Christoph Müller
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Airline-Branche droht ein Innovations-Rückfall

Christoph Müller
Christoph Müller, © Andreas Spaeth

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SYDNEY - Airlines mit großen Inlandsmärkten werden schneller wieder auf die Beine kommen. Ohne weltweit einheitliche Regeln für Gesundheitschecks bei Flugreisen wird es künftig nicht gehen - und die Branche droht in ihrer Innovationskraft zurückfallen, fürchtet Airline-Spezialist Christoph Müller.

Wie wird es nach der Krise für die Airlines weitergehen, wer ist bedroht und wer begünstigt? Der Deutsche Christoph Müller (58), der seine Karriere bei Lufthansa begann, ist Turnaround-Spezialist für Airlines, war unter anderem CEO von Aer Lingus und Malaysia Airlines und zuletzt im obersten Führungsteam von Emirates tätig.

Während viele aktive Airline-Chefs sich zur Zeit nur allgemein, zurückhaltend oder gar nicht öffentlich äußern, nimmt Müller kein Blatt vor den Mund. Bei einem Webinar des CAPA Centre for Aviation gab er jetzt klare Einschätzungen zur weiteren Branchenentwicklung, aero.de gibt die wichtigsten davon im Wortlaut wieder.

Wie sehen Sie die aktuellen Aussichten für die Airline-Branche?

Christoph Müller: Das Vorhandensein von Bargeld-Reserven oder die Fähigkeit, kurzfristig Barmittel zu beschaffen, wird im Überlebenskampf eine große Rolle spielen. Ich habe immer Krisen als große Chance zur Restrukturierung gesehen aber es ist derzeit viel zu früh, um auf einzelne Airlines Wetten abzuschließen.

Klar ist, dass reine Langstrecken-Airlines der Krise stärker ausgeliefert sein werden als solche mit einem starken Inlandsgeschäft. Dazu gehören Airlines aus Ländern wie China, Indonesien, Australien oder den USA, die sich vermutlich schneller erholen werden, weil sie ihren Neuanfang durch Umsätze aus dem schneller wieder startenden Inlandsgeschäft hochfahren können.

Der Langstrecken-Verkehr wird nicht nur durch mangelnde Nachfrage belastet, sondern vor allem durch Reisebeschränkungen. Experten aus den USA und Kanada sagen mir dass sie die Aufhebung von Restriktionen für internationale Flugreisen nicht vor Juli oder sogar August erwarten.

Entscheidend wird die Entwicklung der Nachfrage sein. Sogar wenn es die gibt, werden sich viele Leute etwa in Europa entscheiden, trotzdem lieber auf das Auto oder den Zug umzusteigen, weil sie nicht eng neben jemand sitzen wollen, der vielleicht das Virus verbreitet.

Wird sich das Reiseverhalten der verschiedenen Kundengruppen ändern?

Müller: Es wird mittelfristig weniger Geschäftsreisen geben - und das ist ein Problem für die großen Gesellschaften, deren Cash Cow die Business Class ist und weiter sein muss.

Bei den preissensiblen Reisenden in Economy Class wird in Zukunft schlicht weniger Budget vorhanden sein, weil die Arbeitslosigkeit überall in der Welt steigt, außerdem sind Reiseaktivitäten immer direkt an das Bruttosozialprodukt gekoppelt, das auch überall sinken wird.

Christoph Müller
Christoph Müller, © Andreas Spaeth

Da die Flugzeuge in Zukunft kleiner sein werden gibt es weniger Chancen, dass die Airlines günstige Tarife bieten, um einfach Restplätze aufzufüllen. Daher glaube ich, dass kurzfristig die Flugpreise steigen werden. Vor allem, weil Social Distancing auch in Flugzeugen zur Regel werden könnte, also möglicherweise nicht mehr alle Sitze verkauft werden dürfen, um so mehr Abstand zum Nachbarn herzustellen.

Was für Restriktionen beim Reisen könnte es künftig geben?


