Abschlussbericht zu Flug LH 044
Älter als 7 Tage

BFU kritisiert Airbus-Dokumentation für Landungen bei Seitenwind

Lufthansa A320 Landeanflug und Go-Around am 1. März 2008, © YouTube Video

Weiterführende Links

BRAUNSCHWEIG - Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) hat ihren Abschlussbericht zu einer schweren Störung mit Beteiligung eines A320 der Deutschen Lufthansa vorgelegt. Die am 1. März 2008 aus München einfliegende Maschine (Flug LH 044) wurde in der letzten Phase des Landeanflugs auf Piste 23 des Flughafens Hamburg von einer Windböe erfasst. Die linke Tragfläche hatte Bodenkontakt, bevor die Crew durchstartete.

Der Vorfall wurde von einem Filmer dokumentiert und erreichte hohe Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Der A320 setzte später sicher auf Piste 33 auf. Die 137 Menschen an Bord blieben unverletzt, die linke Tragfläche wies laut BFU eine leichte Beschädigung vom Bodenkontakt auf.

Der Abschlussbericht der Braunschweiger Ermittler kritisiert die flugbetriebliche Dokumentation des Herstellers Airbus für Landungen in Querwind im Operating Manual und Flight Crew Operating Manual. "Die Landetechnik für Landungen bei Seitenwind war in der Standarddokumentation für das Flugzeug nicht eindeutig beschrieben", stellt der Bericht fest.

Eine wesentliche Ursache für den Ereignisverlauf sieht die BFU in einer der Besatzung unbekannten Einschränkung der Querruderwirksamkeit bereits nach dem ersten Aufsetzen. Sobald der Elevator and Aileron Computer (ELAC) feststellt, dass sich das Flugzeug am Boden befindet, wechselt das System innerhalb von 0,5 Sekunden von Lateral Flight Mode in Lateral Ground Mode. Die Wirksamkeit der Querruder dann um die Hälfe reduziert.

Systemauslegung unzureichend dokumentiert

Gerade in diesem Zusammenhang kritisiert die BFU eine unzureichende Dokumentation durch Airbus: "Im Verlauf der Untersuchung hat der Hersteller angegeben, dass das System bereits beim Aufsetzen mit einem Hauptfahrwerk vom Flight Mode in den Ground Mode umschaltet und die Wirksamkeit der Querruder um die Hälfte reduziert wird."

Diese Systemauslegung sei in "keinem Handbuch beschrieben und somit den Piloten und den Trainingsabteilungen nicht bekannt (gewesen)". Für rund drei Sekunden stand den Piloten nur die eingeschränkte Querruderleistung zur Verfügung, wodurch das Flugzeug besonders anfällig auf die einwirkenden Seitenwinde reagierte.

Tragfläche Lufthansa
Beschädigungen an der Tragfläche, © BFU

Die Reduzierung der Wirksamkeit der Steuerfflächen im Ground Mode soll laut Airbus einem durch den Piloten hervorgerufenen Aufschaukeln des Flugzeugs bei der Landung vorbeugen. Die BFU sieht in der Systemauslegung dennoch eine designbedingte Schwäche, "speziell im Übergangsbereich vom Flight Mode zum Ground Mode, wenn das Flugzeug nach dem Aufsetzen den Bodenkontakt wieder verliert". Diese Konstellation sei insbesondere bei Landungen in Seitenwinden nicht ungewöhnlich.

BFU fordert Ergänzungen in der Dokumentation

Grenzwerte, ab denen eine Landung unter Seitenwind abgebrochen werden muss, gehen nach Einschätzung der BFU ebenfalls nicht eindeutig aus den Betriebsunterlagen hervor. Die Angaben seien missverständlich formuliert und ließen Interpretionsspielraum. Dieses Ergebnis stützt auch eine Umfrage der BFU unter Piloten. Die Lufthansa-Crew setzte den Anflug bei einem Wind von 33 Knoten und Böen bis 47 Knoten fort.

Der Untersuchungsbericht empfiehlt ergänzende Herstellerangaben für Landungen in Seitenwinden. Die Entscheidung der Piloten zum Durchstarten und die anschließende Durchführung bezeichnen die Ermittler im Bericht als "professionell, folgerichtig und korrekt".

© aero.de | Abb.: YouTube Video, Archiv | 04.03.2010 16:10

Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich bei aero.de registrieren oder einloggen.

Beitrag vom 11.03.2010 - 16:26 Uhr
@Trojaner
Ich sach ja, das Mosstrauen bleibt irgendwie.

Das mit den 15 Fällen via Floghtrecorder kann aber stimmen. Sehr viele Airlines betreiben eine anonymisierte Analyse ihrer Flüge (Stichwort; FODA) um eventuelle Strukturelle Schwachpunkte Flugbetrieb frühzeitig aufzudecken. Daher könnten diese Daten ganz normal stammen. Die Hinweis mit "1 sekunde früher" fand ich auch nicht wirklich hilfreich.

