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Die zwei Welten von Doha

Willie Walsh und Akbar Al-Baker
Willie Walsh und Akbar Al-Baker, © Andreas Spaeth

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DOHA - Krieg in Europa, Pandemienachwehen und Personalmangel - die Airline-Branche steht unter Druck wie selten. Doch auf ihrem Jahrestreffen in Katar verbreiteten die Chefs diese Woche fast grenzenlosen Optimismus. Dabei rechnet kaum einer mit einer raschen Normalisierung der Lage.

Sir Tim Clark, der Präsident von Emirates, ist jetzt 72 Jahre alt und hat in seiner langen Karriere sehr viel erlebt. "Aber das was wir gerade sehen, die Kombination aus Pandemiefolgen und Krieg in Europa, würde ich der Skala von negativen Einflüssen, die ich schon bewältigen musste, bei neun von zehn einstufen", sagt der Branchenveteran.

Obwohl am Persischen Golf an den Flughäfen derzeit alles weitgehend glatt läuft, fliegen auch die arabischen Gesellschaften wegen der Engpässe auf Flughäfen in Europa und Amerika massive Verspätungen ein. "Manchmal sind das bei einem Flug gerade zwei Stunden", klagt etwa Qatar-Airways-Chef Akbar Al Baker.

Er ist im Jahr des 25. Bestehens seiner Gesellschaft, an deren Spitze er wie ein Alleinherrscher von Anfang an steht, der gefeierte Gastgeber der 78. Generalversammlung des Linienluftfahrtverbands IATA und sparte während der Versammlung von rund 1.200 Branchenvertretern aus der ganzen Welt diese Woche nicht mit bombastischen Inszenierungen.

Denn so sehr die Luftfahrtbranche gerade in Europa in der Kritik steht, so aufgekratzt und optimistisch gaben sich die Airline-Chefs bei ihrem ersten vollständigen Konklave seit 2019. "Das wird sich in den kommenden Monaten alles zurechtrütteln", ist Tim Clark überzeugt.

IATA-Chef Willie Walsh sagt sogar: "Auf der Skala der Herausforderungen für unsere Branche sehe ich die aktuelle Situation nur bei vier von zehn. Wir haben schon ganz andere Situationen überwunden, 2008 bei der Finanzkrise oder zuletzt bei dem fast völligen Stillstand in der Pandemie, das war für mich zehn von zehn."

Es war eine gespaltene Wahrnehmung in Doha: Die Airlines sind geradezu berauscht von der Genugtuung, dass die Nachfrage so schnell zurückkommt und so viele Menschen jetzt wieder fliegen wollen, dass die vielerorts stark geschrumpfte Infrastruktur das schlicht nicht bewältigen kann.

Je nach dem, wen und nach welchen Kriterien man fragt, lautet die Antwort auf die Frage, wann die Branche insgesamt mehr Aufkommen als 2019 verzeichnen wird, August 2023. Andere sagen bis zu ein Jahr später.

Und die CEOs sind geradezu aufgeputscht davon, sich auch untereinander wieder im großen Rahmen treffen zu können. "Das ist der beste Beweis dafür dass wir uns eben doch alle persönlich sehen wollen und Videokonferenzen nicht ausreichen", sagt Lufthansa-Chef Carsten Spohr.

Allerdings gehen auch die praktischen Erfahrungen der Bosse weit auseinander. "Ich bin in den letzten Wochen 57 Mal geflogen und nur ein Flug war verspätet wegen eines Systemausfalls", berichtet Willie Walsh.

Wer immer dachte, Airline-Chefs hätten grundsätzlich Priorität, wenn sie selbst verreisen, wird eines besseren belehrt: "Wir wollten mit der Familie neulich am Wochenende von München nach London, das war fast unmöglich Plätze zu ergattern", erzählt Carsten Spohr, "von zehn möglichen Optionen haben wir mit Mühe die zweitletzte bekommen. Und ich muss von hier nach Singapur weiter, und auch das war fast unmöglich."

Als Tim Clark vergangene Woche in Sydney zu tun hatte, ging es ihm ähnlich - alles voll. Wenn selbst die mächtigsten Airline-Bosse der Welt in den Premiumklassen keine Plätze kriegen, wie schwierig muss es dann erst für normale Passagiere sein?

Auch wenn Spohr ("ich bekomme hier viel mit, das ist ein Informationstreffen") auf Hochtouren fährt nach so vielen Begegnungen auf einmal mit seinen Kollegen aus aller Welt, hat er eine klare Message, und die verheißt nichts Gutes und ist vermutlich ehrlicher als jene vieler anderer Bosse: "Es wird diesen Sommer noch schlimmer werden."

