FRANKFURT - Am 20. November 1974 stürzt eine Boeing 747-100 von Lufthansa in Kenia ab. Flug LH540 beendet eine bis dahin hervorragende Sicherheitsbilanz des jungen Jumbo-Programms. Der technische Hintergrund des Unfalls ist schnell ermittelt - die Schuldfrage bleibt auch 50 Jahre später unbeantwortet.
"Okay, crash": 33 Sekunden nach dem Start gibt der Erste Offizier Lufthansa 540 verloren. Zwei Sekunden später kracht die Boeing 747-130, D-ABYB, im Abflugkorridor von Piste 24 des Flughafens Nairobi zu Boden. Die "Hessen" bricht beim Aufschlag auseinander, geht in Flammen auf. 59 Insassen sterben im Feuer.
Der 50. Jahrestag eines der schwersten Flugunfälle in der Lufthansa-Geschichte fällt - wie der Unfalltag - auf einen Mittwoch.
Der Afrika-Umlauf startet aber bereits am 19. November 1974, einem kalten Wintertag in Frankfurt: 170 Passagiere boarden den Nachtflug Lufthansa 540 nach Nairobi.
Von dort soll es weiter nach Johannesburg gehen. Nur noch 157 Menschen sind für die letzte Etappe der Reise an Bord: 18 Crewmitglieder und 139 Passagiere - 222 Sitze bleiben leer. Entsprechend leicht ist die Maschine, das Abfluggewicht liegt 30 Tonnen unter dem zulässigen Maximalwert.
Als der Jumbo nach seinem Tankstopp am Morgen des 20. November um 07:54 Uhr Lokalzeit von der Piste 24 des Flughafens in Nairobi abhebt, geschieht das Unfassbare: Die "Hessen" beschleunigt nach einem normalen Startlauf nicht weiter und gewinnt kaum Höhe.
Die Crew ist erfahren. Kommandant, Erster Offizier und Bordingenieur bringen es zusammen auf 27.000 Flugstunden. "Vibrationen", warnt der Kommandat direkt nach dem Start - und zieht die Fahrwerke ein. Der Verdacht der Besatzung fällt auf die Triebwerke.
Das Pratt & Whitney JT9D gilt als technische Schwachstelle früher Jumbo-Jets. Dazu zählt die am 13. April 1970 ausgelieferte "Hessen". Lufthansa hielt ihre 747-Piloten explizit an, die Triebwerke "defensiv" zu fliegen.
Doch alle vier Triebwerke laufen normal, die korrekte - auf das geringe Abfluggewicht angepasste - Startleistung liegt an. "Alles in Ordnung", meldet der Bordingenieur. "Triebwerke soweit okay."
30 Meter über dem Boden verliert die Crew die Kontrolle, die Boeing sackt durch. Markerschütternde Alarme schrillen durch das Cockpit: "Okay, crash", sind die letzten Worte, die der Stimmenrekorder aufzeichnet.
Zeugen eilen zur Unglücksstelle. Die verletzte Cockpitbesatzung und Flugbegleiter retten unter Lebensgefahr unzählige Passagiere aus dem brennenden Wrack. Die zunächst überlebende Flugbegleiterin Rita Maria Selbach kommt dabei um. Sie ist erst 22 Jahre alt.
Erst als heftige Explosionen den Unglücksort erschüttern und Flammen ihr den Weg zurück in den Jumbo versperren, muss die Besatzung ihre Rettungsversuche aufgeben.
Lufthansa 540 unterbricht die trotz der Anfangsprobleme bis dato makellose Sicherheitsbilanz der 747: In den ersten fünf Produktionsjahren hat Boeing stolze 247 747-100 ausgeliefert - rund um den Globus sind Jumbos im Einsatz, Lufthansa verfügt über sechs 747-100.
Die traurige Bilanz dieses weltweit ersten 747-Absturzes: 59 Tote, über 50 zum Teil Schwerverletzte. In
"Lufthansa-Flug 540: Der erste Jumbo-Absturz", dem ersten deutschsprachigen Buch zu dem Unfall, zeichnet der Wiener Autor Patrick Huber Vorgeschichte und Nachgang des Ereignisses nach.
Afrikanische, amerikanische und deutsche Unfallermittler legen sich schnell auf eine Absturzursache fest: Die Vorflügel, die beim Start zur Erhöhung des Auftriebs ausgefahren sein müssen, befanden sich in eingefahrenem Zustand.
