100 Jahre Tempelhof
Älter als 7 Tage

"Das Feld haben die Berliner in Besitz genommen"

Claudius Pflug / Tempelhof Projekt GmbH
Fabian Schmitz-Grethlein, © Claudius Pflug, Tempelhof Projekt GmbH

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BERLIN - Nazibau, Symbol der Luftbrücke, Naherholungsort, Sanierungsfall: Der stillgelegte Flughafen Tempelhof hat eine lange Geschichte, viele Gesichter - und eine weiterhin unklare Zukunft. Auch nach 100 Jahren steht er mitten in Berlin - und im Zentrum kultur- und gesellschaftspolitischer Debatten.

Von seinem Büro aus muss Fabian Schmitz-Grethlein nur durch eine Glastür gehen, schon steht er mitten auf dem Vorfeld des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof.

Vor ihm erstreckt sich das riesige freie Flugfeld, das die trubelige Hauptstadt weit an die Ränder drückt. Hinter ihm ragen die imposanten Hangars und der überdachte Teil des Vorfelds empor. Je nachdem, in welche Richtung der noch frische Tempelhof-Geschäftsführer blickt, sieht er die vielen unterschiedlichen Gesichter und Geschichten des mittlerweile stillgelegten Flughafens, der in dieser Woche sein 100-jähriges Bestehen feiert.

Da wäre zunächst die kilometerlange Start- und Landebahn, umgeben von weitläufigen Wiesen. "Etwas mehr Schattenplätze wären schön", sagt Schmitz-Grethlein. Doch auf dem historischen Areal sind Veränderungen nicht leicht umzusetzen. Jogger, Spaziergänger, Radfahrer sind wie immer unterwegs an diesem milden Herbst-Vormittag.

Viel los ist trotzdem nicht. An Sommerwochenenden zieht es täglich Tausende Menschen zum Grillen, Spielen oder Sportmachen hierher. "Das Feld haben die Berliner für sich in Besitz genommen", sagt der Tempelhof-Chef.

Am 8. Oktober 1923 starteten hier die ersten beiden Flugzeuge, das eine ins ostpreußische Königsberg, das andere nach München. Fast auf den Tag genau 85 Jahre später, am 30. Oktober 2008, endete der Flugbetrieb. Seitdem gehört das Feld den Bürgerinnen und Bürgern.

Ebenso lange wird diskutiert, ob das Gelände von der Größe des New Yorker Central Parks ausschließlich für die Freizeitnutzung erhalten bleiben soll. Oder ob angesichts der dringenden Wohnungsnot in Berlin nicht eine Randbebauung geboten wäre.

Eine solche lehnten die Bürgerinnen und Bürger 2014 per gesetzlich bindendem Volksentscheid ab. Inzwischen überlegt die Regierung von Berlin - der Senat - dennoch, den Plan wieder aufzunehmen. "Das ist eine Diskussion, die in der Stadtgesellschaft geführt werden muss, die auch geführt werden soll", sagt Schmitz-Grethlein. "Wir als Tempelhofer Projekt GmbH sehen unsere Rolle darin, diesen Diskussionsprozess hier ins Haus zu holen. Wo könnte er besser stattfinden als in unseren Räumen?"

Schon steckt man mittendrin in gesellschaftspolitischen Debatten, die den Flughafen bis heute prägen. Für eine weitere Debatte muss Schmitz-Grethlein den Blick etwas weiter nach links schweifen lassen. Am Rande des Vorfelds, aus der Ferne unscheinbar, stehen Hunderte Container, in denen derzeit rund 1.800 geflüchtete Menschen leben. Für viele Neuankommende sucht die Stadt derzeit weiter händeringend Wohnraum.

"Wir sind im Gespräch mit dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, hier noch einen weiteren Hangar zur Verfügung zu stellen", sagt der Geschäftsführer. "Das tun wir auch gerne. Aber irgendwann kommen wir auch an den Punkt, wo die Unterbringung in Konflikt gerät mit der übrigen Nutzung des Flughafens, und da muss der Senat dann eine Entscheidung treffen."

Kilometerlanger Sanierungsfall

Der Flughafen hat zwar viel Platz, aber ein Problem. Wenn sich Schmitz-Grethlein auf dem Vorfeld weiter umdreht und auf das 1,2 Kilometer breite Dach hinter ihm schaut, erspäht er darauf mehrere Bauarbeiter. Das von den Nazis als "Weltflughafen" konzipierte, aber in dieser Funktion nie genutzte Gebäude ist ein Sanierungsfall.

Überall stecken verbaute Schadstoffe - "die ganze Palette", wie Schmitz-Grethlein betont. Der Brandschutz ist nicht auf dem Stand der Dinge. Für viele Bestandsbauteile hat es nie eine Baugenehmigung gegeben. Änderungen gestalten sich auch aufgrund des Denkmalschutzes schwierig. "Und das führt eben dazu, dass wir hier leider noch viele Räume einfach gar nicht nutzen können."

Genutzt wird der Flughafen gleichwohl: Konzerte, Kunst-Ausstellungen, Opernaufführungen, Kinofilme vor der beeindruckenden Hangar-Kulisse - Tempelhof als Kultur- und Eventstandort ist ein wichtiger Bestandteil der Zukunftsvision, die die Gesellschaft hier umsetzen will.

