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Was wird aus dem Tempelhofer Feld?

Claudius Pflug / Tempelhof Projekt GmbH
Fabian Schmitz-Grethlein, © Claudius Pflug, Tempelhof Projekt GmbH

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BERLIN - Jahrzehntelang starteten auf dem Tempelhofer Feld in Berlin Flugzeuge. Vor zehn Jahren befanden die Bürger über die Zukunft des Geländes. Doch das Ergebnis des Volksentscheids steht infrage - denn das zentral gelegene Areal eignet sich auch für Wohnungen. Und die werden in Berlin dringend gebraucht.

Wo einst Flugzeuge starteten und landeten, huschen Skater und Radfahrer über die Rollbahn. Kinder lassen mit ihren Eltern Drachen steigen, Familien versammeln sich um Camping-Grills zu Speis und Trank. Teenager chillen einfach auf einer Decke, Hunde tollen auf einem eigenen Gelände herum.

An einigen Ständen bieten Händler Getränke oder Eis an, an anderer Stelle versuchen sich Menschen in der Pflege von Gemüsebeeten, ein kleines Theater aus Holz gibt es auch. Viele Besucher genießen Weite und Freiraum. Ihr Blick schweift in die Ferne, wo die Kuppel des Berliner Fernsehturms die Sonne spiegelt.

Das Tempelhofer Feld auf dem Gelände des 2008 geschlossenen Flughafens Berlin-Tempelhof darf mit gut 300 Hektar als größte Spielwiese der Hauptstadt gelten. Vor zehn Jahren, am 25. Mai 2014, beschlossen die Berliner Wählerinnen und Wähler per Volksentscheid ein Gesetz, das das gigantische Areal für alle Ewigkeit als Ort für Freizeit, Erholung und Sport sichern soll.

Rund 64 Prozent stimmten seinerzeit dafür, des Gelände für diesen Zweck nur vorsichtig weiterzuentwickeln - und vor allem dafür, es nicht zu bebauen.

Doch inzwischen hat sich die Stimmung verändert. Wegen stark gestiegener Mieten und Wohnungsmangels mehren sich Stimmen, zumindest auf Teilen des Areals Wohnungen zu errichten. Die vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) geführte Koalition aus CDU und SPD hat in ihrem Regierungsprogramm festgehalten: "Es bedarf angesichts der zugespitzten Wohnungsnot seit dem Volksentscheid 2014 einer neuen Debatte über die Zukunft des Tempelhofer Feldes."

Man wolle Möglichkeiten einer "behutsamen Randbebauung in begrenzten Teilen der Fläche" ausloten. Das angedachte Verfahren zur weiteren Zukunft des Feldes hat gerade begonnen.

Bei der Bürgerinitiative "100 Prozent Tempelhofer Feld", die den Volksentscheid einst voranbrachte, mischt sich in Feierstimmung zum Jubiläum daher auch Alarmstimmung. "Es war noch nie so ernst wie jetzt", sagt Mareike Witt von der Initiative. "Das Tempelhofer-Feld-Gesetz ist praktisch das einzige geltende Gesetz, das von den Berlinerinnen und Berlinern direkt geschrieben wurde." Nun versuche die Politik, diesen demokratischen Prozess zu torpedieren und das Gesetz Schritt für Schritt auszuhöhlen.

Als ersten Schritt wertet die Initiative eine jüngst im Landesparlament beschlossene Änderung, die eine zeitlich befristete Vergrößerung eines bestehenden Wohncontainerdorfes für Flüchtlinge erlaubt. Unterkünfte für geflüchtete Menschen seien nur ein Vorwand für weitergehende Maßnahmen, glaubt sie.

Eine dauerhafte Randbebauung des früheren Flughafengeländes mit Wohnungen - ein möglicher nächster Schritt - wollen Witt und ihre Mitstreiter verhindern. Unter anderem mit einer Petition, für die gerade Unterschriften gesammelt werden. Mehr als 40.000 Menschen haben bisher unterzeichnet. Ziel ist die Aufnahme des Feldes in die Unesco-Welterbeliste.