Deshalb konnte die 747 nach dem Start nicht an Höhe gewinnen. Der offizielle Abschlussbericht machte den Flugingenieur dafür verantwortlich, dass die Klappen nicht ausgefahren waren. Er soll einen schwerwiegenden Fehler begangen haben. Doch war es wirklich so simpel?
"Ten, Ten - Green."Die Besatzung ist sich sicher, auf der Start-Checkliste auch den Punkt "Flaps" korrekt abgearbeitet zu haben.
Nach Aufzeichnungen des Stimmenrekorders liest der Kommandant aus den Cockpitinstrumenten und -lämpchen eine korrekte Klappenstellung unmittelbar vor dem Start ab: "Ten, Ten - Green." Oder doch nicht? Ein Staatsanwalt wird Jahre später eine kühne These aufstellen: Hat der Kommandant die Klappenstellung lediglich aus reiner Routine heraus bestätigt?
Andererseits gab es bereits vor Lufthnasa 540 immer wieder Probleme mit den Vorflügeln der Boeing 747. Auch Lufthansa war davon betroffen, wie sich später herausstellen sollte.
Wegen der JT9D-Mätzchen werden die Zapfluftventile nicht direkt nach dem Anlassen der Triebwerke geöffnet, sondern erst im Verlauf der weiteren Startvorbereitung. Und erst dann können die Klappen ausgefahren werden - das begünstigt Fehler.
Während andere Airlines ihre Jumbos mit einem zusätzlichen akustischen Warnsystem nachrüsteten, hatte Lufthansa auf diese nachträgliche Absicherung verzichtet.
Die Airline sieht die Verantwortung für den Unfall allein bei der Besatzung - eine interne Anhörung und Aufarbeitung nimmt geschlagene 17 Tage in Anspruch. Entlassungen der Piloten hebt ein Arbeitsgericht aber auf - Lufthansa hat die Kündigungen nach Ansicht der Richter vorschnell ausgesprochen.
Allein der Bordingenieur muss sich Jahre später noch einem Strafverfahren stellen. Die Staatsanwaltschaft legt ihm schwere Bedienfehler "entgegen Betriebs- und Arbeitsanweisungen" zur Last, fordert acht Monate Freiheitstrafe zur Bewährung. Der Prozess geht weltweit durch die Presse.
Die Richter sehen am Ende den Beweis nicht erbracht, dass die Zapfluftventile der Triebwerke beim Start tatsächlich noch geschlossen waren. Wrackteile und eine Vernehmung der Flugunfallermittler geben keinen eindeutigen Aufschluss. Der Prozess mündet 1981 in einem Freispruch.
Ein wesentlicher Teil der Geschichte von LH540 bleibt auf immer ungeklärt. Lufthansa tauft später wieder Flugzeuge auf den Namen Hessen, vergibt die Kennung D-ABYB aber nicht mehr: Beim Aufbau der Teilflotte 747-8 springt Lufthansa von der D-ABYA direkt zur D-ABYC.
© aero.de mit Patrick Huber | Abb.: Flughafen Nürnberg, CCBYSA | 20.11.2024 06:22
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Beitrag vom 22.11.2024 - 02:37 Uhr
@nicci72
Ich spare mir das Zitat, sonst wird es so lang.
Ich wusste nicht, ob es die selbe Maschiene war oder eine andere. Aber mir war bekannt, das die LH zuvor bereits einen Vorfall hatte, bei dem es knapp war, die Vorflügel nicht draussen waren aber Grün angezeigt war.
Späterstens dort hätte die LH die Reissleine ziehen müssen, denn das war zuviel. Das man später diese Informationen unterdrückte, war mir nicht bekannt.
Was ich aber wusste, war das dieses Problem mit den Slats bekannt war, und alle anderen Betreiber dieses akkustische Warnsystem nachgerüstet hatten, was den tatsächlichen Status der Slats mitteilte.
Die LH hat das System nicht sofort nachgerüstet, und meines Wissens auch die Piloten nicht über dieses Problem informiert. Sonst hätten die Piloten vor dem Start ja auch einmal aus dem Fenster schauen können, um zu checken ob die Slats wirklich draussen sind.
