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Deshalb seien Airlines und deren Piloten nicht über die Funktionsweise der Software unterrichtet worden, heißt es in der am Donnerstag veröffentlichten Anklage.
Das System mit dem Namen MCAS sollte den Piloten der 737 MAX helfen, das Flugzeug in einer sicheren Fluglage zu halten. Es wurde notwendig, weil die Maschine eine modifizierte Version der 737 aus den 60er Jahren ist. Die MAX bekam größere Triebwerke - und dadurch konnte in manchen Fällen die Nase des Flugzeugs nach oben gehen.
Die Software sollte dann automatisch gegentrimmen und leicht korrigieren. Doch wie sich herausstellte, konnte MCAS auch in anderen Situationen eingreifen und die Maschine nach unten lenken. Bei den zwei Abstürzen in Indonesien 2018 und in Äthiopien 2019 waren Piloten nicht darauf vorbereitet.
Bei den Unglücken kamen 346 Menschen ums Leben. Die 737 MAX war während der Untersuchungen für 20 Monate mit Flugverboten belegt worden. Die Krise kostete Boeing Milliarden. Ermittlungen gegen den Konzern selbst waren am Ende der Amtszeit von Präsident Donald Trump mit einem 2,5 Milliarden Dollar schweren Vergleich beigelegt worden.
Boeing hatte der US-Luftverkehrsbehörde FAA ursprünglich mitgeteilt, dass MCAS nur in einer seltenen Situation eingreifen solle - wenn das Flugzeug scharfe Kurven bei hoher Geschwindigkeit fliege. Doch im November 2016 stellte Chef-Testpilot Mark Forkner im Flugsimulator fest, dass das System auch bei deutlich niedrigerem Flugtempo aktiv wurde.
Ganz geheuer war Mark Forkner die Erfahrung im 737-MAX-Simulator am 15. November 2016 nicht: "Ich beende den Steigflug bei 4.000 Fuß, mit 230 Knoten, und das Flugzeug trimmt wie verrückt", beschrieb der technische Chefpilot einem Kollegen noch am selben Tag "unkontrollierte" Eingriffe der Automatik.
Letztlich habe er "die Regulierer belogen (unwissentlich)", schrieb Forkner. Dieser Austausch war bereits bekannt, seit Boeing ihn 2019 veröffentlichte.
Forkner stand seitdem im Visier der Ermittler. In der Anklage wird ihm jetzt vorgeworfen, er habe nach der Überraschung beim Simulator-Flug bei einem Kollegen verifiziert, dass das System bei niedrigeren Geschwindigkeiten greife - und das den Regulierern verschwiegen.
Die Folge sei gewesen, dass MCAS nicht in den Unterlagen zur Schulung der Piloten für die MAX-Version erwähnt worden sei, betonten die Ankläger. Die FAA sei erst nach den Abstürzen auf das System aufmerksam geworden. In einer Nachricht hatte sich Forkner gebrüstet, Aufseher mit "Jedi-Tricks" zu manipulieren.
"Beim Versuch, Boeing Geld zu sparen, hat Forkner den Aufsichtsbehörden laut Anklage wesentliche Informationen vorenthalten", sagte Staatsanwalt Chad E. Meacham. "Seine kaltschnäuzige Entscheidung, die FAA zu täuschen, behinderte die Fähigkeit der Behörde, die fliegende Öffentlichkeit zu schützen, und hat andere Piloten im Stich gelassen, denen Informationen über wesentliche Eigenschaften der 737 MAX-Flugsteuerung fehlten."
Vom Ex-Testpiloten oder seinen Anwälten lag zunächst keine Reaktion auf die Anklage vor. Zu früherer Kritik nach Veröffentlichung der Chats hatten sie betont, dass Forkner nie wissentlich Passagiere und Besatzungsmitglieder in Gefahr gebracht habe.
Weitere Anklagen könnten folgen
Der Anklage gegen den Testpiloten werden nach Einschätzung von Beobachtern weitere folgen. Mehrere teils ranghohe Boeing-Manager stehen in Verdacht, Warnungen vor Sicherheitsrisiken in den Wind geschlagen zu haben, um Produktionsziele im Programm zu erreichen.
Die US-Luftfahrtbehörde FAA steht ebenfalls in der Kritik - hier wird Mitarbeitern Kungelei mit Boeing vorgeworfen. Boeing selbst hat in den letzten Tagen der Trump-Administration einen Vergleich mit dem US-Justizministerium geschlossen. Der Konzern entgeht durch Zahlung einer Strafe von 2,5 Milliarden US-Dollar einer weiteren Verfolgung in den USA.
© dpa-AFX, aero.de | Abb.: Tui | 15.10.2021 07:17
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