Zehn Jahre 787
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All Nippon Airways Boeing 787-9 in Düsseldorf
All Nippon Airways Boeing 787-9 in Düsseldorf, © DUS

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SEATTLE - Verzögerungen, Produktionsmängel, Flugverbote - die 787 entwickelte sich rasch vom Boeing-Hoffnungsträger zum Pannenprojekt. Daran hat sich auch zehn Jahre nach der Auslieferung des ersten Modells nichts geändert. Bei Airlines steht der Hightech-Jet trotzdem hoch im Kurs.

Vor zehn Jahren lieferte Boeing seinen ersten Langstreckenjet vom Typ 787 "Dreamliner" aus - nach großen Anlaufschwierigkeiten und mehrfachen Verschiebungen erreichte der US-Flugzeugbauer damit einen Meilenstein.

Aktuell bereitet das Modell dem Airbus-Rivalen aber wieder Probleme: Wegen technischer Mängel können viele 787 seit Monaten nicht mehr an die Kundschaft gebracht werden. Im Juli musste Boeing deshalb sogar die Produktion drosseln. Es ist jedoch nur das jüngste Kapitel einer jahrelangen Pannenserie.

Schon bevor der erste Dreamliner am 26. September 2011 feierlich an die japanische Fluggesellschaft All Nippon Airways übergeben wurde, hatte Boeing viel Ärger mit der Baureihe. Über drei Jahre verzögerte sich die erste Auslieferung des Hoffnungsträgers, mit dem die Amerikaner nach der großen Branchenkrise im Zuge der Anschläge vom 11. September 2001 wieder zu geschäftlichem Erfolg zurückfinden und den aufstrebenden Rivalen Airbus auf Distanz halten wollten.

Doch statt Boeing die Vormachtstellung am Himmel zu sichern und zum Symbol einer neuen Ära hypermoderner Langstreckenjets mit höherem Komfort und geringerem Spritverbrauch zu werden, entwickelte sich der Dreamliner schon nach kurzer Zeit zu einem milliardenteuren Pannenprojekt.

Boeing lagerte zunächst umfangreiche Teile des Fertigungsprozesses an Zulieferer aus, was sich als teurer Fehler entpuppte. Einen Teil der Arbeiten holte der Konzern später wieder zu sich, weil die Partner damit offenbar überfordert waren.

Boeing musste die Verzögerungen im Zeitplan teuer bezahlen - angesichts hunderter Bestellungen für die 787 mussten die wartenden Fluggesellschaften für viel Geld entschädigt werden. Das jahrelange Hickhack kratzte schon damals am Image des einstigen US-Vorzeigekonzerns.

Entsprechend groß war die Erleichterung, als die erste Maschine endlich übergeben werden konnte. "Jetzt, da das Flugzeug fertig zur Auslieferung ist, kann das ganze Team feiern", sagte 787-Programmchef Scott Fancher im September 2011.

Doch es sollte noch dicker kommen. Die Anfangscharge mit Produktionsnummern 10 bis 22 wies gravierende Mängel auf, Boeing konnte die "Terrible Teens" nur mit hohen Rabatten losschlagen.

Anfang 2013 zogen die Aufsichtsbehörden den Dreamliner wieder aus dem Verkehr, weil gleich in zwei Fällen die neuartigen Batterien schmorten, die die Bordsysteme mit Strom versorgten. Die US-Luftfahrtbehörde FAA verhängte ein Flugverbot für die Boeing 787, dem sich Regulierer weltweit anschlossen.

Schon damals kamen erhebliche Bedenken am Zulassungsverfahren der FAA und an den engen Verbindungen zwischen Boeing und Aufsehern auf, die später im Zusammenhang mit dem Debakel rund um den Absturzflieger 737 MAX für viel Kritik sorgen sollten.