Der Vorwurf gegen die Crew war ja zweigeteilt:
Nachdem die Checkliste vorschriftsmässig abgearbeitet war, warf man den Piloten vor, das nur gesagt aber nicht gehandelt zu haben. Ausserdem gab es das Thema falsch grün abgelesen, evtl. geblendet von der niedrigen Sonne an diesem Morgen oder gelogen zu haben.
Das hielt dann vor Gericht nicht, die Kündigung hat ein Arbeitsgericht kassiert.
Der Kopilot als PF wurde als machtlos angesehen.
Dem Flugingenieur wurde vorgeworfen, er hätte das Zapfluftventil für die Slats nicht geöffnet.
Ob das wirklich so war konnte meines Wissens nicht festgestellt werden, da das Feuer eine später Analayse unmöglich machte.
Es weiss also bis heute Niemand, ob die Crew wirklich einen Fehler gemacht hat.
Doch man weiss das die Anzeige fehlerhaft sein konnte, es war ja bereits vorgekommen, das scheinbar Grün angezeigt wurde, obwohl die Slats nicht ausgefahren waren.
Man weiss auch, das die LH darüber wusste - sie hatte selbst bereits einen Vorfall, der auch ordnungsgemäß von den Piloten gemeldet war, und man wusste das BA und KLM bereits ein System nachgerüstet hatten, was der LH auch bekannt war.
Beitrag vom 22.11.2024 - 01:35 Uhr
Am 23.11.2014 erschien in der 'Welt' ein ausführlich recherchierter Bericht mit dem Titel 'Versagte die Lufthansa bei der Hölle von Nairobi?' von Jens M. Lucke. Den dort aufgestellten Behauptungen wurde meines Wissens nie widersprochen, so dass aus heutiger Sicht von einem 'organizational error' ausgegangen werden muss, der dann unter Mithilfe des Verkehrsministeriums vertuscht wurde.
Die Probleme waren Monate vorher schon bekannt und hätten ausgeräumt werden können, so wie es bei KLM und BA gemacht wurde. Bei LH aber hat man die Crew in die Falle laufen lassen und anschließend noch als Sündenbock benutzt, um die Firmenweste fleckenlos zu halten.
Danke für den Hinweis auf diesen zehn Jahre alten Artikel - ich habe ihn aus den Tiefen des Internets herausgefischt und er enthielt tatsächlich einige brisante, für mich neue Informationen:
- Die D-ABYB hatte fünfzehn Tage vor dem Absturz beim Landeanflug auf Chicago und drei Tage vor dem Absturz beim Start in Hongkong Probleme mit den Vorflügeln, die beim Ausfahren "hängenblieben", in Hongkong anscheinend gleichfalls mit "Grün"-Anzeige im Cockpit. Beinahe wäre die Maschine deshalb bereits drei Tage vorher in Hongkong "abgeschmiert", im letzten Moment fuhren die Vorflügel dann aber doch noch aus. Obwohl die Crew nach späteren Aussagen von Crew-Mitgliedern ihrer zuständigen Dienststelle bei der Lufthansa den Vorfall ordnungsgemäß gemeldet hatte, wurden die zuständigen Behörden über diesen nicht in Kenntnis gesetzt. Als später im Laufe der Absturzermittlungen die Piloten dieses Fluges befragt werden sollten, wimmelte Lufthansa diese Anfrage mit der Behauptung ab, diese seien im Urlaub oder bereits pensioniert und deshalb nicht erreichbar, erneut ohne die Ermittler über den internen Bericht der Crew zu informieren.
- Das Problem mit den Vorflügeln war kein spezifisches dieser Maschine sondern ein häufiger auftretendes bei den frühen B 747-100, zu denen die D-ABYB gehörte. Bei einer B 747-100 von British Airways war es vorgekommen, dass trotz nicht ausgefahrener Vorflügel beim Start die Cockpit-Anzeige für diese auf Grün stand. Intern hielt man das offenkundig für so brisant, dass am 20. Juni 1974 in London ein Meeting von Vertretern von 747-100-Betreibern zu dem Thema stattfand, an dem nachweislich auch die Lufthansa durch einen Herrn "T." beteiligt war. Andere Airlines, darunter KLM, haben unmittelbar nach diesem Meeting das akustische Warnsystem installiert, die Lufthansa hat die Entscheidung zu dessen Installation am 26. November 1974 getroffen - sechs Tage nach dem Absturz und als "reine Vorsorgemaßnahme".
