AF447
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15 Jahre Todesflug Rio â€" Paris

Flug AF447
Flug AF447, © FAB

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PARIS - 228 Menschen sterben 2009 bei dem Absturz einer Air-France-Maschine zwischen Rio de Janeiro und Paris mitten im Atlantik. Nun jährt sich die Katastrophe zum 15. Mal. Ein Prozess gegen Airbus und Air France endete 2023 mit Freisprüchen. Wie steht es um die Aufarbeitung?

15 Jahre sind vergangen, seit eine Air-France-Maschine auf dem Weg von Rio de Janeiro nach Paris mehr als Tausend Meter in die Tiefe stürzte und 228 Menschen im Atlantik in den Tod riss. Doch die juristische Aufarbeitung des Unglücks, das sich an diesem Samstag jährt, ist noch immer nicht abgeschlossen.

Für Flugzeugbauer Airbus und Airline Air France geht es in Paris wegen des Vorwurfs fahrlässiger Tötung erneut vor Gericht. Die Angehörigen schwanken angesichts des jahrelangen Kampfs für Aufklärung zwischen Hoffnung und Zermürbung.

Die Air-France-Maschine des Flugs AF 447 war am 1. Juni 2009 auf dem Weg von Rio in die französische Hauptstadt in eine Unwetterfront geraten und von den Radarschirmen verschwunden. Der Airbus vom Typ A330 stürzte in den Atlantik. 228 Menschen starben, darunter auch 28 Deutsche.

Lange war die Ursache unklar. Erst im Mai 2011 wurden die letzten Leichen und der Flugdatenschreiber aus etwa 4.000 Metern Tiefe geborgen.

Eines der Opfer war die 31-jährige Ines. Wenn ihr Vater Bernd Gans aus dem bayerischen Vaterstetten auf die Aufarbeitung des Todesflugs zurückschaut, spricht er von "einer perfiden Verschleppungspolitik", etwa bei der Suche nach dem Wrack und dem juristischen Hin und Her.

Dass ein Berufungsgericht Airbus und Air France 2021 schließlich wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung auf die Anklagebank schickte, sei für die deutschen und französischen Hinterbliebenen eine Genugtuung gewesen, schildert der 83-jährige Vorsitzende der deutschen Hinterbliebenenvereinigung HIOP AF447.

Doch die beiden Konzerne wurden vor gut einem Jahr freigesprochen. Sie hätten zwar nachlässig oder unvorsichtig gehandelt, doch weil nicht eindeutig festgestellt werden könne, dass die Verfehlungen zu dem Absturz führten, hätten diese strafrechtlich keine Relevanz, urteilte das Gericht. Gans nennt die Begründung willkürlich.

Von der französischen Hinterbliebenenorganisation Entraide et Solidarté AF447 hieß es, das Urteil lasse sie in einer Schockstarre zurück.

Der Prozess drehte sich um die Frage, ob Air France seine Piloten besser hätte ausbilden und auf Extremsituationen vorbereiten können. Airbus wurde in der Anklage vorgehalten, die Folgen eines Ausfalls der für die Geschwindigkeitsmessung zuständigen Pitot-Sonden unterschätzt zu haben. Die Sonden waren bei dem Flug eingefroren.

Ein Expertengutachten hatte 2012 geurteilt, die Crew sei danach mit der eigentlich beherrschbaren Lage überfordert gewesen.

Im Mittelpunkt stand der Untersuchungsbericht der französischen Flugunfallstelle BEA. Die Daten der Flugschreiber ergaben, dass die Piloten vor allem auf Warnungen über einen Strömungsabriss an den Tragflächen falsch reagiert hatten. Dies ließ den Jet schnell an Höhe verlieren und schließlich abstürzen.

Die Überziehwarnung schwieg zwischendurch jedoch anders als zu erwarten, sobald eine bestimmte Geschwindigkeit unterschritten wurde - als das Flugzeug also längst nicht mehr flog, sondern nur noch durchsackte.

"Vollkommen überrascht"

"Die Verstopfung der Pitot-Sonden durch Eiskristalle im Flug war ein bekanntes Phänomen, das jedoch von der Luftfahrtgemeinschaft zum Zeitpunkt des Unfalls schlecht beherrscht wurde", hielt das BEA in seinem Abschlussbericht fest.

Den kompletten Verlust der "anemometrischen Informationen" hätten die Piloten zwar erkennen und kompensieren können, aber: "Die Piloten waren vom Auftreten des Defekts im Kontext des Flugs in Reiseflughöhe vollkommen überrascht", heißt es in dem Bericht.

Airbus und Air France hatten die Verantwortung für den Absturz zurückgewiesen. Im Urteil hieß es trotz des Freispruchs, Vorfälle mit den Sonden seien von Airbus nicht ausreichend nachverfolgt worden, Informationen seien zurückgehalten worden. Air France hätte seine Piloten besser auf Probleme mit den Sonden hinweisen können.

Die Staatsanwaltschaft ging zur Erleichterung der Angehörigen, von denen rund 500 als Nebenkläger auftraten, gegen das Urteil in Berufung. Einen Termin für das Berufungsverfahren gibt es bisher jedoch nicht, wie es aus Justizkreisen hieß.

