Verfahren "willentlich missachtet"
Älter als 7 Tage   EXKLUSIV 

Eurowings-A320 bretterte auf Funchal zu

Eurowings Airbus A320
Eurowings Airbus A320, © Eurowings

Verwandte Themen

FUNCHAL - Eine Eurowings-Crew hat einen Anflug auf Madeira nicht nur verpatzt - nach Einschätzung der Airline wurden trainierte "Standardverfahren und Grenzen des Flugzeugs" bei dem Vorfall "willentlich missachtet". Mögliche Orientierungsprobleme beim Landeabbruch verschärften die Situation zusätzlich. Was ist passiert?

Eurowings nennt weder Datum noch Flugnummer. Ein internes "Safety Update" beschreibt das Geschehene aber detailreich. Die Sache schlägt bei der Lufthansa-Tochter hohe Wellen.

"Vor einigen Monaten flog ein Airbus der Eurowings bei ungünstigen Wetterverhältnissen den Flughafen Funchal an", heißt es in dem internen Memo der Flugsicherheitsabteilung, das aero.de vorliegt. Rund um Madeira ist es an diesem Tag windig - das ATIS meldet Windscherungen am Flughafen.

"Das 1000-Fuß-Gate wurde nicht gemäß unserer Stabilisierungskriterien durchflogen", heißt es in dem Memo. "Das Fahrwerk war noch eingefahren und die Klappen nicht in Landestellung. Auch die anderen Parameter, wie die Anfluggeschwindigkeit, entsprachen daher nicht den Kriterien eines stabilen Anflugs. Dennoch wurde der Anflug fortgesetzt."

Eurowings wertet die fehlende Konfiguration als "bewussten Verstoß gegen die ausnahmslos einzuhaltenden Kriterien für einen stabilen Anflug". Die Piloten werden später angeben, dass sie den Anflug wegen der erwarteten Windscherungen mit "möglichst wenig Widerstand" durchführen wollten.

Airbus steuert Richtung Meer

Im Endanflug auf Funchal schlägt die Windshear-Warnung an. "Der Pilot Flying entschied sich nun endlich für einen Go-Around und schob die Schubhebel in die TOGA-Notch", hält Eurowings fest. "Vermutlich aufgrund räumlicher Desorientierung kam es dabei zu keinem Nose Up Input. Vermutlich hatte auch unsere Crew das Gefühl, das Flugzeug würde steigen."

Tatsächlich senkt sich die Nase aber "bis auf -6,7 Grad" - der Airbus steuert unter angelegter Durchstartleistung Richtung Meer.

"Daraus resultierte eine Vertikalgeschwindigkeit von -2.900 Fuß pro Minute bei nur 700 Fuß über Grund", so der Bericht weiter. "Bei 670 Fuß Radio Altitude ertönte schließlich die "Sinkrate"-Warnung, als die Besatzung gerade die Wolkenuntergrenze durchstieß."

Erst "beim Blick aus dem Fenster" erkennt die Crew die Situation. "Der Pilot Flying leitete schließlich einen Steigflug mit bis zu 2,0g ein", löst der Bericht die Situation auf. "Es kam zu einem zweiten Anflug, der ebenfalls in einem Go Around endete. Daraufhin entschied man sich zu einer Ausweichlandung."

Eurowings sah nach dem Vorfall einigen Klärungsbedarf. "Abschließend bleibt die Frage, wieso nach hohen Standards trainiert wird, wenn die Standardverfahren und Grenzen des Flugzeugs willentlich missachtet werden", hält Eurowings fest. "Es gibt kaum valide Gründe für das Fortführen eines unstabilen Anflugs."

Eurowings hat sich mit dem Vorfall intensiv befasst. "Es entspricht unserer Sicherheitskultur, dass wir solche Ereignisse transparent und professionell aufarbeiten", sagte ein Sprecher aero.de. "Dabei stehen wir selbstverständlich im Austausch mit den relevanten Behörden."
© aero.de | Abb.: Airbus | 06.08.2024 06:43

Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich bei aero.de registrieren oder einloggen.

Beitrag vom 08.08.2024 - 15:37 Uhr
WOW, was für eine geile Headline!

Da hat der Aero.de-(Ex-BILD-)Praktikant ganze Arbeit geleistet.
Beitrag vom 07.08.2024 - 20:19 Uhr
Was in den den entsprechenden Betriebsunterlasgen steht ist bindend - erst recht für Anflug und Landung zu bzw. auf "anspruchsvolle Flughäfen".
Wenn das Memo inhaltlich korrekt war, dann muss bei 1000 ft ein stabilisierter Anflug anliegen.
Was hat sich vorher im Cockpit abgespielt? Ausgebildete IFR-Piloten merken erst beim Blick aus dem Fenster, dass es nach unten geht und geben dies noch zu Protokoll.....
Beitrag vom 07.08.2024 - 18:49 Uhr
Das was du schreibst, macht durchaus Sinn und wird in aller Regel auch so gelebt. Die Flugbetriebshandbücher erlauben allerdings bei non-standard Circlings einen grossen Gestaltungsspielraum, der dann nach Abwägung aller Fakten und Bedrohungen seitens der Crew mit Leben zu füllen ist.
Da ist von professionell-konservativ bis Cowboy einiges möglich.
In den Handbüchern der Gesellschaften, bei denen ich geflogen bin, gibt es bei solchen Anflügen keine explizite Vorgabe, wann das Fahrwerk zu fahren ist.
Einzige Bedingung: Der Flieger muss in 500 AGL stabilisiert sein.
Ausschliesslich daraus der Funchal Crew einen Strick drehen zu wollen, ist etwas dünn.

Ich weiß nicht, was es da groß zu diskutieren gibt. EW sagt selber:

"Das 1000-Fuß-Gate wurde nicht gemäß unserer Stabilisierungskriterien durchflogen", heißt es in dem Memo. "Das Fahrwerk war noch eingefahren und die Klappen nicht in Landestellung. Auch die anderen Parameter, wie die Anfluggeschwindigkeit, entsprachen daher nicht den Kriterien eines stabilen Anflugs. Dennoch wurde der Anflug fortgesetzt."

Eurowings wertet die fehlende Konfiguration als "bewussten Verstoß gegen die ausnahmslos einzuhaltenden Kriterien für einen stabilen Anflug".

Damit ist festzuhalten: bei 1000ft hat das Fahrwerk ausgefahren zu sein und die Klappen in Landestellung. Punkt. Ohne wenn und aber. Auch in Funchal. Und wenn der Anflug so kritisch ist aufgrund von Wetter, dass man solche Überlegungen anstellt, sollte man den Anflug vielleicht gar nicht erst beginnen.


Stellenmarkt

Schlagzeilen

aero.uk

schiene.de

Meistgelesene Artikel

Community

Thema: Pilotenausbildung

FLUGREVUE 10/2024

Shop

Es gibt neue
Nachrichten bei aero.de

Startseite neu laden