Eine halbe Stunde nach Mitternacht treffen sich die 18 Mitflieger, die das erste Flugzeug der gestreckten C Series über den Atlantik bringen sollen, im Delivery Center des Bombardier-Werks in Mirabel. Dort war am Montag das Flugzeug offiziell übergeben worden in einer Feierstunde.
Dieses ist das erste Exemplar der gestreckten Bombardier C Series CS300, MSN 55003, jetzt registriert YL-CSA, die bereits etwa 20 Flugstunden auf Testflügen absolviert hat. Erst um 2.23 Uhr allerdings hat Air Baltic in dieser Nacht die Maschine auch faktisch übernommen, nachdem noch einige Probleme in letzter Minute zu lösen waren, und jetzt hält Pauls Calitis, Flugbetriebschef bei Air Baltic, ein kurzes Briefing ab.
"Sechs der 18 Leute heute an Bord sind Piloten, drei von uns und drei von Bombardier", erklärt er, "und wir werden uns im Cockpit abwechseln." Die errechnete Flugzeit nach Stockholm-Arlanda sind sechs Stunden und 40 Minuten, eine etwas längere als die direkteste Route, weil die C Series noch nicht zugelassen ist für ETOPS-Flüge.
Gegen 3.30 Uhr schließlich laufen die Mitflieger einfach nach draußen, auf das stockdunkle Vorfeld. Nach einem längeren Fußmarsch bei leichten Minusgraden erreichen Sie das Flugzeug, das nach einigen Triebwerksläufen noch in letzter Minute nun draußen parkt.
Die Kabine ist erleuchtet in der Firmenfarbe von Air Baltic, grün, was beim Einsteigen aus der Dunkelheit beeindruckend aussieht. Und gleichzeitig sofort die Bedeutung des Moodlighting-Systems zeigt, mit dem das Flugzeug ausgerüstet ist, und unterstreicht, dass die C Series-Flugzeuge echte Airliner sind.
Die Jets aus Kanada müssen sich gegen Airbus und Boeing und deren neueste Langstreckenmodelle A350 und 787 nicht verstecken, sogar die Anmutung der Kabine erinnert sehr an Langstreckenflugzeuge. Air Baltic hat als erster Kunde Stimmungsbeleuchtung für die C Series bestellt.
Die wesentlich vergrößerten Fenster und die hohe Kabinendecke verstärken das Gefühl, in einem Großraumjet zu fliegen, obwohl die C Series natürlich ein Single Aisle-Flugzeug ist mit einer Sitzanordnung von 2-3 je Reihe.
Air Baltic hat ihre Kabine mit 145 "Slim Plus"-Sitzen von Zodiac ausgerüstet, die mit hellgrauem, fast weißem Leder bezogen sind, das befürchten lässt dass es schnell verschmutzt aussehen könnte im harten Airline-Alltag. Derart jungfräulich wie jetzt wirken sie jedoch sehr stilvoll.
Obwohl der Sitzabstand nur 30 Zoll (76,2 cm) beträgt, fühlen sich die Sitze sehr geräumig an, dank ihrer dünnen Bauweise. Die Mittelsitze auf der rechten Kabinenseite sind mit 19 Zoll sogar noch breiter, alle anderen Sitze weisen mit 18,5 Zoll immer noch eine großzügige Breite auf, während eine A320 üblicherweise nur 17 Zoll bietet.
Die Sitze bei Air Baltic erlauben eine durchaus spürbare Neigung, während derer die gesamte Sitzfläche nach vorn und oben bewegt wird, um damit die Auswirkungen auf den Passagier dahinter zu begrenzen. Dies scheint allen zu nützen und ist ein großer Vorteil gegenüber jenen unbeliebten "pre-reclined"-Sitzen mit fixierten Rückenlehnen, die viele Billigflieger nutzen, jetzt aber auch einige Netzwerk-Gesellschaften wie TAP Air Portugal und einige Flugzeuge bei Air France übernehmen.
Air Baltic hat sich entschieden, keine unterschiedliche Bestuhlung in Business Class zu installieren, Bombardier schlägt dort eine 2-2-Konfiguration mit 36 Zoll Abstand vor. Stattdessen hat Air Baltic in die Sitzbezüge der Mittelsitze sowie der Gangsitze links jeweils in den ersten drei Reihen "Seat not be occupied" einsticken lassen, sie lässt die Sitze grundsätzlich frei. Der Vorhang, der beide Kabinen voneinander abtrennen soll, ist noch nicht eingebaut.
Ausgiebige Checks
Dies ist ein unkonventioneller Flug, ohne Sitzplatzvergabe oder Bordkarten und mit Verzicht auf jede Sicherheits- oder Passkontrolle vor dem Abflug. Stattdessen werden die 16 Mitflieger in der weitgehend leeren Kabine gebeten, sich zum Start Plätze hinter den Tragflächen zu suchen, um das Gewicht besser zu verteilen.