Müller: Selbst heute, 19 Jahre nach dem 11. September 2001, gibt es weltweit immer noch eine große Uneinheitlichkeit darin, wie etwa an Flughäfen Handgepäck kontrolliert wird. Wenn das jetzt in den nächsten Jahren auch mit den dann verlangten Gesundheitschecks für Reisende geschieht wäre das für die Airline-Branche ein schwerer Schlag.

Hier müssen Behörden und Politik einschreiten dagegen, dass jedes Land seine eigenen Bestimmungen einführt. Sonst würde es manchen Airlines erlaubt sein, alle sechs Sitze pro Economy-Sitzreihe in einem Narrowbody zu besetzen, und andere dürften davon nur vier Plätze verkaufen, das gäbe ein totales Durcheinander.

Es ist jetzt schon völlig inkonsistent, auf welchem internationalen Flughafen sie beim Umsteigen oder der Ankunft in eine 14tägige Quarantäne müssen. Da müssen wir uns zusammenraufen, um überall auf der Welt geltende Maßnahmen einzuführen, die das reisende Publikum versteht.

Wir müssen eine Art Sicherheitsnetz bieten, denn nichts ist schlimmer für die Nachfrage als wenn die Leute aus Angst vor Ansteckung nicht in ein Flugzeug steigen.

Was bedeutet die Corona-Krise für aktuelle und bestellte Flugzeugflotten?

Müller: Einige Airlines wie die Lufthansa sind dabei ihre Flotten älterer Großraumjets aus A340-600, Boeing 747-400 und A380 stillzulegen, vermutlich auf längere Sicht, eher sogar für immer. Nur wenn eine Airline die nötige Finanzkraft besitzt wird sie diese älteren Jets gegen Flugzeuge der neuen Generation austauschen.

Andere verschieben dagegen bestehende Bestellungen oder stornieren sie ganz, wie wir das in Europa von Billigfliegern und Leasingfirmen schon gesehen haben. Am Ende wird es beides geben, aber dies ist jetzt eine große Chance zur Flottenerneuerung mit modernen Flugzeugen, obwohl das eine massive Belastung sein wird für die Bilanzen.

Wird die Krise die Konsolidierung vorantreiben?

Müller: In den USA wurden nach 9/11 viele Airline-Drehkreuze wie St. Louis oder Memphis geschlossen und das war gut für die Passagiere, weil die Airlines dann größere Flugzeuge einsetzen und billigere Sitze anbieten konnten.

In Europa liegen so viele Hubs wie Amsterdam und Brüssel, oder Düsseldorf und Frankfurt so nahe beieinander sogar per Auto, dass dies eine Gelegenheit für künftige Konsolidierung sein könnte.

Und eine größere Verschiebung in Europa könnte sein dass die Billigflieger mit ihren starken Bargeldreserven, ihrer Gewandtheit und ihrer günstigen Kostenstruktur in Zukunft den Großteil der Zufütterung von Passagieren zu den Hubs und damit den Langstreckenflügen der Netzwerkgesellschaften übernehmen.

Was wird nach der Krise aus den jüngsten Innovations-Anstrengungen der Airlines?

Müller: Wir waren gerade in einer sehr guten Lage mit ausreichend Geld, um die Industrie auf die nächste Stufe zu bringen bei der Digitalisierung von Vertrieb und Flugbetrieb. Das wird jetzt abgewürgt, weil die dafür nötigen Mittel für die mittelfristige Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen werden.

Damit könnten die Airlines wieder hinter andere Branchen wie Banken oder Onlinehandel zurückfallen, mit denen wir indirekt konkurrieren. Ich habe Befürchtungen dass diese Krise die Luftfahrtbranche in ihren Innovationen um zehn bis 15 Jahre zurückwirft, vor allem auf der Kundenseite, und das gleiche gilt für die Flughäfen.
© aero.de, Andreas Spaeth | Abb.: Andreas Spaeth | 10.04.2020 07:36

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Beitrag vom 11.04.2020 - 03:18 Uhr
Im Gegenteil - die Branche könnte einen Innovationsschub erfahren.
Viele Flugreisen werden nach Corona wegfallen, weil Businessprozesse auf Online-medien umgestellt wurden und das immer effizienter sein wird, als hinzufliegen.
Wenn es weniger Player auf dem Markt gibt, könnte Fliegen wieder deutlich teurer werden und dann ist vielleicht auch finanziell Platz, aus dem Flug wieder eine Reise zu machen, statt einer Art Viehtransport.

