TOULOUSE - An Sicherheit führt kein Weg vorbei: Airbus setzt sich in einem "Safety Promotion Centre" direkt vor der Konzernzentrale in Toulouse mit der eigenen Sicherheitsbilanz auseinander. Selbstkritik gehört dabei ebenso zum Konzept wie ein ziemlich in sich verdrehtes A380-Triebwerk.
Noch vor der Tour durch das neue Safety Promotion Centre nennt Nicolas Bardou eine bedrückende Zahl: "3.456 Menschen sind bei Unfällen mit Airbus-Flugzeugen ums Leben gekommen", sagte der Airbus-Manager. "Wir haben eine Safety-Vergangenheit, in der wir nicht immer geglänzt haben."
Bardou kennt die Airbus-Sicherheitsbilanz wie kaum ein anderer beim weltgrößten Hersteller von Verkehrsflugzeugen. Der Ingenieur arbeitete viele Jahre als Flight Safety Director und gehörte 15 Jahre selbst dem Airbus "Go-Team" an - einem kleinen Expertenkreis, aus dem Airbus eigene Vertreter an Unfallstellen auf der ganzen Welt schickt.
Der Ablauf nach einem Unfall mit Airbus-Beteilung folgt einem strikten Protokoll. "Zunächst aktivieren wir das Krisenkontrollzentrum", sagte Bardou. In dem eigens für Notfälle in Toulouse vorgehaltenen Konferenzraum trifft ein Stab von Experten aus verschiedenen Abteilungen zusammen und koordiniert das weitere Vorgehen.
Das Go-Team bricht meist wenige Stunden nach Alarmierung zur Unfallstelle auf.
"Wir dürfen vor Ort nichts anfassen, aber stellen den Ermittlern unsere Expertise zur Verfügung", sagte Bardou.
Die Nachricht vom Absturz des Germanwings A319 in den französischen Seealpen erreichte Bardou am Morgen des 24. März 2015 auf der Anreise zu einer Sicherheitskonferenz. "Ich bin dann direkt umgedreht und nach Alpes-de-Haute-Provence gefahren", sagte Bardou.
Die Szenerie vor Ort ging auch dem erfahrenen Unfallermittler nahe: "Es gab dort ein Feld dicht abgesteckt mit roten Fläggchen. Jedes markierte eine Stelle, an der menschliche Überreste aufgefunden wurden."
Flug 9525 hat sich auch bei Airbus ins kollektive Sicherheitsgedächtnis gebrannt. "Der Vorfall hat die Frage aufgeworfen, ob im Flug unüberwindbar verriegelte Cockpittüren eine bis dahin nicht erkannte Gefahrenquelle schaffen", sagte Bardou. "Wir haben das intensiv beraten, letztlich ist dieses Restrisiko immer eine Abwägungsfrage."
Japanischer Ideengeber
Im Safety Promotion Centre hat Airbus sämtliche Unfälle mit Produktbeteiligung kategorisiert dokumentiert, auch schwere Flugtestunfälle wie 1994 mit einem Airbus A330 und 2015 mit einer A400M haben in der Ausstellung ihren festen Platz.
"Die Idee geht auf Japan Airlines zurück", sagte Bardou. Die Airline unterhält seit dem Absturz einer Boeing 747, JAL Flug 123, im Jahr 1985 mit 520 Toten ein eigenes Zentrum, in dem Mitarbeiter aller Ebenen und Bereiche für Flugsicherheitsthemen sensibilisiert werden.
Sicherheitskultur greifbar zu machen ist auch das Ziel des Airbus Safety Promotion Centre. Für neue Mitarbeiter ist die geleitete Führung in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Mockup-Zentrums direkt vor der Konzernzentrale in Toulouse eine Pflichtstation. Ableger wird Airbus auch an weiteren Standorten weltweit einrichten.
Die 1990er Jahre sind der Weltluftfahrt als tödliches Jahrzehnt in Erinnerung. Eine Unfallserie mit Airbus-Flugzeugen in dieser Zeit prägt das Sicherheitsbewusstsein im Konzern bis heute, sagte Bardou. Eine Konsequenz: Flugsicherheit ist heute kein Anhängsel des Technikbereichs mehr sondern als eigene Abteilung mit direkter Berichtslinie zum Vorstandschef aufgestellt.
A380 von Goose Bay
Ein Kernstück des Safety Promotion Centre ist ein A380-Triebwerk, oder besser - ein ziemlich verbogenes Fragment eines GP7000.
Das Triebwerk hatte sich auf Air France Flug 66 von Paris nach Los Angeles am 30. September 2017 über Grönland zerlegt, über Wochen steckte die A380 zur Reparatur unter Extrembedingungen am Notlandeplatz im kandischen Goose Bay fest.
Unterdessen lief entlang der Flugstrecke eine aufwendige Suchmission an. Mit Titandetektoren spürten Experten das Triebwerksteile unter Schnee und Eis auf. Kosten spielten dabei eine untergeordnete Rolle - auch das ist eine Botschaft des Safety Promotion Centre, auf die Bardou besonderen Wert legt.
"Wenn wir nicht jeden Stein umdrehen, werden wir über kurz oder lang das Vertrauen der Kunden in unsere Produkte verlieren", sagte Bardou. "Bisher hat uns kein Manager für solche Suchmissionen Budgets gekürzt."
Kommentare (6) Zur Startseite
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Ob man dazu ein Zentrum mit einer Art Ausstellung und weisen Sprüchen braucht, ist die Frage.
Andererseits sehe ich schon Unterschiede zwischen den beiden großen Herstellern.
Wenn ich mir eine 737(MAX) so angucke, und dann noch sehe, wie Boeing sich bei der Zulassung und nach den beiden Unfällen ohne Überlebende verhalten hat, sehe ich mich in meiner persönlichen Sicht bestätigt.
Blame the Pilot und blame the Engineer sind beides Vorgehensweisen, die einer guten Sicherheitskultur widersprechen.
Im Zuge des MAX Skandals zeigte Boeing jedoch beides fast reflexhaft.
Dieser Beitrag wurde am 21.05.2023 17:16 Uhr bearbeitet.
Dieser Beitrag wurde am 21.05.2023 00:46 Uhr bearbeitet.