- Herr "T." war auch Vertreter der Lufthansa bei den Absturzermittlungen in Nairobi. In dem Strafverfahren gegen den Flugingenieur sagte er später als Zeuge vor Gericht aus, "nach dem Absturz" seien eine ganze Reihe von Vorfällen mit nicht ausgefahrenen Vorflügeln bei B 747-100 bekannt geworden - über das Meeting in London und seine Teilnahme an diesem allerdings kein Wort.
- Es kann kein Zweifel daran geben, dass die Lufthansa gegenüber den zuständigen Behörden gemauert hat - und sich dafür intern zuvor explizit der Rückendeckung durch das Bundesverkehrsministerium versicherte (die Lufthansa war damals eine Staatsairline). Das belegen inzwischen zugängliche Archivalien des Bundesverkehrsministeriums. Anfragen des Luftfahrtbundesamtes nach den Unterlagen der internen Ermittlungen der Lufthansa wurden dilatorisch behandelt. Noch Jahrzehnte später berichtete darüber hinaus ein damaliger Top-Manager der Lufthansa in seinen Memoiren stolz, wie er zwei Vertreter der Staatsanwaltschaft, die diese Unterlagen für das Strafverfahren gegen den Flugingenieur sicherstellen wollten, auf derbe Weise aus seinem Büro geschmissen habe. Weder die Unfallermittler noch die Staatsanwaltschaft haben diese Unterlagen also zur Kenntnis nehmen können.
- Der Artikel endet mit dem 2014 aktuell eingeholten Statement der Lufthansa, dass sie keinen Grund sehe, von ihrer Position abzurücken, dass der Absturz ausschließlich durch Fehler der Flight Crew verursacht worden sei, sowie mit der Stellungnahme des damals den Strafprozeß gegen den Flugingenieur führenden Oberstaatsanwaltes, wären ihm seinerzeit diese Informationen zugänglich gewesen, hätte er das Strafverfahren nicht gegen den Flugingenieur sondern gegen die Verantwortlichen der Lufthansa geführt.
Das ist schon ziemlich "hard stuff".
Dieser Beitrag wurde am 22.11.2024 02:14 Uhr bearbeitet.
Beitrag vom 21.11.2024 - 18:43 Uhr
Das strukturelle MTOW kann es nicht sein. Das Statgewicht wurde in Unfalluntersuchungen mit 254t angegeben, das strukturelle MTOW der 747-130 lag bei 333t. Es wird also vermutlich um das Performance Limited TOW gegangen sein.
Das Überladung Absturzursache sein könnte ist meines Wissens nach nie von irgendeiner Seite als Hypothese aufgestellt worden. Die Absturzursache wurde ziemlich eindeutig geklärt, sie wurde ebenfalls von keiner Seite bestritten: die Vorflügel waren nicht ausgefahren. Die Maschine war für den Start nicht richtig konfiguriert. Warum nicht - das ist die große ungeklärte Frage. Die drei Mitglieder der Flight Crew haben nach dem Unfall stets nachdrücklich darauf bestanden, dass sie den Punkt in der Checkliste korrekt abgearbeitet hätten und im Cockpit die Anzeige erhielten, dass die Vorflügel ausgefahren seien. Der CVR scheint das zu bestätigen, denn dort hört man genau das. In dem Untersuchungsbericht zu dem Unfall wird jedoch postuliert, dass die Flight Crew die Anzeige gar nicht überprüft sondern nur das Erwartete auswendig hergesagt habe. Mehr als eine Vermutung war das allerdings nie.
Zudem stand dann auch noch die Frage/ Hypothese im Raum, ob die Piloten - nachdem die Vorflügel zunächst ausgefahren waren und die entsprechende Anzeige im Cokpit erschien - diese womöglich nach dem Abarbeiten dieser spezifischen Checkliste aufgrund des komplizierten Verfahrens mit den Triebwerken nicht versehentlich und unbemerkt wieder eingefahren und dann vergessen haben, sie erneut auszufahren. Diese Frage konnte jedoch gleichfalls nie geklärt werden. Sie hat jedoch eine gewisse Plausibilität wenn man sich den konkreten Ablauf der Prozeduren bezüglich der Triebwerke bei den konkreten Startvorbereitungen in diesem Fall näher ansieht, jedenfalls eine deutlich höhere als die Hypothese des schlampigen Abarbeitens der Checkliste. In einigen Darstellungen des Unfalls wird sie daher als "der wirkliche Ablauf der Ereignisse" beschrieben, wie erwähnt ohne dass das tatsächlich bewiesen wäre.