Danièle Lamy von der französischen Hinterbliebenenorganisation steht dem Prozess durchaus skeptisch gegenüber. "Sollen wir Familien der Opfer die Qualen eines vergeblichen und fruchtlosen Versuchs erneut erleben, noch einmal Monate der juristischen Unruhen erleiden?" Für die Opfer werde man nicht resignieren, damit die Verfehlungen anerkannt würden und ein Schuldspruch gesprochen werde.

Auch Gans hofft darauf, dass das Verfahren diesmal anders ausgeht - besonders mit Blick auf die zwei Abstürze von Boeingmaschinen des Typs 737 MAX in den Jahren 2018 und 2019, bei denen 346 Menschen ums Leben kamen. "Das ist dort eine ähnliche Situation gewesen, aber man hat Konsequenzen gezogen", meint Gans. Die Flugzeuge wurden am Boden gehalten.

Bei den schon vor dem Todesflug Rio-Paris gemeldeten Problemen mit den Sonden habe die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA die Sicherheitsgefahr nicht hoch genug eingestuft und kein Startverbot verhängt. Gans würde in Berufung daher auch den damaligen Chef der EASA, Patrick Goudou, gerne auf der Anklagebank sehen.

Air France und Airbus drohen in dem Verfahren Geldstrafen bis zu 225.000 Euro. Doch den Hinterbliebenen geht es nicht um die Buße für die Konzerne. Man möchte einen Beitrag für mehr Sicherheit im Luftverkehr leisten, sagt Gans. "Und ich würde sagen, es ist tatsächlich eine andere Situation geworden."

Air France habe die Ausbildung verbessert. Airbus und Thales würden sich wohl genauer überlegen, was sie in den Verkehr bringen. Und: "So einfach die Dinger unter den Teppich zu kehren, das geht nicht mehr", sagt Gans. Es ginge neben dem Erinnern um das Weiterdenken, um den Luftverkehr. "Insofern kann man das wirklich nicht hoch genug einschätzen, dass auch die Rechtsprechung sich der Probleme annimmt."

Den Jahrestag des Absturzes werden Gans und seine Frau abseits des juristischen Gerangels um die Verantwortung für den Tod ihrer Tochter und 227 anderer Menschen in einer Kirche verbringen. Nach dem Unglück haben sie und Mittrauernde dort Orgelpfeifen auf den Namen ihrer Tochter Ines gestiftet. "Wir fühlen uns mit unserer Tochter dort sehr verbunden", sagt Gans.
© dpa, aero.de | Abb.: BEA | 01.06.2024 07:43

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Beitrag vom 02.06.2024 - 19:28 Uhr
U.a. auch deswegen hat ja der FO wie ein Bekloppter den Stick nach hinten gezogen, stand ja "Stall" auf dem ECAM... So war er trainiert, abgesegnet von AF und Airbus.
[...]
Viele vergessen glaube ich auch gerne, dass das was heute als undenkbar gilt - wie die damalige stall recovery technique von Airbus - damals State of the Art bzw. vom Hersteller so empfohlen war.

War denn "voll ziehen" tatsächlich jemals eine geschulte Prozedur bei Airbus, um aus einem 30° nose-up _Stall_ zu kommen?
Wie sollte das funktionieren?
Das wäre doch das exakte Gegenteil der normalen Reaktion jedes Piloten auf einen Stall...
Beitrag vom 02.06.2024 - 19:08 Uhr
Falls man nicht mit überdimensierten Motoren unterwegs ist, kommt man im Sackflug bei fast Vollgas mit "Ziehen" und "Vollgas" nicht weiter. Das weiss an sich jeder Flugschüler, der nicht gerade auf einem Kampfflieger seine Eingangsschulung erfährt.
Hatte Airbus einen A330 mit fast MTOW in 37000 ft jemals in den Sackflug gebracht?

Wenn man nur im "normal law" fliegen soll und kann, kann man dann auch im "direct law" sicher fliegen?
Beitrag vom 02.06.2024 - 06:54 Uhr
Und in gewisser Weise auch Airlines, aber die finde ich spielen nur sekundär eine Rolle.

Gerade im Fall von AF447 würde ich die Airline nicht rauslassen. Es gab ein SB zum Austausch der Pitot-Sonden des Typs, der bei der Unglücksmaschine verbaut war. Nur hat AF das halt nicht gemacht bzw. für noch weniger dringlich gehalten als der Hersteller und die Behörden.

Und dann wäre da noch das Thema CRM - die im Cockpit anwesenden Piloten haben nicht miteinander kommuniziert und gegensätzliche Steuereingaben getätigt. Auch wenn einer der Piloten falsch geschult war - diesen Aspekt würde ich nicht beim Hersteller verorten. Dem kann man die nicht angemessene Stall Recovery Procedure umhängen, aber das mangelnde Kommunikationstraining und das offensichtlich ungenügende Trainieren von Stress-Szenarien muss die Airline sich auf die Fahne schreiben.


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