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Entwickelt China die CR929 doch mit dem Westen?

Ein maßstabgetreues Modell der CR929 im Windkanal
Ein maßstabgetreues Modell der CR929 im Windkanal, © UAC

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MOSKAU - Bei der Entwicklung des gemeinsamen Großraumjets CR929 liegen Russland und China allem Anschein nach mal wieder über Kreuz. So sehr, dass Russland jetzt offen über einen Ausstieg nachdenkt: Laut Vize-Premier Borissow laufen "die Dinge nicht in die passende Richtung".

Noch vor knapp zwei Wochen schien zwischen den ungleichen Partnern alles im Lot. Den durch die antirussischen Sanktionen des Westens heraufziehenden Schwierigkeiten zum Trotz werde man das Projekt CRAIC CR929 weiter vorantreiben, betonte Russlands Industrie- und Handelsminister Manturow auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg Mitte Juni.

Allerdings wolle man die Zulieferer für den chinesisch-russischen Großraumjet neu auswählen, westliche Unternehmen ausklammern und stattdessen allein auf Komponenten aus Russland und China setzen. Das wiederum bedeute eine weitere Verzögerung des Projekts "um zwei bis drei Jahre". Vor 2028 wird die CR929 nach dieser neuen Zeitrechnung nicht abheben.

Demonstrierte Manturow in St. Petersburg trotz dieser unschönen Neuigkeiten noch Harmonie und Einigkeit zwischen den beteiligten Staatsunternehmen Comac (China) und UAC (Russland), so klingen die jüngsten Worte von Russlands Vize-Regierungschef Juri Borissow zum Thema CR929 weit weniger vielversprechend.

Eher ist das Gegenteil der Fall - denn Borissow kokettiert mehr oder weniger offen damit, aus dem gemeinsamen Programm auszusteigen. "Wir arbeiten mit China an diesem Projekt, aber es läuft nicht in die Richtung, die uns passt", so der stellvertretende Premierminister Mitte der Woche auf dem Forum "Ingenieure der Zukunft", das aktuell in Tula stattfindet.

Im Moment liefe die Arbeit zwar weiter, "die Zukunft des Projekts, ob wir es verlassen oder nicht" wolle er jedoch nicht vorhersagen. Zugleich stellte er klar: "Unser Anteil sinkt und sinkt."

China, das mehr und mehr zu einem Industrieriesen mutiere, sei immer weniger an den Diensten russischer Ingenieure interessiert. Den Chinesen gehe es bei der Zusammenarbeit vor allem um das Abschöpfen von Know-how für eigene Projekte. China habe außerdem dringenderen Bedarf an einem Flugzeug wie der CR929 als das in Russland der Fall sei.

Konflikt flammt immer wieder auf

Diese Vorwürfe der russischen Seite Richtung China sind nicht neu - sie grassieren spätestens seit Herbst 2020. Allerdings konnten sich beide Partner zwischenzeitlich immerhin auf das genaue Design des Flugzeugs und verbindliche Parameter für Länge, Spannweite, Tragflächenform sowie die Anordnung von Triebwerken, Fahrwerk und Türen einigen.

Auch was die Systeme angeht, hatte man einen gemeinsamen Nenner gefunden. Dass es jetzt allem Anschein nach erneut knackt im Gebälk, könnte darauf hindeuten, dass die Chinesen von der Idee, alle bereits festgelegten westlichen Zulieferer gegen russische und chinesische auszutauschen, doch nicht restlos begeistert sind.

Selbiges mutmaßt auch das russische Luftfahrtportal Aviation21. Dort heißt es: "Die russische Seite hat es offenbar nicht geschafft, die chinesische Seite von der Notwendigkeit zu überzeugen, Flugzeugsysteme und Triebwerke ohne Beteiligung westlicher Partner selbst zu entwickeln."

Il-96 statt CR929?

Ob und wie es mit der CR929 weitergeht, steht damit wieder einmal in den Sternen. Da in Russland seit geraumer Zeit jedoch immer wieder Gedankenspiele auftauchen, den bislang vierstrahligen Großraumjet Iljuschin Il-96 mit dem für die CR929 zu entwickelnden einheimischen Turbofan PD-35 auszustatten und ihn so zum Zweistrahler zu machen, scheint ein baldiger Ausstieg der Russen aus dem gemeinsamen Widebody-Projekt mit China keinesfalls ausgeschlossen.

Vor allem Vize-Premier Borissow gab sich in der Vergangenheit als Fan einer zweistrahligen Il-96 zu erkennen.

Zwar käme die Iljuschin auch mit zwei Motoren technisch nicht an die als Verbundwerkstoff-Jet geplante CR929 heran. Jedoch hätte man auf der anderen Seite eine bereits etablierte Plattform, die seit Jahren in Kleinserie gefertigt wird, aerodynamisch konkurrenzfähig ist und dank der Neumotorisierung, die zusätzlich einen neuen Flügel nötig macht, auch in puncto Effizienz einen Sprung nach vorn vollführen würde.

Vor allem aber könnte man diese Plattform ohne störende Einflüsse von außen in die Spur bringen - während den Chinesen, mit Blick auf deren verfügbare Ressourcen, durchaus zuzutrauen wäre, die CR929 auch im Alleingang fertig zu entwickeln. Mit Industriepartnern aus dem Westen.
© FLUG REVUE - Patrick Zwerger | Abb.: CRAIC | 05.07.2022 06:47

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Beitrag vom 05.07.2022 - 12:55 Uhr
Die IL-96 ist DIE Chance für Russland einen wunderbaren Vintage Airliner zu bauen.
Beitrag vom 05.07.2022 - 11:38 Uhr
Gerhard Schröder hat ja damals zu seinen Amtszeiten die deutsche Wirtschaft nahezu "verpflichtet" doch auch ihr Intellectual Property mit China zu teilen.

Ob die Produkte aus China dann qualitativ besser sein werden ist die große Frage. China kann qualitativ hochwertige Produktion ist damit dann aber auch nicht mehr "marktfähig" als jedes andere Land auch. Die breite Masse und günstig hat niemals die Qualität. Und dass China mit vielen Produkten ein Qualitätsproblem hat, liest sich auch noch sehr häufig. Aber ja, auch das lässt sich abstellen.
Beitrag vom 05.07.2022 - 11:27 Uhr
Das China nun z.B. ganz anständige Autos und Reifen baut, was bisher dem Westen vorbehalten war, hat einen einzigen Grund: Weil Namenhafte Firmen aus Profitgier dort eigene Werke eröffent haben.
Somit ging direkt das ganze KnowHow 1:1 an die Chinesen.
An Dummheit absolut nicht zu überbieten, auf dem Kurzzeitigen genialen Umsatz folgt früher oder Später der neue billigere und vermutlich in Teilen sogar besser mitbewerber aus China.
Das selbe betrifft auch die Aero Industrie, die in China ja ebenfalls am aufsteigen ist, weil dort nämlich schon längst das gleiche Vorgehen stattgefunden hat.


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