Fehlanzeigen im Cockpit kamen jedenfalls vor diesem Unfall vor, nur hatten sie keine größeren Konsequenzen, da die Betreiber der betroffenen Maschinen das Warnsystem installiert hatten - im Gegensatz zur Lufthansa.
Das ist eine sehr gute Zusammenfassung!
Die Slats waren scheinbar nicht ausgefahren, und die Gründe dafür hat man relativ einfach der Crew untergejubelt, was dann vor Gericht kassiert wurde.
Spekuliert wurde über ein nicht wirkliches abarbeiten der Checkliste, was man nicht überprüfen kann.
Und eben über das Thema Zapfluft, das diese eben zur Schonung der Triebwerke wenig eingesetzt werden soll. Hier hatte man ja dem Flight eng. den vorwurf gemacht, er hätte die Zapfluft wieder geschlossen, nach dem abarbeiten der Checkliste und vergessen diese wieder zu öffnen.
Das konnte nach dem Feuer nicht mehr festgestellt werden.
Es gab aber gute Gründe diese Annahme zu treffen: Man wollte weder der LH noch Boeing als Schuldigen.
Man stelle sich vor deren neues Modell wäre ursächlich für einen Totalverlust.
Was in meinen Augen aus heutiger Perspektive am wahrscheinlichsten ist:
Sowohl Slats als auch Triebwerke waren sensibel.
Besonders die Triebwerke standen im Fokus, was natürlich Aufmerksamkeit der Crew beanspruchte.
Die arbeitete ihre Checkliste ab, setzte die Klappen und checkte die Anzeige - grün.
Leider war sowohl die Anzeige als auch das Ablesen dieser schwierig, es waren halt noch Dioden die bei entsprechendem Licht rot oder grün leuchteten.
Hier kam es vermutlich zum entscheidenden Fehler: Entweder wurde es falsch abgelesen oder die Anzeige hatte eine Fehlfunktion, gab false positive.
Das ist ein perfektes Beispiel warum false positive so gefährlich ist.
Die LH hatte auf die Nachrüstung des akustischen Warnsystems für nicht ausgefahrene Slats verzichtet.
Scheinbar gab es zuvor bereits einmal einen solchen Fall, bei dem die Sltats nicht ausgefahren waren, aber grün leuchtete.
Der auf diesem Flug anwesende Testkapitän schaute scheinbar aus dem Fenster, sah die Slats nicht draussen und agierte.
Wenn man es systemisch betrachtet, hatte diese Crew einen sensitiven single point of failure - man liest falsch positive und startet ohne Slats mit einem anderen Flügelprofil das deutlich höheren Takeoff Speed braucht.
Da die Crew gute Schuldite abgab, hat man sie in meinen Augen zweimal zum Opfer gemacht, indem man sie vor Gericht stellte.
Das erscheint mir auch als das wahrscheinlichste Szenario. Wobei die Crew hier zu ihrem Glück die Aufzeichnung des CVR hatte, die doch sehr eindeutig zu ihren Gunsten spricht, so dass der Untersuchungsbericht ziemliche Mühe hatte, diese zu eskamotieren. Andererseits waren die damaligen FDR leider technisch noch so rudimentär, dass sie nur wenige Parameter aufgezeichnet haben, so dass auf diesem Wege nicht nachprüfbar war, ob es tatsächlich eine falsche Anzeige im Cockpit gab, was die Aufzeichnung des CVR allerdings nahelegt. Bei den heutigen digitalen FDRs bräuchte man darüber nicht lange zu diskutieren. Die Cockpit-Anzeige war hier wirklich ein single point of failure. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum Lufthansa auf den Einbau des akustischen Warnsystems verzichtete - und warum dessen Einbau jedenfalls bis dahin nicht obligatorisch war sondern den Entscheidungen der Airlines anheim gestellt wurde.
Dieser Beitrag wurde am 21.11.2024 18:44 Uhr bearbeitet.
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Ich spare mir das Zitat, sonst wird es so lang.