Auch die Ticketpreise werden weiter hochgehen, ist sich der Lufthansa-Chef sicher. "Die USA sind fast ausgebucht, das Ende der Pflicht zu PCR-Tests bei Einreise hat unseren Verkauf dorthin nochmal angekurbelt."

In den USA selbst ist das auch nicht viel anders: "Es gibt immer noch so viel Nachholbedarf bei Reisen, dass viele ihre Trips wegen der aktuellen Kapazitätsengpässe auf 2023 verschieben müssen", sagt Robin Hayes, Chef von JetBlue und nennt den aktuellen Boom "Revenge Travel" ("Rache-Reisen"), Rache am Virus nach dem Motto: "Ätsch wir reisen eben doch."

Nur "die Spitze des Eisbergs"

So gab es quasi zwei Welten in Doha - auf der einen Seite die rosarote: Die Luftfahrt fühlt sich wieder gebraucht und sonnt sich in der großen Nachfrage. Auf der anderen Seite allerdings die dunkle, die deutlich werden lässt, dass noch längere Zeit viel schief laufen wird am Boden und in der Luft.

"Wir haben jetzt schon Verspätungen auf gleichem Niveau wie 2019, das aber bei nur 75 Prozent des Verkehrsaufkommens", klagt IATA-Europachef Rafael Schvartzman. "Das Hauptproblem sind fehlende Arbeitskräfte."

Allein eine Sicherheitsüberprüfung von Luftfahrt-Mitarbeitern dauere zwei bis sechs Wochen und gelte dann nur für ein Land. "Da brauchen wir europaweit gültige Regelungen, damit Mitarbeiter zügig auch anderswo arbeiten können, beim Covid-Pass der EU haben wir das doch auch geschafft", so der IATA-Regionalchef. "Dieser Kapazitätsengpass wird nicht verschwinden, das ist eine langfristige Herausforderung, ich habe da keine magische Lösung."

Auch Carsten Spohr sieht im aktuellen Engpass "die Spitze des Eisbergs eines strukturellen Problems auch für Restaurants und andere Branchen in Zeiten schrumpfender Bevölkerung, ausreichend Servicemitarbeiter zu finden".

Das Problem hat Akbar Al Baker bei Qatar Airways nicht, er wird von Bewerbungen nur so überrollt. "Wir brauchen 900 Piloten, beworben haben sich kürzlich 9.000, und bei einer Stellenausschreibung für Kabinenbesatzungen verzeichneten wir 24.000 Anfragen."

Überinszenierung im WM-Stadion

Geschickt nutzt der Airline-Chef die Möglichkeit, das Gastgeberland und seine nationale Airline im Vorfeld-Fußball-WM im Dezember in Katar nochmal massiv in Szene zu setzen. So ein Gala-Dinner wie am Montagabend hat die IATA in der 78jährigen Geschichte ihrer Generalversammlungen jedenfalls noch nie erlebt.

IATA AGM 2022: Die Branche feiert Wiedersehen
IATA AGM 2022: Die Branche feiert Wiedersehen, © Andreas Spaeth
 
Qatar Airways lud ins Khalifa International Stadium von Doha, einem wesentlichen WM-Austragungsort, veranstaltete im weiten Rund Kulturdarbietungen, ein gesetztes Essen neben dem Fußballrasen, ein üppiges Feuerwerk - und am Ende ein Privatkonzert mit Pop-Ikone Jennifer Lopez, die mit Millionen-Aufwand samt riesiger Entourage eigens aus den USA für den 40-minütigen Aufritt eingeflogen worden war.

Viele Delegierte waren begeistert, andere fanden die Überinszenierung gerade in der derzeitigen Situation unangebracht. Und Al Baker selbst? "Es hat allen gefallen, da muss es mir wohl auch gefallen", sagt er mit einem Gestus, der eher das Gegenteil vermuten ließ. Vor allem weil es vor Ort Organisationspannen gegeben hatte, was einem Perfektionisten wie ihm nicht schmeckt.

Zur WM wird Qatar Airways für einen Monat einen Großteil der üblichen Flüge "opfern", so Al Baker, um anderen Airlines in Doha Zugang zu geben, für regionale Shuttleflüge wird sogar der alte Flughafen Doha temporär wiedereröffnet.
© Andreas Spaeth, aero.de | Abb.: Andreas Spaeth | 26.06.2022 07:47

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Beitrag vom 26.06.2022 - 21:11 Uhr
Mal gucken ob Mister Walsh immer noch bei 4 von 10 ist, wenn's demnächst im Baltikum rummst oder es zum offenen Energiekrieg zwischen der EU und Russland kommt. Dem kann man sich wohl auch auf der Insel dann nicht entziehen. Und auch Corona macht momentan höchstens Sommerpause, im Herbst gibt's wahrscheinlich wieder Einschränkungen. Und was war noch mal mit dem Klimawandel?