"Pro Woche kommen durchschnittlich 200.000 Besucher auf das Feld", sagt Witt. Allein an einem schönen Sonntag seien es schon mal bis zu 80.000. "Das Tempelhofer Feld wird immer beliebter, hat sich zu einem Wahrzeichen Berlins gemausert", so Witt. Der Freizeitwert sei nicht hoch genug zu bewerten. Flächen für rund 200.000 Wohnungen, die Berlin laut offiziellen Angaben bis 2040 braucht, gebe es auch so genügend in der Stadt. "Das Tempelhofer Feld wird dafür nicht gebraucht."

"Atypisches Areal"

Ähnlich sieht das der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der obendrein auf eine überragende Bedeutung des Areals im Zuge des Klimawandels und für die Natur verweist. Auf dem Feld werde es nachts kälter als in den dicht bebauten Stadtteilen drumherum, erläutert BUND-Landesgeschäftsführer Tilmann Heuser.

Als Kaltluftschneise sei das riesige, für eine Metropole "atypische Areal" in Zeiten der Erderwärmung immens wichtig für die Stadt. Zudem lebten dort etliche Tierarten, etwa die Feldlerche.

Bei allen Diskussionen um eine teilweise Wohnbebauung vermisst Heuser ein Gesamtkonzept. Bisherige Untersuchungen etwa von Stadtplanern hätten gezeigt, dass eine Bebauung mit Wohnungen im Prinzip an keinem der Ränder Sinn mache: Das unter Denkmalschutz stehende große frühere Terminalgebäude, in und an dem es regelmäßig Veranstaltungen wie Konzerte gibt, sprächen ebenso dagegen wie Stadtautobahn, S-Bahn und Gewerbegebiete am Südrand oder hochverdichtete Wohnviertel am Ostrand.

Berlins Senator für Bauen und Wohnen, Christian Gaebler (SPD), sieht das anders. Ein Senatssprecher sagt: "Das Tempelhofer Feld gehört zu den wenigen Flächen in Berlin, die in Landesbesitz sind und dadurch gemeinwohlorientierten, bezahlbaren Wohnungsbau für alle Bevölkerungsschichten ermöglichen."

Mit Blick auf Nachhaltigkeit und aus Gründen des Klima- und Ressourcenschutzes biete sich das Feld für eine gemischte Entwicklung an; mit Wohnen, sozialer Infrastruktur, Freizeit- und Erholungsflächen, von der viele Menschen profitieren könnten. Und: "Die hervorragende Verkehrsinfrastruktur mit U-Bahn und S-Bahn ermöglicht eine Auto-arme Entwicklung."

Schwarz-Rot könnte das per Volksentscheid beschlossene Tempelhof-Gesetz einfach im Abgeordnetenhaus ändern. Rechtlich ist das ohne weiteres möglich, politisch könnte das aber als Missachtung des demokratischen Votums der Bürger verstanden werden.

Gerade in Zeiten, in denen immer weniger Menschen Vertrauen in Politik und Demokratie haben, wäre das fatal. Daher scheut die Koalition diesen Weg auch und wählte einen anderen, den Bürgerinitiative und BUND wie auch Grüne, Linke und AfD als "Pseudo-Bürgerbeteiligung" kritisieren.

Ideenwettbewerb

Aus 20.000 zufällig ausgewählten Berlinerinnen und Berlinern sollen bis zu 275 Menschen ausgelost werden, die sich in sogenannten Dialogwerkstätten mit dem Tempelhofer Feld beschäftigen. Dort sollen sie Thesen für eine zukünftige Entwicklung des Areals erarbeiten.

Geplant ist auch ein internationaler städtebaulicher Ideenwettbewerb. Am Donnerstag (23.5.) diskutierte das Abgeordnetenhaus erstmals den Antrag der Koalition, diesen Wettbewerb so schnell wie möglich zu starten. Ergebnisse sollen bis Frühjahr 2025 vorliegen. 