Ich wusste nicht, ob es die selbe Maschiene war oder eine andere. Aber mir war bekannt, das die LH zuvor bereits einen Vorfall hatte, bei dem es knapp war, die Vorflügel nicht draussen waren aber Grün angezeigt war.
Späterstens dort hätte die LH die Reissleine ziehen müssen, denn das war zuviel. Das man später diese Informationen unterdrückte, war mir nicht bekannt.
Was ich aber wusste, war das dieses Problem mit den Slats bekannt war, und alle anderen Betreiber dieses akkustische Warnsystem nachgerüstet hatten, was den tatsächlichen Status der Slats mitteilte.
Die LH hat das System nicht sofort nachgerüstet, und meines Wissens auch die Piloten nicht über dieses Problem informiert. Sonst hätten die Piloten vor dem Start ja auch einmal aus dem Fenster schauen können, um zu checken ob die Slats wirklich draussen sind.
Der Vorwurf gegen die Crew war ja zweigeteilt:
Nachdem die Checkliste vorschriftsmässig abgearbeitet war, warf man den Piloten vor, das nur gesagt aber nicht gehandelt zu haben. Ausserdem gab es das Thema falsch grün abgelesen, evtl. geblendet von der niedrigen Sonne an diesem Morgen oder gelogen zu haben.
Das hielt dann vor Gericht nicht, die Kündigung hat ein Arbeitsgericht kassiert.
Der Kopilot als PF wurde als machtlos angesehen.
Dem Flugingenieur wurde vorgeworfen, er hätte das Zapfluftventil für die Slats nicht geöffnet.
Ob das wirklich so war konnte meines Wissens nicht festgestellt werden, da das Feuer eine später Analayse unmöglich machte.
Es weiss also bis heute Niemand, ob die Crew wirklich einen Fehler gemacht hat.
Doch man weiss das die Anzeige fehlerhaft sein konnte, es war ja bereits vorgekommen, das scheinbar Grün angezeigt wurde, obwohl die Slats nicht ausgefahren waren.
Man weiss auch, das die LH darüber wusste - sie hatte selbst bereits einen Vorfall, der auch ordnungsgemäß von den Piloten gemeldet war, und man wusste das BA und KLM bereits ein System nachgerüstet hatten, was der LH auch bekannt war.
Die Probleme waren Monate vorher schon bekannt und hätten ausgeräumt werden können, so wie es bei KLM und BA gemacht wurde. Bei LH aber hat man die Crew in die Falle laufen lassen und anschließend noch als Sündenbock benutzt, um die Firmenweste fleckenlos zu halten.
Danke für den Hinweis auf diesen zehn Jahre alten Artikel - ich habe ihn aus den Tiefen des Internets herausgefischt und er enthielt tatsächlich einige brisante, für mich neue Informationen:
- Die D-ABYB hatte fünfzehn Tage vor dem Absturz beim Landeanflug auf Chicago und drei Tage vor dem Absturz beim Start in Hongkong Probleme mit den Vorflügeln, die beim Ausfahren "hängenblieben", in Hongkong anscheinend gleichfalls mit "Grün"-Anzeige im Cockpit. Beinahe wäre die Maschine deshalb bereits drei Tage vorher in Hongkong "abgeschmiert", im letzten Moment fuhren die Vorflügel dann aber doch noch aus. Obwohl die Crew nach späteren Aussagen von Crew-Mitgliedern ihrer zuständigen Dienststelle bei der Lufthansa den Vorfall ordnungsgemäß gemeldet hatte, wurden die zuständigen Behörden über diesen nicht in Kenntnis gesetzt. Als später im Laufe der Absturzermittlungen die Piloten dieses Fluges befragt werden sollten, wimmelte Lufthansa diese Anfrage mit der Behauptung ab, diese seien im Urlaub oder bereits pensioniert und deshalb nicht erreichbar, erneut ohne die Ermittler über den internen Bericht der Crew zu informieren.
