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Nein, ganz ersetzen wird die Tu-214 bei Russlands Airlines ihre westlichen Pendants nicht. Nicht einmal annähernd. Dafür wird sie schlicht und ergreifend in zu geringer Stückzahl verfügbar sein.
Ganze 70 Tu-214 will der russische Staatskonzern Rostec nach eigenen Angaben als Reaktion auf das Embargo gegen Russland produzieren. Aber nicht in einem Monat und nicht pro Jahr - sondern bis Anfang 2030. Das ist das offizielle Ziel, das Rostec laut einer Mitteilung der Nachrichtenagentur Tass vom 8. April bezüglich des Tupolew-Zweistrahlers ins Auge fasst.
Streicht man das laufende Jahr aus der Rechnung heraus, kommt man so auf eine durchschnittliche Fertigungsrate von jährlich zehn Tu-214 zwischen 2023 und 2030. Mehr ist wohl einfach nicht drin. Laut Juri Sljusar, Chef der zu Rostec gehörenden Flugzeugbau-Holding UAC, läuft derzeit der Bau von 20 Tu-214 - wobei völlig unklar ist, in welchen Stadien sich diese 20 Exemplare aktuell befinden.
Denn die Tu-214 spielte zwar in der zivilen Luftfahrt bislang keine Rolle. Ganz versiegt ist ihre Produktion jedoch trotzdem nie. In Kleinserie fertigt UAC in Kasan die Tu-214 fürs Militär. Dort erledigt der Zweistrahler unterschiedliche Aufgaben. So kam die Tu-214 in der Vergangenheit zum Beispiel für Open Skies-Missionen zum Zug und wird bei den Spezialstaffeln der Luftwaffe als fliegender Kommandoposten sowie zum Personentransport eingesetzt.
Außerdem gibt es mit der Tu-214R eine Spezialversion für die Elektronische Aufklärung (ELINT). Als Airliner hingegen war die Tu-214 ein absoluter Flop. Nur wenige der insgesamt 34 bisher gebauten Exemplare fanden überhaupt ihren Weg zu kommerziellen Airlines - im Dienst steht davon keine mehr.
So musterte etwa Red Wings ihre einzige, 2009 übernommene Tu-214 zum Herbst 2017 wieder aus. Andere Ex-Nutzer wie Transaero, Kras Air oder Dalavia sind gar komplett von der Bildfläche verschwunden.
Technisch nicht so schlecht
Dabei war die Tu-214, als sie am 20. März 1996 zum Erstflug abhob, technisch gesehen kein schlechtes Produkt. Das Flugzeug basiert weitgehend auf der noch in der UdSSR entwickelten und seit 1989 fliegenden Tu-204, die optisch der Boeing 757 ähnelt und von der rund 50 Stück gebaut wurden. Es besitzt ein Zweimann-Glascockpit mit Fly-by-wire-Steuerung, Head-up-Displays für die Piloten und in Russland entwickelte Avionik.
Wie die Tu-204 nutzt die Tu-214 Tragflächen mit superkritischem Profil, weist gegenüber der Ausgangsversion aber einige Änderungen auf. So steht für die Tu-214 ein auf 110,75 Tonnen erhöhtes Abfluggewicht zu Buche, gegenüber 103 Tonnen bei der Tu-204-100. Strukturelle Verstärkungen und zusätzliche Kerosintanks kennzeichnen die Tu-214, deren operationelle Reichweite laut Herstellerangaben bei 6.500 Kilometern liegt.
Mit maximaler Zuladung (25,2 Tonnen) fliegt die Tu-214 immerhin noch 3.800 Kilometer weit – und damit etwas weiter als die Tu-204, deren maximale Nutzlast allerdings bei nur 21 Tonnen liegt. Einzelne Spezialversionen beanspruchen sogar Reichweiten von über 8.000 Kilometern für sich.
Die Reisegeschwindigkeit der Tu-214 beträgt 850 km/h, die Dienstgipfelhöhe 12.000 Meter. Bis zu 210 Passagiere finden in der 3,6 Meter breiten und 2,15 Meter hohen Kabine Platz. In der Regel finden sich dabei sechs Sitze in jeder Reihe.
Zu schwer, zu durstig
Mit diesen Daten, sowie einer Länge von 46,2 und einer Spannweite von 42 Metern, ist die Tu-214 größen- und leistungstechnisch vergleichbar mit dem Airbus A321. Beide Muster sind waschechte Mittelstreckenjets, besitzen ähnlich große Standardrumpf-Kabinen und stammen aus den 90er-Jahren.
Setzt man jedoch einzelne Parameter zueinander ins Verhältnis, wird schnell klar, dass die A321 in vielerlei Hinsicht besser abschneidet als die Tu-214. So stemmt der in Hamburg-Finkenwerder gebaute Airbus-Jet mit 25,3 Tonnen fast dieselbe Nutzlast wie sein russisches Gegenstück - ist im Leerzustand mit 48,5 Tonnen jedoch deutlich leichter (Leergewicht Tu-214: 59 Tonnen).
Die A321 fliegt mit weniger Sprit im Gepäck ähnlich weit wie die Tu-214. Deren zwei PS-90A-Turbofans von Awiadwigatel sind mit jeweils 157 kN Schub zwar etwas stärker als die beim Airbus verbauten westlichen Triebwerke von CFM und IAE- im Schnitt aber auch 15 bis 20 Prozent "durstiger".
Die Wirtschaftlichkeit war, ist und bleibt das große Manko der Tu-214 - womit sie sich in Russland durchaus in eine zweifelhafte Tradition stellt. Auch UAC-Chef Sljusar ist sich dieses Umstands natürlich bewusst. Im Grunde allerdings sei die Tu-214 ein hochwertiges und zuverlässiges Flugzeug - und was den höheren Verbrauch angeht, sieht er auch den Staat in der Pflicht.
Damit sei der Betrieb der Tu-214 unterm Strich nur noch etwa fünf bis sechs Prozent teurer. Diese Spanne sei jedoch "nichts im Vergleich zu der Tatsache, dass die Unternehmen über eine Flotte neuer Flugzeuge verfügen werden, die fliegen und den russischen Bürgern ermöglichen können, von einer Stadt zur anderen zu fliegen."
Nur halt, dauerhaft, in einem ziemlich überschaubaren Rahmen...
© FLUG REVUE - Patrick Zwerger | Abb.: UAC | 10.04.2022 06:16
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