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Serienfertigung für den Weltraum

Mechanismus zur Ausrichtung von Solarmodulen
Mechanismus zur Ausrichtung von Solarmodulen, © Beyond Gravity

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JENA - Wie orientiert sich ein Satellit im Weltraum? An den Sternen. Damit die künstlichen Himmelskörper die Sternbilder auch erkennen, sind spezielle Sternsensoren notwendig. Sie werden in Jena produziert. Der Trend zur Serienfertigung fürs All beschleunigt das Wachstum des Raumfahrtsektors.

Die Corona-Pandemie hat der Raumfahrtbranche nicht viel anhaben können. Während der Luftverkehr bis auf den Frachtbereich weitgehend zum Erliegen kam, ging es im All munter weiter.

"Die Raumfahrt wird in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen. Das hängt vor allem mit einem großen Sicherheitsbedürfnis der Länder zusammen. Man will möglichst jeden Winkel der Erde sehen und sicher kommunizieren können", sagt der Physiker Wolfgang Göhler.

Auch Projekte wie der satellitenbasierte Internetdienst Starlink von Elon Musk seien Treiber der Entwicklung. Dem Konzernchef schwebt vor, Internet an jedem Punkt dieser Welt zur Verfügung zu haben.

Nach den Worten von Göhler kommt ein ökonomischer Faktor dazu. Weltraumtechnik sei extrem teuer. Während man früher die Systeme mit viel Aufwand technisch doppelt und dreifach absicherte, um Ausfälle zu vermeiden, würden heute etwa Satelliten für bestimmte Zwecke praktisch schon in Serie gefertigt und seien damit billiger.

Dann ließe sich auch verkraften, wenn der eine oder andere Satellit seinen Geist aufgebe und zu Weltraumschrott werde. Auch das ist ein Problem der Branche. 2019 hat die Europäische Weltraumorganisation ESA erstmals ein Konsortium damit beauftragt, Schrott einzusammeln.

Unternehmen aus den beiden Freistaaten Sachsen und Thüringen mischen beim Geschäft im All ordentlich mit. Die Aktivitäten werden im gemeinsamen Kompetenzzentrum Luft- und Raumfahrt beider Länder gebündelt. Zu den 46 Mitgliedern gehören auch Forschungsinstitute. Göhler steht dem Netzwerk vor.

Manche Unternehmen wie etwa die Jena-Optronik GmbH sind allein auf Raumfahrt spezialisiert, andere wie die Elbe-Flugzeugwerke in Dresden nur auf Luftfahrt. Sachsen hat unlängst sogar einen Beauftragten für Luft- und Raumfahrt berufen: Professor Hartmut Fricke ist seit 2001 Inhaber der Professur für Technologie und Logistik des Luftverkehrs an der TU Dresden.

Allein in Sachsen sind in der Branche etwa 160 Unternehmen und Forschungseinrichtungen tätig. Dahinter verbergen sich rund 7.000 Mitarbeiter und ein Gesamtumsatz von zirka 1,5 Milliarden Euro.

Jena-Optronik gehört zu den Weltmarktführern für die sogenannten Sternsensoren. Auch die "Sentinel"-Satelliten des europäischen Erdbeobachtungsprogrammes Corpernicus haben Technologie aus Jena an Bord. Ziel von Copernicus ist der Aufbau eines leistungsstarken globalen Satellitensystems. Es soll Informationen zur weltweiten Umweltüberwachung zur Verfügung stellen. Sensoren können zum Beispiel zentimetergenau die Höhe des Meeresspiegels vermessen.

In Sachsen zählt die Firma Beyond Gravity in Coswig bei Dresden zu den wichtigsten Playern der Raumfahrt. Sie gehört zum Schweizer Staatskonzern Ruag. Das Technologieunternehmen hatte die vormals von Wolfgang Göhler gegründete Hoch Technologie Systeme GmbH 2016 übernommen.

Derzeit arbeiten hier 75 Mitarbeiter, der Umsatz liegt bei elf Millionen Euro. So haben sich die Coswiger unter anderem auf Mechanismen und Mechatronik für die Erdbeobachtung spezialisiert. Zehn Prozent des Umsatzes werden den Angaben nach in die Entwicklung gesteckt. Die Technik ist äußerst sensibel und muss zudem extremen Ansprüchen genügen: Vakuum, Strahlung und hohe Temperaturschwankungen stellen höchste Anforderungen an Material und Komponenten.

"Fast alle Produkte werden im Reinraum gefertigt", sagt Robert Hahn, Hauptgeschäftsführer des Beyond Gravity in Coswig. Bislang habe Beyond Gravity - die Raumfahrtsparte der Schweizer (vormals Ruag Space) - schon mehr als 1.000 Satelliten für die Reise im Orbit ausgestattet. Auch für sie ist Weltraummüll ein Thema.

Weltraumschrott wird zum Problem

Nach Angaben des Unternehmens ClearSpace - einem künftigen "Schrottsammler" im All - sind heute fast 2.000 aktive Satelliten im Weltraum und mehr als 3.000 ausgefallene. Die erste Mission zum Einsammeln ist für 2025 geplant.

"Raumfahrtmüll bringt riesige technologische Herausforderungen mit sich", sagt Göhler. Da werde die Branche in den kommenden Jahrzehnten noch jede Menge zu tun haben. Der Physiker hält es auch für nötig, dass sich die internationale Staatengemeinschaft auf bestimmte Regeln im Orbit einigt, auf eine Art Weltraumverkehrsordnung. Normalerweise würden Satelliten beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühen.

Doch bei Objekten mit großer Masse sei das nicht immer vollständig möglich. "Dann besteht die Aufgabe darin, den Schrott auf dem Weltraumfriedhof im Südpazifik abstürzen zu lassen." Dort ruhen auch die Überreste der früheren Raumstation Mir.

Nach Ansicht des FDP-Bundestagsabgeordneten Torsten Herbst hat die Luft- und Raumfahrtindustrie eine strategische Bedeutung. "Wir haben es dabei überwiegend mit äußerst hochwertigen Produkten, modernster Fertigungstechnologie und gut bezahlten Arbeitsplätzen zu tun. Technologische Erkenntnisse aus der Anwendung von Weltraumtechnik fließen auch in neue, innovative Produkte auf der Erde ein", sagte Herbst unlängst bei einem Besuch von Beyond Gravity.

Die Branche sei heute global aufgestellt. Deshalb müssten auch Sachsen und Thüringen ein Interesse haben, dass einheimische Unternehmen viele Aufträge einwerben können und hier eine hohe Wertschöpfung entsteht.
© dpa-AFX | Abb.: Beyond Gravity | 27.08.2022 13:32


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