- Das Problem mit den Vorflügeln war kein spezifisches dieser Maschine sondern ein häufiger auftretendes bei den frühen B 747-100, zu denen die D-ABYB gehörte. Bei einer B 747-100 von British Airways war es vorgekommen, dass trotz nicht ausgefahrener Vorflügel beim Start die Cockpit-Anzeige für diese auf Grün stand. Intern hielt man das offenkundig für so brisant, dass am 20. Juni 1974 in London ein Meeting von Vertretern von 747-100-Betreibern zu dem Thema stattfand, an dem nachweislich auch die Lufthansa durch einen Herrn "T." beteiligt war. Andere Airlines, darunter KLM, haben unmittelbar nach diesem Meeting das akustische Warnsystem installiert, die Lufthansa hat die Entscheidung zu dessen Installation am 26. November 1974 getroffen - sechs Tage nach dem Absturz und als "reine Vorsorgemaßnahme".
- Herr "T." war auch Vertreter der Lufthansa bei den Absturzermittlungen in Nairobi. In dem Strafverfahren gegen den Flugingenieur sagte er später als Zeuge vor Gericht aus, "nach dem Absturz" seien eine ganze Reihe von Vorfällen mit nicht ausgefahrenen Vorflügeln bei B 747-100 bekannt geworden - über das Meeting in London und seine Teilnahme an diesem allerdings kein Wort.
- Es kann kein Zweifel daran geben, dass die Lufthansa gegenüber den zuständigen Behörden gemauert hat - und sich dafür intern zuvor explizit der Rückendeckung durch das Bundesverkehrsministerium versicherte (die Lufthansa war damals eine Staatsairline). Das belegen inzwischen zugängliche Archivalien des Bundesverkehrsministeriums. Anfragen des Luftfahrtbundesamtes nach den Unterlagen der internen Ermittlungen der Lufthansa wurden dilatorisch behandelt. Noch Jahrzehnte später berichtete darüber hinaus ein damaliger Top-Manager der Lufthansa in seinen Memoiren stolz, wie er zwei Vertreter der Staatsanwaltschaft, die diese Unterlagen für das Strafverfahren gegen den Flugingenieur sicherstellen wollten, auf derbe Weise aus seinem Büro geschmissen habe. Weder die Unfallermittler noch die Staatsanwaltschaft haben diese Unterlagen also zur Kenntnis nehmen können.
- Der Artikel endet mit dem 2014 aktuell eingeholten Statement der Lufthansa, dass sie keinen Grund sehe, von ihrer Position abzurücken, dass der Absturz ausschließlich durch Fehler der Flight Crew verursacht worden sei, sowie mit der Stellungnahme des damals den Strafprozeß gegen den Flugingenieur führenden Oberstaatsanwaltes, wären ihm seinerzeit diese Informationen zugänglich gewesen, hätte er das Strafverfahren nicht gegen den Flugingenieur sondern gegen die Verantwortlichen der Lufthansa geführt.
Das ist schon ziemlich "hard stuff".
Dieser Beitrag wurde am 22.11.2024 02:14 Uhr bearbeitet.
Das Überladung Absturzursache sein könnte ist meines Wissens nach nie von irgendeiner Seite als Hypothese aufgestellt worden. Die Absturzursache wurde ziemlich eindeutig geklärt, sie wurde ebenfalls von keiner Seite bestritten: die Vorflügel waren nicht ausgefahren. Die Maschine war für den Start nicht richtig konfiguriert. Warum nicht - das ist die große ungeklärte Frage. Die drei Mitglieder der Flight Crew haben nach dem Unfall stets nachdrücklich darauf bestanden, dass sie den Punkt in der Checkliste korrekt abgearbeitet hätten und im Cockpit die Anzeige erhielten, dass die Vorflügel ausgefahren seien. Der CVR scheint das zu bestätigen, denn dort hört man genau das. In dem Untersuchungsbericht zu dem Unfall wird jedoch postuliert, dass die Flight Crew die Anzeige gar nicht überprüft sondern nur das Erwartete auswendig hergesagt habe. Mehr als eine Vermutung war das allerdings nie.
Zudem stand dann auch noch die Frage/ Hypothese im Raum, ob die Piloten - nachdem die Vorflügel zunächst ausgefahren waren und die entsprechende Anzeige im Cokpit erschien - diese womöglich nach dem Abarbeiten dieser spezifischen Checkliste aufgrund des komplizierten Verfahrens mit den Triebwerken nicht versehentlich und unbemerkt wieder eingefahren und dann vergessen haben, sie erneut auszufahren. Diese Frage konnte jedoch gleichfalls nie geklärt werden. Sie hat jedoch eine gewisse Plausibilität wenn man sich den konkreten Ablauf der Prozeduren bezüglich der Triebwerke bei den konkreten Startvorbereitungen in diesem Fall näher ansieht, jedenfalls eine deutlich höhere als die Hypothese des schlampigen Abarbeitens der Checkliste. In einigen Darstellungen des Unfalls wird sie daher als "der wirkliche Ablauf der Ereignisse" beschrieben, wie erwähnt ohne dass das tatsächlich bewiesen wäre.