Alles schön und gut, jeder sehnt sich nach Normalität, und dass die Airline-Bosse da keine Ausnahme machen, zeigt, dass die auch bloß Menschen sind. Aber in Anbetracht der lauernden Risiken hoffe ich doch, dass da bald mehr kommt als schöne Reden und kurzfristige Maßnahmen. Wer als Airline dauerhaft überleben will, muss überzeugende Antworten finden - sowohl auf ökologische Herausforderungen, als auch auf die zunehmenden internationalen Spannungen.
Beitrag vom 26.06.2022 - 21:08 Uhr
"Dieser Kapazitätsengpass wird nicht verschwinden, das ist eine langfristige Herausforderung, ich habe da keine magische Lösung."
Es braucht auch keine "magische" Lösung sonder eine ganz einfache: Die Menschen so bezahlen, dass sie Ihre Familie ernähren und Ihre Miete zahlen können,ohne noch einen Zweitjob annehmen zu müssen.
Dann und NUR dann wird sich überhaupt wieder jemand auf die freien Stellen bewerben.
Für diese Lösung benötigt man kein Studium, normaler Menschenverstand ist dafür absolut ausreichend.

Ich übernehme mal die Rolle der an dieser Stelle üblicherweie aufretenden Untergangspropheten kurz selbst:
Aber dann steigen die Preise und dann bricht der Luftfahrt-Markt zusammen und dann werden viele arbeitslos.*

Stimmt natürlich so nicht. Gerade da nichtmal die jetzt schon anfallende Arbeit mit dem vorhandenen Personal gewuppt werden kann. Und wo der Vorteil sein soll, wenn ein Flughafen statt, sagen wir, 10000 Jobs, von denen man leben kann, 12000 bitet, von denen man nicht leben kann, das hat sich mir auch noch nicht erschlossen.**
Auch nach 3 x Lesen habe ich Ihre Argumentation nicht verstanden. Wieso sollten man für das gleiche Arbeitsvolumen jetzt mit weniger, aber besser bezahlt, Personal auskommen können? Es sollen doch die, die Arbeiten, ordentlich bezahlt werden, oder nicht?

Ich hab es verstanden. Ist aber ne Prise Ironie/Sarkasmus bei.
*geht gar nicht, dann steigen die Preise für Flugticket, niemand wird mehr fliegen, der Luftfahrtmarkt bricht zusammen
**bezieht sich auf *, da bereits JETZT, mit 10 Tsd. AN, viel zuviel Arbeit da ist (obwohl die Ticketpreise sehr hoch sind) - ergo der Zusammenbruch des Luftfahrtmarktes ist nicht zu erwarten.

Btw. lieber 10 Tsd. ordentlich und angemessen bezahlen (dann machen die ihrem Job vielleicht noch motivierter und wissen: morgen habe ich auch noch einen Job,
als jetzt ausländische (und andere) "Billig AN" zu rekrutieren, die möglicherweise dann - wenn Normalität einkehrt - zur Konkurenz um den Arbeitsplatz werden...
Beitrag vom 26.06.2022 - 17:25 Uhr
"Dieser Kapazitätsengpass wird nicht verschwinden, das ist eine langfristige Herausforderung, ich habe da keine magische Lösung."
Es braucht auch keine "magische" Lösung sonder eine ganz einfache: Die Menschen so bezahlen, dass sie Ihre Familie ernähren und Ihre Miete zahlen können,ohne noch einen Zweitjob annehmen zu müssen.
Dann und NUR dann wird sich überhaupt wieder jemand auf die freien Stellen bewerben.
Für diese Lösung benötigt man kein Studium, normaler Menschenverstand ist dafür absolut ausreichend.

Ich übernehme mal die Rolle der an dieser Stelle üblicherweie aufretenden Untergangspropheten kurz selbst:
Aber dann steigen die Preise und dann bricht der Luftfahrt-Markt zusammen und dann werden viele arbeitslos.

Stimmt natürlich so nicht. Gerade da nichtmal die jetzt schon anfallende Arbeit mit dem vorhandenen Personal gewuppt werden kann. Und wo der Vorteil sein soll, wenn ein Flughafen statt, sagen wir, 10000 Jobs, von denen man leben kann, 12000 bitet, von denen man nicht leben kann, das hat sich mir auch noch nicht erschlossen.
Auch nach 3 x Lesen habe ich Ihre Argumentation nicht verstanden. Wieso sollten man für das gleiche Arbeitsvolumen jetzt mit weniger, aber besser bezahlt, Personal auskommen können? Es sollen doch die, die Arbeiten, ordentlich bezahlt werden, oder nicht?


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