für wichtige Strafverfahren nicht zur Verfügung."
Richter, die in Massenverfahren etwa zu Fluggastrechen, Dieselentschädigungen oder Entschädigungen für Bankkunden gebunden seien, fehlten am Ende also für Strafverfahren. Bei Strafverfahren wird die Überlastung der Justiz überdeutlich: Immer wieder müssen Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil Strafprozesse nicht rechtzeitig eröffnet werden können.
Eine Umfrage von "Report Mainz" unter den Justizministerien der Länder ergab, dass in den vergangenen acht Jahren in jedem Bundesland Tatverdächtige aus der Haft entlassen wurden. Insgesamt mehr als 375 mutmaßliche Straftäter. Begründet wird das von den Justizbehörden mit einer Überlastung der Justiz.
Gerichte schlagen Alarm
Immer mehr Gerichte schlagen Alarm. Thorsten Eckert, Vorsitzender des Bezirksrichterrats bei dem Oberlandesgericht München erreichte im Herbst letzten Jahres ein Brandbrief von neun Richtern des Amtsgerichtes Augsburg, der "Report Mainz" vorliegt.
Sie schreiben, dass der Umgang mit der Masse sie zu "Urteilsrobotern" mache. Sie müssten um "der Masse Herr zu werden, einen Großteil dessen über Bord werfen, was wir gelernt und verinnerlicht haben". Denn würden sie daran festhalten, "würde die Ziviljustiz in kürzester Zeit kollabieren".
Doch das reiche angesichts der Massenklagen noch immer nicht, um die Justiz wirklich zu entlasten, so der hessische Justizminister: "Es geht nicht alles übers Personal. Die personelle Ausstattung wird immer an Grenzen stoßen. Ich halte es auch für wichtig, dass wir die Gesetze ändern, dass wir Verfahrensordnungen so anpassen, damit sich die Justiz auf das konzentrieren kann, was wesentlich ist."
Die Justizministerkonferenz hatte vom Bundesjustizministerium bereits mehrfach gesetzgeberische Maßnahmen für Massenverfahren gefordert, insbesondere eine Änderung der Zivilprozessordnung sei unverzichtbar. Doch das Bundesjustizministerium stellt auf Anfrage von "Report Mainz" eine solche Änderung nicht in Aussicht.
Das kritisiert der hessische Justizminister Roman Poseck: "Ich würde mir schon wünschen, dass sich der Bundesjustizminister zügig und intensiv dieser Thematik annimmt. Bislang kann ich das jedenfalls nicht feststellen."
© aero.de, OTS (Report Mainz) | Abb.: FBB | 25.08.2022 16:16
Kommentare (4) Zur Startseite
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Ich bin sehr froh, wenn der Gesetzgeber diesen Laden mal in die Pflicht nimmt, sei es mit der Abschaffung des Vorkasse Prinzips, oder andere Gesetze, die den Passagier schützen.
Die gibt es ja schon, z.B. die EU Verordnung 261/2004. Damit alles gesetzlich eindeutig geregelt. Und für ggfls. unklare Passagen gibt es mittlerweile unzählige Urteile, die das regeln.
Leider können die Airlines das (größtenteils) ignorieren, ohne das sich jemals ein Staatsanwalt dafür interessiert.
Ich bin sehr froh, wenn der Gesetzgeber diesen Laden mal in die Pflicht nimmt, sei es mit der Abschaffung des Vorkasse Prinzips, oder andere Gesetze, die den Passagier schützen.
Um die Rückzahlungen geht es in dem Artikel doch gar nicht, oder habe ich da etwas überlesen?