Grüße aus
EDDH
Beitrag vom 11.03.2010 - 12:40 Uhr
das ganze erinnert schon irgendwie an Warschau,
der Unterschied ist das dort das GND Signal zu spaet kam, jetzt ist modifiziert und ein quasi anderes System reduziert den Auschlag obwohl noch der Flieger nicht wirklich am Boden ist.
Hat man da vieleicht aneinander vorbei entwickelt?
Die Rechtfertigung anhand der rechnerischen Ruderausschlaege 1, Sekunden frueher haetten den Bodenkontakt vermieden kann ja wohl auch nur jemand taetigen der selbst noch nie in so einer Situation war.
Und woher kommen diese 15 Beispiele bei denen nichts passiert ist? Kein Mensch laesst den Flt Recorder auslesen wenn nichts passiert ist.
Die Rechtfertigungen von Airbus zeigen eigentlich nicht von hohem Verantwortungsbewusstsein.

Gruesse aus TLS
Beitrag vom 10.03.2010 - 06:54 Uhr
@SDFlight
Vielen Dank für Deine Gute und ausführliche Antwort. Tschuldigung das ich den letzten Kommentar so abbrechen musste.

Jetzt ist mir es in der Tat klar welche Gedanken Airbus mit dieser Logik gemacht hat. Wie gesagt, habe auch keine Problme mit der FBW Software von Airbus, und das Design macht dann auch Sinn, insbesondere zu diesem konkreten Thema. Ich finde die z.B. die envelope Protection Prima, der Weg den Boeing da gegangen ist, dürfte mehr ein Verkaufsgag gewesen sein.

Das Problem des Aufschaukelns ist mir als Ausbilder durchaus  bekannt, jedoch ist dies, sicherlich ebenso beim Airbus, eher ein Problem von unerfahrenen Crews (kann bei jedem Flugzeug auftreten, Cessna bis Jumbo). Ich kann mich nicht erinnern, wann es bei meiner 4ma einen so einen Groundcontact (keinen Tailstrike) gab, 

Ich könnte natürlich die Sache jetzt umdrehen und sagen, das ein Erkennen dieses Problems ist für den Zweiten Mann und insbesondere für den Piloten selber leichter, weil dieser durch die mehr haptische Rückkopplung der Flightcontrols sich dieses Verhaltens mehr bewusst ist. Auch ist der PNF ist direkt und unmittelbar über die Steuerausschläge des PF informiert und kann sofort unterstützend eingreifen. Für den Ausbilder gilt das gleiche was das "wegtrainieren" dieses Problems angeht.

Mir ist aber klar, das dies nix nützt wenn Beide vorne unerfahren oder deren Cockpitstruckturen nicht optimal sind. Der Charme gewisse Problme entwicklungstechnisch vom Design her gleich anzupacken, ist selbstverständlich.

Ich denke auch, das Misstrauen von Piloten gegenüber dem Airbus FBW Software ist eher unbegründet und wird eher seinen  Ursprung in den getrennten Sidesticks oder die entkoppelte Thrustlever haben, und da setzt eben auch meine Kritik an. Klar, auch hier hat es seinen Charme gleich eine Reihe von möglichen technisch/mechanischen Problemen in Flightcontrols gleich von Anfang zu eleminieren, in dem man diese  so zu sagen gar nicht erst einbaut. (von den immensen Kostenvorteil rede ich gar nicht erst). Und es gibt ja auch Beispiele, wo eben dieses Design definitiv ein Unglück verhindert hat, als bekanntestes Beispiel die D-AIPW.

Technisch gesehn ist dieses Design der Sidesticks (ja ich schweife mal wieder weg vom FBW) wirklich redundanter, doch dies, meiner Meinung nach, auf Kosten einer reduzierten Redundanz von dem zweiten Mann und auch dafür gibt es ja Beispiele. Das dieses Design nicht optimal für ein Zwei Mann "human Interface" ist, erkennt man auch schon daran, das selbst bei intensivsten Training der PNF häufig unbewusst in den Flightcontrols "unterstützend" eingreift. Dies ist rein menschlich gesehen nachvolziehbar.

Eine allerletzte Frage hätte ich noch. Wann beginnt die "Rollout Phase" bei der die mit dem "first gear down" eingeleitete reduzierte Authority der Querruder wieder aufgelöst wird? Wenn Du lust hast, konnte man dies bei dem stets gut besuchten Pilot Controller Meeting in HH persöhnlich klären, jeden ersten Mittwoch im Monat. Ich kann mir es aber auch aus den Unterlagen selbst herraus suchen (wenn's denn dokumentiert ist :-> )

Grüße aus EDDH


Stellenmarkt

Schlagzeilen

aero.uk

schiene.de

Meistgelesene Artikel

Community

Thema: Pilotenausbildung

FLUGREVUE 04/2024

Shop

Es gibt neue
Nachrichten bei aero.de

Startseite neu laden