Flugchaos
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"Das System ist ziemlich marode"

Lufthansa Cargo in Frankfurt
Lufthansa Cargo in Frankfurt, © A. Mohl

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FRANKFURT - Das aktuelle Chaos im europäischen Luftverkehr ist nach Auffassung der Gewerkschaft Verdi unmittelbare Folge des überzogen harten Wettbewerbs zu Lasten der Beschäftigten. Einzelne Lufthansa-Bereiche weisen laut Verdi aktuell einen Krankenstand von 40 Prozent auf.

Die Corona-Pandemie habe die Situation zwar noch verschärft, aber grundsätzlich seien die Probleme schon zuvor offen sichtbar gewesen, sagte die Verdi-Vizevorsitzende Christine Behle am Dienstag. "Die Arbeitgeber haben den Bogen überspannt, so dass kaum noch jemand in der Luftfahrt arbeiten will."

Behle sagte: "Das System ist ziemlich marode. Die Tickets decken nicht die Kosten und wir haben unterirdische Arbeitsbedingungen. Irgendjemand muss für das Fliegen zahlen. Bislang war es das Personal. Das kann nicht so bleiben."

Mit der Liberalisierung seit Mitte der 1990er-Jahre seien die Arbeitsbedingungen in der Luft und am Boden massiv verschlechtert und die Gehälter gedrückt worden, kritisierte die Gewerkschafterin.

Die Schaffung von Konkurrenzsituationen etwa bei der Flugzeugabfertigung habe zu Billigst-Ausschreibungen und einem kontinuierlichen Lohnverfall geführt. Zudem habe die Zersplitterung der verschiedenen Dienstleistungen ein massives Steuerungsproblem an den Flughäfen hervorgebracht.

Airlines wie Flughäfen hätten den schnellen Hochlauf des Verkehrs in diesem Sommer falsch eingeschätzt und zudem das vorhandene Personal nicht vollständig gehalten. Behle kritisierte insbesondere die Abfindungsprogramme für ältere Beschäftigte.

"Die Unternehmen haben die Chance gewittert, erfahrene und entsprechend teure Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen loszuwerden. Da muss man sich jetzt nicht wundern, wenn etwas nicht klappt."

Verdi versuche, mit Tarifverträgen gegenzusteuern, sagte Behle. Bei den Luftsicherheitskräften seien in den vergangenen Jahren hohe Lohnsteigerungen durchgesetzt worden, um die Tätigkeit attraktiver zu machen. Für das Bodenpersonal verhandele man bereits seit 2018 über einen Branchentarifvertrag, der dann für alle rund 30 Anbieter gleichermaßen gelten würde.

Hier sei die Pandemie dazwischen gekommen, sodass nun für Anfang 2023 mit einem Abschluss gerechnet werde. Ziel sei es, einen Wettbewerb über die Lohnkosten künftig zu verhindern.

Hoher Krankenstand

Sie blicke mit Sorge auf die Situation bei der Lufthansa, erklärte die stellvertretende Aufsichtsratvorsitzende des Unternehmens vor der für Mittwoch einberufenen Sitzung des Kontrollgremiums.

Sie höre wegen der Dauerbelastung von Krankenständen in einzelnen Einheiten von bis zu 40 Prozent. Auch nähmen die tätlichen und psychischen Angriffe auf das Personal besorgniserregend zu. "Vom Management wollen wir erfahren, welche konkreten Handlungsprogramme sie haben und wie das Ansehen des Unternehmens nach außen gewahrt werden kann."
© dpa-AFX | Abb.: A. Mohl | 05.07.2022 16:02

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Beitrag vom 05.07.2022 - 18:42 Uhr
Ich zitiere eine Aussage, die hier damals sehr zerrissen wurde: "Wir sind am Boden des Systems angekommen!"
Stimmte ja wohl doch.
Das glaube ich noch nicht mal. Einige ja, aber noch nicht alle. Der Prozess läuft noch, da wird es Verschiebungen geben. Insgesamt wird das Fliegen noch weiter in die breite Masse gehen und der Premium Gedanke kleiner.
Beitrag vom 05.07.2022 - 17:18 Uhr
Und ja, ich weiß, dass das schwierig ist, aber das ist nunmal die Aufgabe der Gewerkschaft.

Und Aufgabe der Politik.
Ich muss immer wieder feststellen, dass ich bisweilen staune, welche Arbeitnehmer-Konstrukte in Europa nicht so völlig offensichtlich illegal sind, dass man darüber vor Gericht längere Zeit verhandlen muss...
(Und nein, das ist natürlich kein Problem, das nur in der Luftfahrt auftritt)

Das stimmt. Im Bereich der gesetzlichen Rahmenbedingungen schon und auch verstehe da mit meinem Rechtsverständnis so einige Sachen nicht, wieso die noch immer nicht bestraft wurden (e.g. Scheinselbstständigkeit). Aber auch hier sehe ich, die GEwerkschaften als Lobbyisten der Arbeitnehmer, ein Stück weit in der Pflicht. Es darf einfach nicht sein, dass man da scheinbar so schlecht aufgestellt und vernetzt ist, dass immer nur die Lobbyisten der Unternehmen Ihren Einfluss geltend machen. Man mag das system mögen oder hassen, aber so läuft es nunmal bei uns; also muss man sich an das System anpassen, wenn man Verbesserungen oder VEränderungen erreichen will.

Aber das ist nur der ein Teil. Beim Thema Tarifierung soll sich ja die Politik ja raushalten. Da heißt es dann ja "Tarifautonomie". Für einige der Probleme sind also auch die Gewerkschaften verantwortlich... die haben ja Regelmäßig aufgrund von Machtstreben auch Entscheidungen getroffen, die nicht zwangsläufig positiv für Ihre Mitglieder waren.

Und ja, das betrifft viele, wenn nicht alle Branchen/Gewerkschaften. Das ist kein reines Luftfahrt Problem.
Beitrag vom 05.07.2022 - 17:07 Uhr
Ich zitiere eine Aussage, die hier damals sehr zerrissen wurde: "Wir sind am Boden des Systems angekommen!"
Stimmte ja wohl doch.


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