Fehlanzeigen im Cockpit kamen jedenfalls vor diesem Unfall vor, nur hatten sie keine größeren Konsequenzen, da die Betreiber der betroffenen Maschinen das Warnsystem installiert hatten - im Gegensatz zur Lufthansa.
Das ist eine sehr gute Zusammenfassung!
Die Slats waren scheinbar nicht ausgefahren, und die Gründe dafür hat man relativ einfach der Crew untergejubelt, was dann vor Gericht kassiert wurde.
Spekuliert wurde über ein nicht wirkliches abarbeiten der Checkliste, was man nicht überprüfen kann.
Und eben über das Thema Zapfluft, das diese eben zur Schonung der Triebwerke wenig eingesetzt werden soll. Hier hatte man ja dem Flight eng. den vorwurf gemacht, er hätte die Zapfluft wieder geschlossen, nach dem abarbeiten der Checkliste und vergessen diese wieder zu öffnen.
Das konnte nach dem Feuer nicht mehr festgestellt werden.
Es gab aber gute Gründe diese Annahme zu treffen: Man wollte weder der LH noch Boeing als Schuldigen.
Man stelle sich vor deren neues Modell wäre ursächlich für einen Totalverlust.
Was in meinen Augen aus heutiger Perspektive am wahrscheinlichsten ist:
Sowohl Slats als auch Triebwerke waren sensibel.
Besonders die Triebwerke standen im Fokus, was natürlich Aufmerksamkeit der Crew beanspruchte.
Die arbeitete ihre Checkliste ab, setzte die Klappen und checkte die Anzeige - grün.
Leider war sowohl die Anzeige als auch das Ablesen dieser schwierig, es waren halt noch Dioden die bei entsprechendem Licht rot oder grün leuchteten.
Hier kam es vermutlich zum entscheidenden Fehler: Entweder wurde es falsch abgelesen oder die Anzeige hatte eine Fehlfunktion, gab false positive.
Das ist ein perfektes Beispiel warum false positive so gefährlich ist.
Die LH hatte auf die Nachrüstung des akustischen Warnsystems für nicht ausgefahrene Slats verzichtet.
Scheinbar gab es zuvor bereits einmal einen solchen Fall, bei dem die Sltats nicht ausgefahren waren, aber grün leuchtete.
Der auf diesem Flug anwesende Testkapitän schaute scheinbar aus dem Fenster, sah die Slats nicht draussen und agierte.
Wenn man es systemisch betrachtet, hatte diese Crew einen sensitiven single point of failure - man liest falsch positive und startet ohne Slats mit einem anderen Flügelprofil das deutlich höheren Takeoff Speed braucht.
Da die Crew gute Schuldite abgab, hat man sie in meinen Augen zweimal zum Opfer gemacht, indem man sie vor Gericht stellte.
Das erscheint mir auch als das wahrscheinlichste Szenario. Wobei die Crew hier zu ihrem Glück die Aufzeichnung des CVR hatte, die doch sehr eindeutig zu ihren Gunsten spricht, so dass der Untersuchungsbericht ziemliche Mühe hatte, diese zu eskamotieren. Andererseits waren die damaligen FDR leider technisch noch so rudimentär, dass sie nur wenige Parameter aufgezeichnet haben, so dass auf diesem Wege nicht nachprüfbar war, ob es tatsächlich eine falsche Anzeige im Cockpit gab, was die Aufzeichnung des CVR allerdings nahelegt. Bei den heutigen digitalen FDRs bräuchte man darüber nicht lange zu diskutieren. Die Cockpit-Anzeige war hier wirklich ein single point of failure. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum Lufthansa auf den Einbau des akustischen Warnsystems verzichtete - und warum dessen Einbau jedenfalls bis dahin nicht obligatorisch war sondern den Entscheidungen der Airlines anheim gestellt wurde.
Dieser Beitrag wurde am 21.11.2024 18:44 Uhr bearbeitet.