Erstmal wird es dann deutlich günstiger, denn Angebot > Nachfrage in dem Fall.
Und so elastisch ist das Angbeot nicht.

Meine These ist aber, das dieses Thema jetzt größer gemacht wird als es ist. Ich erwarte, das man zeitnah herausfindet das man wegen einer schweren Grippewelle die Weltwirtscahft abgeschossen hat, sich die Panik legt und man am Ende doch weiter macht wie bisher.
Alles andere würde mich sehr überraschen, es hat halt auch einen Grund das die Welt so ist wie sie ist.


Gleichzeitig deuten sich enorme Innovationen an auf dem Markt der elektrischen Fliegerei.

Diese Flugzeuge werden erstmal nicht viel weiter fliegen als 500km und wahrscheinlich nur 10-20 Personen befördern.
Dafür sind sie leise, lokal emmissionsfrei und lassen sich unheimlich billig betreiben. Hier entsteht vielleicht ein Feld für Flüge zwischen Klein- und Mittelstädten.

Es wäre nicht das erstemal, dass Innovation aus einer Krise des Etablierten erwächst.

Ich kann elektrisches Fliegen nicht genau beurteilen, mir erscheint v.a. das Leistungsgewicht der Energiespeicher als unrealistisch.

Ich habe Zweifel an Lilium und frage mich schon wie die das machen wollen.

Ihrem letzten Satz stimme ich aber uneingeschränkt zu. Eine Krise fördert und fordert Innovation.
Nicht umsonst sind die meisten großen Internetplayer in der Dotcom Krise entstanden.
Ich erwarte das auch im Airline Markt.
und nicht nur da.

Wir Europäer vergessen immer, das in Asien mehrere Mrd. Menschen gerade erst dabei sind, auf das Wohlstandslevel zu kommen das FLiegen überhaupt in Betracht kommt.
Indien, China, Indonesien, diese Ländern fangen doch gerade erst an mit Reisen, Unternehmen, Industrie.
Beitrag vom 10.04.2020 - 12:33 Uhr
Doch genau das werden wir erleben!

Gerade wenn die Posts im 10 Minuten-Takt einlaufen, wäre es hilfreich zu wissen auf welche Aussage eines Vor-Posters sie sich beziehen...
Beitrag vom 10.04.2020 - 12:27 Uhr
So ein Schwachsinn.
Aber sie machen die Welt wie sie ihnen gefällt.

Seit wann ist aggressives rumpöbeln hier eigentlich der Standard geworden?
Was ist falsch an einem einfachen und zivilisierten "ich bin anderer Meinung"?

Die Anbieter müssen mehr Passagiere in den Flieger setzen weil der Erlös pro Passagier runter geht und dementsprechend man mehr Leute transportieren muss für den gleichen Erlös. Das hat nichts mit wollen zu tun.

Gerade die LCC-Massanbieter leben massiv von Economies of scale.
Geht der Scale runter, gehen die relativen Kosten rauf.
Anders gesagt, wenn sich der Flugbetrieb von zB Ryanair halbiert, halbieren sich dadurch deren Kosten nicht unbedingt, sondern sinken nur auf 60-70%.

Diese höheren Stückkosten werden an den Verbraucher weitergegeben müssen.

Ansonsten muss ich #atc in Beitrag #1 zustimmen.
Überleben werden am Ehesten diejenigen, die sich per Innovationen auf die neue Sitauation am Besten einstellen. Gerade bei Produkt, Marketing und Digitalisierung.
Was aber vermutlich weitere Entlassungen in der klassischen Verwaltung nach sich ziehen wird.
Jede große Krise der Vergangenheit wurde auch zum Innovationstreiber.

Dieser Beitrag wurde am 10.04.2020 15:02 Uhr bearbeitet.


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