In einigen Reihen stehen Koffer vor den Sitzen, während die Notausstiege über den Tragflächen auf beide Seiten blockiert sind mit Kisten voller Verpflegung für den Flug. Als die Türen geschlossen sind vergeht eine scheinbar unendlich lange Zeit, ohne dass etwas passiert. Tatsächlich sind Pauls Calitits und einer der drei Bombardier-Piloten, die zur Einführung der CS300 mit nach Riga entsandt werden, dabei, ausgiebige Checks zu machen.
Um 3.57 Uhr Ostküstenzeit erwachen die Triebwerke endlich zum Leben, sie sind in der Kabine nur auf sehr gedämpfte Weise hörbar.
"Wir haben nicht die gleichen Probleme mit dem Getriebefan, über die die Airbus-320neo-Betreiber klagen, denn die verwenden eine andere Version, das PW1100G, während es hier das PW1500G ist", erklärt Gerhard Ramcke. Der Hamburger ist seit 12 Jahren bei Air Baltic und C Series-Chefpilot.
Während sonst das Anlassen dieses Triebwerkstyps Minuten dauern kann, geht es hier zügig vonstatten, weil die Motoren ja noch kurz zuvor hochgefahren worden waren. Um 4.13 Uhr, über zwei Stunden später als geplant, hebt Flug BT9801 in Richtung Stockholm ab. Das Startgewicht heute beträgt 57 Tonnen, zehn Tonnen weniger als das maximale Startgewicht der CS300.
Endlich in der Luft, versuchen viele Passagiere zu schlafen. Weil sich die Armlehnen der Dreier-Sitzreihen leicht nach oben klappen lassen, lassen sich die Dreierbänke erstaunlich gut als improvisierte Schlafstatt nutzen. Erst nach zwei Stunden Flug in Richtung Osten geht über der Küste Neufundlands rechts des Flugzeugs die Sonne auf.
Sonnenaufgang über Neufundland
Der hintere Teil der Kabine ist derzeit zum "Schlafabteil" geworden mit fest geschlossenen Sichtblenden, während sich weiter vorn die anderen Mitflieger in der Galley treffen oder hinter den Piloten stehen. Natürlich ist es einer der wichtigsten Vorzüge eines Auslieferungsflugs, dass die Cockpittür immer offen ist.
Die Route führt das Flugzeug knapp südlich an der Südspitze Grönlands vorbei. Aus 41.000 Fuß leuchten verschneite Bergketten orangefarben in der Wintersonne und tiefe Fjorde gleiten vorbei. Nach nur dreieinhalb Stunden Tageslicht geht die Sonne bereits wieder unter, kurz darauf fliegt die CS300 schon über Norwegen.
Sie setzt in Stockholm-Arlanda um 16.54 Uhr MEZ zur Landung an, nach einer Flugzeit von exakt sechs Stunden, 40 Minuten und 39 Sekunden. Die CS300, genau wie die CS100 die bereits bei Swiss fliegt, hat klar bewiesen, warum sie jetzt und in Zukunft ein Favorit von Passagieren und Airlines ist und sein wird.
3.300 NM Reichweichte
Und sie eignet sich tatsächlich auch gut für Langstreckenflüge, auch wenn das natürlich nicht ihre Mission sein wird. Die 5.800 Kilometer von Montréal nach Stockholm liegen absolut im Bereich des Machbaren der CS300, auch mit einer vollen Ladung Passagiere. Bombardier gibt ihre Reichweite mit 6.112 km an (3.300 NM).
Air Baltic wird sie vorerst nur auf kurzen innereuropäischen Routen einsetzen, beginnend mit Amsterdam ab 14. Dezember als erstem Linienflug. Vorher wird sie noch auf vier wichtigen Märkten mit geladenen Gästen auf Demo-Flügen gezeigt, mit Stopps in Tallinn, Vilnius, Helsinki und Hamburg.
Die Airline verfügt bereits über zwölf Piloten, die die C Serie fliegen dürfen, und sie wird die zweite von 20 bestellten CS300 noch vor Ende des Jahres empfangen, die dann ab Januar in den Liniendienst geht. Am Mittwoch morgen hat das erste Flugzeug den kurzen Hüpfer nach Riga gemacht, wo sie am 1. Dezember mit einer großen Willkommensparty empfangen wird, im Beisein des lettischen Präsidenten.
Andreas Spaeth

Andreas Spaeth fliegt. Viel. Auf PaxEx.de schreibt Spaeth, einer der führenden Luftfahrtjournalisten in Europa, über seine Erlebnisse als Passagier rund um den Globus.
Auf Twitter ist der Autor als @SpaethFlies unterwegs.
© Andreas Spaeth | Abb.: Andreas Spaeth | 01.12.2016 09:13
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