"Das sind ja Dimensionen, die haben wir sonst bei der Völklinger Hütte oder bei der Zeche Zollverein", sagt der Chef mit Blick auf die beiden Industriedenkmale im Saarland und in der Ruhrgebietsstadt Essen. "Und hier haben wir es mitten in der Stadt. Was für ein grandioses Potenzial."

Die Herausforderung dabei: das Spannungsfeld aus gesellschaftspolitischer Bedeutung, moderner Kultur-Nutzung und der langen Geschichte des Baus zu erhalten.

Damit ist die Runde des Geschäftsführers auf dem Vorfeld nahezu abgeschlossen. Der letzte Blick gebührt dem Rosinenbomber unter dem Vorfelddach, um den sich gerade eine Besuchergruppe schart.

Wie kein anderer Ort steht Tempelhof als Symbol für die Berliner Luftbrücke, über die die USA nach dem Zweiten Weltkrieg die von den Sowjets eingeschlossenen Westberlinerinnen und -berliner mehr als ein Jahr lang mit Lebensmitteln, Kohle und Ausrüstung versorgte. Zwischen Juni 1948 und September 1949 transportierten die Amerikaner über die Berliner Flughäfen mehr als 2,3 Millionen Tonnen Fracht in den Westteil der Metropole.

Es ist vielleicht der berühmteste, gleichwohl nur ein kleiner Teil der langen Geschichte des Flughafens. Errichtet wurde das Gebäude in den 30er Jahren nach einem Entwurf des Nazi-Architekten Ernst Sagebiel. Während des Kriegs stand auf dem Gelände das einzige Berliner Konzentrationslager.

Jubiläumsprogramm

"Was ich besonders spannend finde, ist diese Überlagerung von unterschiedlichen Zeitschichten", sagt Schmitz-Grethlein. "Von den Anfängen der Luftfahrt hier auf dem Feld über die ersten Linienflüge, dann eben die Nazi-Zeit und schließlich die Besatzung durch die Westmächte." Alle historischen Schichten bilden sich bis heute in dem Gebäude und auf dem Gelände ab.

Dieser Tage können die Bürgerinnen und Bürger erneut einen Eindruck davon gewinnen. Zum 100. Geburtstag öffnet der Flughafen noch bis 10. Oktober seine Pforten für "100 Stunden nonstop Jubiläumsprogramm".
© dpa, aero.de | Abb.: Claudius Pflug / Tempelhof Projekt GmbH | 08.10.2023 07:54

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Beitrag vom 09.10.2023 - 22:04 Uhr
Wir mich wäre ein Abriss okay, die Eingangshalle samt Zufahrt und Platz der Luftbrücke sollten jedoch erhalten bleiben.

Ist immer eine Frage was man als "Welterbe" beibehalten will. Das Kollosseum würde genausowenig mehr stehen wie die Porta Nigra in Trier oder das Holstentor. Daher muss nicht immer alles weiternutzbar sein.

Aber ansonsten bin ich bei Dir, eine Nutzung ließe sich schöner/sinnvoller/nachhaltiger gestalten. Ist ja nicht der einzige brach liegende Airport in Berlin...

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Beitrag vom 09.10.2023 - 20:00 Uhr
Das bunte Berlin hätte auch an der Stelle viel Platz für viele neue Bürger ... und eine sichere Einnahmequelle.

Mit dem Geld könnten die Menschenfreunde so viele Säulen und Kuppeln bauen, die bräuchten garkeinen Länderfinanzausgleich mehr.
Beitrag vom 08.10.2023 - 23:58 Uhr
Ich werde ja hier mehrheitlich als 'Befürworter der Berliner Politik' eingestuft.

Aber das was mit dem EX THF geschieht bzw. nicht geschieht ist an Dummheit, Peinlichkeit kaum zu überbieten.

Das was seit der Stilllegung des Airports daraus geworden ist, ist einfach nur erbärmlich!

Mitten in der Stadt eine öden, trostlose Fläche, die meist nur am Wochenende (wenn das Wetter mitspielt) von 'urban People' genutzt wird.

Was für ein Anachronismus!

Berlin braucht:

a. Wohnungen
b. Grünflächen für das Stadtklima

Das schafft man aber nicht wenn mann das Tempelhofer Feld guasi sich selbst überlässt!

Die ehemaligen Startbahnen und auch das Vorfeld sollten bleiben (und für Radler, Skater, Rollschuläufer etc. mehr als ausreichen).

Dazwischen Bäume pflanzen, quasi einen kleinen Wald mitten in der Stadt schaffen.

Und am Rand:
Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen bauen! Aber keine Luxusbuden, sondern für normal Verdiener.

Was aus dem Nazigebäude wird, da sollen sich Historiker und Architekten drüber streiten.

Wir mich wäre ein Abriss okay, die Eingangshalle samt Zufahrt und Platz der Luftbrücke sollten jedoch erhalten bleiben.

Der Rest ist eh nicht nutz- und sanierbar (Kostenfrage!).


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