Flug 4U-9525
Älter als 7 Tage

Der größte anzunehmende Einzelfall

FRANKFURT - Selbst hartgesottenen Ermittlern stockte am Donnerstag die Sprache. Zu verstörend, zu unbegreiflich, zu traumatisch sind die Entwicklungen um Flug 4U-9525. "Wir sind alle unter vollkommenem Schock", sagte Germanwings-Chef Thomas Winkelmann am Donnerstagabend im ZDF.

In der Nacht auf Donnerstag verdichteten sich die Hinweise, nach denen der Absturz des Airbus in die französischen Seealpen absichtlich vom 27 Jahre alten Co-Piloten herbeigeführt worden sei.

Tag zwei nach dem Absturz war sich Staatsanwalt Brice Robin sicher, "die Manipulation der Höheneinstellung kann nur vorsätzlich erfolgt sein". Es gäbe noch keine Hinweise auf etwaige Motive, die Handlungen des Co-Piloten ließen aber keinen anderen Rückschluss zu, "als den Willen, diese Maschine zu zerstören".

"Ich möchte ausdrücklich von einer Tat sprechen", legte sich auch Winkelmann am Abend fest und verwies auf belastende Indizien. Aufzeichnungen des Stimmenrekorders dokumentierten verzweifelte Versuche des Kapitäns, die verriegelte Cockpittür einzutreten.

Vorher habe die ausgesperrte Crew sicher versucht, die Tür von der Kabinenseite mit der Eingabe eines Notfall-Codes zu öffnen. "Man muss einen bestimmten Schalter umlegen, um das Öffnen der Tür von außen von innen zu verhindern", sagte Winkelmann. "Das müssen sie absichtlich machen."

Absturzstelle 4U9525
Absturzstelle 4U9525, © BEA

Suizide sind ein gesellschaftliches Tabuthema. Noch weniger fassbar Vorfälle, in denen ein Pilot unschuldige Menschen mit sich in den Tod reißt. Es gab sie in der Vergangenheit aber immer wieder.

Erst vor 16 Monaten fielen 32 Passagiere und Crewmitglieder an Bord von LAM470 dem Todeswunsch eines Piloten zum Opfer. Selbstmörderische Absicht ist bis heute die plausibelste Theorie für den Absturz von EgyptAir 990 im Jahr 1999. Der Flug riss 217 Menschen ins Verderben.

Das Lufthansa-Management spricht vom Co-Piloten als "Einzelfall", der durch jedes - bei Lufthansa seit jeher besonders engmaschige - Raster im Prozess der Personalauswahl fiel. Der Co-Pilot sei bis Dienstag "im besten Sinne unauffällig"  gewesen, beteuerte Winkelmann.

Offenbar verheimlichte der Mitarbeiter Germanwings eine nicht unerhebliche Erkrankung. Bei einer Durchsuchung seiner Düsseldorfer Wohnung fand die Staatsanwaltschaft eine Krankschreibung für den Absturztag. Sichergestellt wurden demnach Dokumente, "die auf eine bestehende Erkrankung und entsprechende ärztliche Behandlungen hinweisen".

Die Pilotenvertretungen des Lufthansa-Konzerns mahnten am Donnerstag an, weitere Erkenntnisse der Ermittler abzuwarten. "Wir dürfen keine voreiligen Schlüsse auf der Basis von unvollständigen Informationen ziehen", sagte VC-Präsident Ilja Schulz.

Auch die Schweizer Aeropers warnte vor Vorverurteilungen und blieb im Konjunktiv. "Das wäre sozusagen der Super-GAU, der niemals passieren darf", erklärte die Gewerkschaft der Swiss Airbus-Piloten.

Der Absturz fällt, erhärtet sich der Verdacht gegen den Co-Piloten weiter, in einen Graubereich zwischen Einzelfall und größtem anzunehmenden Unfall.

Thomas Winkelmann hat Recht - todeswillige Piloten sind absolute Einzelfälle. Diese seltenen Einzelfälle stellen jedoch ein latentes Gefahrenpotenzial dar, das enttabuisiert und in die menschliche Risikokomponente eines Flugbetriebs einkalkuliert werden muss.