Angesichts der pannenreichen Vorgeschichte scheint es fast konsequent, dass die 787 aktuell schon wieder ganz oben auf der Problemliste von Boeing steht. Während der Krise rund um den Bestseller 737 MAX - der wegen zwei Abstürzen mit 346 Toten ab März 2019 rund 20 Monate am Boden bleiben musste - war die 787 noch eine wichtige Ertragsstütze für Boeing gewesen.

Doch seit 2020 gibt es auch hier mal wieder nichts als Ärger. Nach Berichten über Produktionsmängel stellte die FAA eine Reihe neuer Probleme fest.

Im Juli teilte Boeing mit, dass weitere Inspektionen und Reparaturen bei etlichen 787-Fliegern nötig seien, die noch nicht an Kunden übergeben wurden. Das Unternehmen rechne damit, dieses Jahr weniger als die Hälfte seiner derzeit gelagerten 787-Maschinen ausliefern zu können. Deshalb werde auch die Produktion des Modelltyps vorübergehend gedrosselt.

Anfang September berichtete das "Wall Street Journal" unter Berufung auf Insider, dass sich der Lieferstopp noch bis mindestens zum späten Oktober hinziehen dürfte, da die FAA Boeings Plänen zur Mängelbeseitigung nicht zugestimmt habe.

Für den US-Konzern wird die Situation damit immer kritischer. Eigentlich hatte sich Boeing nach der Doppelbelastung aus 737-MAX-Krise und Pandemie gerade wieder etwas berappelt.

Doch da viele Dreamliner wegen verschiedener Probleme inzwischen schon seit geraumer Zeit nicht ausgeliefert werden können, ergibt sich für Kunden zunehmend die Möglichkeit, Kaufvereinbarungen nachzuverhandeln sowie Boeing mit Stornierungen zu drohen und teure Zugeständnisse abzuringen.

Zuletzt hatte Boeing rund 100 Dreamliner auf Lager, der Listenpreis pro Maschine liegt bei rund 250 Millionen Dollar.

Was konkret im Argen liegt, dazu halten sich sowohl Boeing als auch die FAA relativ bedeckt. Seit über einem Jahr gibt es Berichte über Untersuchungen der Aufsicht aufgrund womöglicher Produktionspannen und Kontrolldefizite. Im Februar ordnete die FAA Überprüfungen von rund 222 "Dreamlinern" an, weil die Gefahr von Schäden an sogenannten Dekompressionspaneelen zur Abtrennung des Passagierbereiches bestehe.

Der Defekt könnte der Behörde zufolge fatale Folgen haben, etwa wenn Luftfracht Feuer fängt. Inzwischen soll es jedoch auch um Konflikte beim Inspektionsverfahren zur Freigabe der Jets durch die FAA gehen.

Als Kernursache der Produktionpannen gilt ein rasanter Produktionshochlauf auf zwischenzeitlich 14 787 pro Monat. Im Werk Charleston traten zudem erhebliche Qualitäts- und Verarbeitungsmängel auf: Fehlerprotokolle reichen von schlampig montierten Sitzreihen über vergessene Werkzeuge bis hin zu scharfkantigen Metallstücken im Bereich sensibler Bordsysteme.

Vor der Krise schlugen sich Boeing und Rolls-Royce zudem mit den defektanfälligen Trent-1000-Triebwerken der 787 herum - zeitweise schränkten Behörden deswegen den ETOPS-Bewegungsradius der 787 deutlich ein. Rolls-Royce hat die Probleme inzwischem im Griff.

Wegen ihrer Effizienz ist die 787 bei Airlines trotz allem beliebt. Lufthansa richtet in ihrer Interkontflotte Platz für 25 787-9 ein. Die ersten Dreamliner in den Farben des Kranichs werden im Winter am Drehkreuz Frankfurt stationiert. Als erstes 787-Ziel hat Lufthansa kürzlich die kanadische Metropole Toronto bestätigt.
© dpa-AFX, aero.de | Abb.: Boeing | 26.09.2021 08:09


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