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Carsten Spohrs Woche hatte eigentlich ganz vielversprechend begonnen. Endlich konnte der Lufthansa-Chef die erste 787-9 aus Seattle am Frankfurter Drehkreuz begrüßen.
Nach der Dreamliner-Landung prasselten die Hiobsbotschaften auf Spohr dann nur so herein: Pilotenstreik, eine Breitseite vom Kartellamt in Sachen Condor - und eine Niederlage nach Punkten im Tauziehen um ITA. Der US-Finanzinvestor Certares hat Lufthansa und MSC bei ITA überraschend ausgestochen.
Certares hatte ein Angebot für rund 55 Prozent der ITA-Anteile hinterlegt - und will Italien im ITA-Verwaltungsrat mehr Sitze plus Vetorechte bei wichtigen Entscheidungen zugestehen. Lufthansa und MSC hatten auf 80 Prozent der Anteile, happige Vertragsstrafen und vor allem eine klare Kante zum Staat gepocht.
Dabei lag das italienisch-deutsche Reederei-Airline-Duo lange Zeit nicht nur in der Gunst der Regierung Draghi klar vorn. Auch die Gewerkschaften hatten Lufthansa und MSC bei ITA den Rücken gestärkt.
Am Ende dürfte die politische Großwetterlage MSC und Lufthansa bei ITA den Strich durch die Rechnung gemacht haben. Italien wählt am 25. September nach dem Zerfall der Regierung Draghi ein neues Parlament. Das rechte Lager um die Partei Fratelli d‘Italia mit Spitzenkandidatin Giorgia Meloni führt die Umfragen an.
In den verbleibenden Wochen kann die aktuelle Regierung bestenfalls noch einen Vorvertrag mit Certares schließen - mehr auch nicht. Das letzte Wort über ITA wird bei den Nachfolgern liegen. Unter einer Ministerpräsidentin Meloni hätte wohl ohnehin nur eine "Privatisierung light" an Certares Chancen auf Bestand - wenn überhaupt.
Meloni hegt eine grundsätzliche Abneigung gegen den Verkauf von ITA. Die Airline ist für Italiens Rechte ein willkommenes Wahlkampfthema. "Ein weiteres Stück Italien geht dahin", beklagte Meloni. "Ich bin bereit alles zu tun, um das zu verhindern."
Italienischer Patient 2.0?
Viel Handlungsspielraum hätte gleichwohl auch die neue Regierung nicht - die EU-Kommission will Italien keine weiteren Staatshilfen für ITA mehr genehmigen. Alitalia hing nach einer Insolvenz 2017 vier Jahre am Tropf des Steuerzahlers - Rom hat in der siechenden Airline über die Jahre Milliardenbeträge versenkt.
Die drastisch gestiegenen Treibstoffpreise reißen dabei ein gewaltiges Loch in die Finanzpläne. Die junge Airline habe noch keine Preissicherung betrieben und wende derzeit "40 bis 50 Millionen Euro" mehr pro Quartal für Kerosin auf als veranschlagt, räumte ITA-Chef Fabio Lazzerini kürzlich in einem Interview mit der Zeitung "Corriere della Sera" ein.
Air France-KLM findet sich unterdessen in einer ganz ähnlichen Situation wieder wie 2008 - vor 14 Jahren war der Airlinekonzern schon einmal ganz nah an einer Übernahme von Alitalia dran als sich die politische Stimmung in Italien drehte. Die Regierung Berlusconi sperrte sich gegen den Deal, am Ende nahm Air France-KLM ein Angebot entnervt vom Tisch. Wiederholung nicht ausgeschlossen.
© aero.de | Abb.: Airbus | 03.09.2022 07:44
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