Eine schwer gepanzerte Cockpittür schafft im größten anzunehmenden Einzelfall eine unüberwindbare Barriere - sie verhindert dann nicht, dass die falschen Leute ins Cockpit gelangen, sondern sperrt diejenien aus, die vielleicht noch Schaden von Passagieren und Crew abwenden können.

Vom Ein-Mann-Cockpit zum Vier-Augen-Prinzip


Ryanair-Chef Micheal O`Leary propagierte noch vor fünf Jahren das Ein-Mann-Cockpit. Die Aufgabe des zweiten Piloten bestehe doch im wesentlichen darin "sicherzustellen, dass der andere nicht einschläft auf das Steuerhorn fällt", flachste O`Leary. Kurzstrecken seien ein "Ein-Mann-Job".

Inzwischen hat Ryanair, vor vielen anderen Airlines, ganz im Stillen das Vier-Augen-Prinzip für ihre Cockpits vorgeschrieben. Zu keinem Zeitpunkt darf sich ein Pilot allein im Flight Deck aufhalten. Diese Procedure wollen nun auch andere europäische Airlines zügig übernehmen.

Über diese und etwaige weitere Konsequenzen sollten zu gegebener Zeit in erster Linie die Berufsgruppen mitentscheiden dürfen, die das Restrisiko eines psychisch instabilen Kollegen täglich betrifft - Piloten und Flugbegleiter.

Am Freitag setzten Einsatzkräfte die Bergung der Absturzopfer fort.
© aero.de | Abb.: BEA | 27.03.2015 14:30

Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich bei aero.de registrieren oder einloggen.

Beitrag vom 29.03.2015 - 21:31 Uhr
Wie kann es sein, dass ein Arzt einem Piloten, Lokführer, Kernkraftmitarbeiter etc. SSRIs verschreibt ?
Wer wissen will, was SSRI für Zeugs ist:

 https://www.youtube.com/watch?v=4Uk4f_hMvT4&feature=youtu.be

Ist kein Bezug zu dem Unglück, nur zu dem Medikament.
Beitrag vom 29.03.2015 - 18:21 Uhr
Wunderbar reagiert, Herr Larsen

Es kostet schon einige Mühe, dieses Forum ernst zu nehmen. Bisher sind mir aber Winzer und Co. auf sämtliche Fragen, die ein wenig mehr Sachverstand verlangen, eine Antwort schuldig geblieben. Ich denke, die wirklich Interessierten und Fachvertreter meiden entweder diesen Sumpf oder ignorieren Beiträge bestimmter User von vornherein.

Warum soll Ihre Theorie nicht zutreffen? Das Gegenteil ist nicht bewiesen, aber ich würde das nicht als den einzig möglichen Schluss stehen lassen wollen.

Das Flugzeug ist heutzutage sowas von komplex und wir wissen sicher alle nicht(und das schließt leider auch die Entwickler ein), wie sich bestimmte Kombinationen aus Fehlinformationen durch Sensoren etc. auswirken.

Meistens ist auch nicht nur eine einige Ursache für Katastrophen verantwortlich, sondern leider treten sie im Verbund auf und bilden eine Kausalitätskette mit dramatischem Ausgang.

Ohnmacht durch verunreinigte (Kabinen-)luft plus falsche AoA-Informationen und was könnte die Folge sein? Genau.

Wenn man aber permanent mit der Devise "Es kann nicht sein, was nicht sein darf!" an die Tragödie herangeht, dann kommen halt solche Kommentare dabei heraus wie die erste Reaktion auf Ihren Beitrag.

Beitrag vom 29.03.2015 - 17:18 Uhr
Herr Winzer, Ja, ganz richtig!

Es soll sogar welche geben, die meinen der Copilot hat Selbstmord verübt!


Stellenmarkt

Schlagzeilen

aero.uk

schiene.de

Meistgelesene Artikel

Community

Thema: Pilotenausbildung

FLUGREVUE 04/2024

Shop

Es gibt neue
Nachrichten bei aero.de

Startseite neu laden