Wie auch immer die Politik danach entscheidet - CDU und SPD haben zugesichert, dass die Bürger das letzte Wort haben und erneut abstimmen können. Wie das funktionieren soll, ist noch offen: Ein Volksentscheid von oben ist in Berlin bisher gesetzlich nicht vorgesehen.
© dpa | Abb.: Claudius Pflug, Tempelhof Projekt GmbH | 26.05.2024 07:56

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Beitrag vom 27.05.2024 - 16:11 Uhr
Jetzt würde mich doch interessieren, warum ein Besitzstandwahrer für weiter steigende Neubaukosten sein sollte.
Das hat er nicht gesagt, im Gegenteil.

Der Abschnitt
Das Problem sind u.a. die hohen Grundstückspreise die günstiges Bauen verhindern. ... Hier
schreien doch in erster Linie die Besitzstandswahrer...
ist eigentlich doch nicht anders zu verstehen.
Eigentlich schon, siehe unten...
Durch den Mangel an günstigen Wohnraum entsteht in der öffentlichen Diskussion Druck, bestehenden Wohnraum effektiver zu nutzen, u.a. auch der Altbestand von günstigen großen Wohnungen, die nur von wenigen Personen bewohnt werden. Würde jetzt mehr günstiges öffentliches Bauland zum Bau günstiger
Wohnungen genutzt, würde das den Druck mindern, z.B. die Einführung einer Fehlbelegungsabgabe um
Wechselbereitschaft zu provozieren.

Die Logik, man müsse nur mehr Flächenangebot schaffen und die Preise würden sinken, setzt aber leider die wenigstens einigermaßen problemlose Vergrößerbarkeit des Angebots voraus. Nur trifft das nicht zu. Das Angebot an Fläche ist begrenzt, und genau das ist der Grund für steigende Bodenpreise.
Stimmt, aber darum ging es ja nicht. Es ging darum, dass die Stadt ihre Flächen unter Marktpreisen verkaufen könne und somit günstigeres Bauen sicherstellen könnte. Das würde dann den Druck auf die Bestitzstandswahrer und ihre günstigen Wohnungen mindern.
"Jetzt würde mich doch interessieren, warum ein Besitzstandwahrer für weiter steigende Neubaukosten sein sollte." Das lese ich nun nirgendwo.
Ist aber egal, in der Sache sind wir uns einig.


Beitrag vom 27.05.2024 - 15:18 Uhr
Jetzt würde mich doch interessieren, warum ein Besitzstandwahrer für weiter steigende Neubaukosten sein sollte.
Das hat er nicht gesagt, im Gegenteil.

Der Abschnitt
Das Problem sind u.a. die hohen Grundstückspreise die günstiges Bauen verhindern. ... Hier
schreien doch in erster Linie die Besitzstandswahrer...
ist eigentlich doch nicht anders zu verstehen.



Durch den Mangel an günstigen Wohnraum entsteht in der öffentlichen Diskussion Druck, bestehenden
Wohnraum effektiver zu nutzen, u.a. auch der Altbestand von günstigen großen Wohnungen, die nur von
wenigen Personen bewohnt werden. Würde jetzt mehr günstiges öffentliches Bauland zum Bau günstiger
Wohnungen genutzt, würde das den Druck mindern, z.B. die Einführung einer Fehlbelegungsabgabe um
Wechselbereitschaft zu provozieren.

Die Logik, man müsse nur mehr Flächenangebot schaffen und die Preise würden sinken, setzt aber leider die wenigstens einigermaßen problemlose Vergrößerbarkeit des Angebots voraus. Nur trifft das nicht zu. Das Angebot an Fläche ist begrenzt, und genau das ist der Grund für steigende Bodenpreise.

Was die Bürokratie allerdings zulassen könnte ist die Erhöhung der Bauleitparameter wie GFZ (Geschoßflächenzahl) etc., d.h. man könnte relativ einfach eine höhere Bebauung zulassen, mehr Stockwerke abs bisher. Das wird aber aus verschiedensten Gründen oft nicht gemacht, ist aber tatsächlich der einzige Ausweg, einigermaßen viel Naturflächen zu erhalten und nicht alles im Stile von New York, Hongkong etc. zuzupflastern. Jeder Bauträger würde auf derselben Grundfläche liebend gerne z.B. sechzehn oder zweiunddreißig Wohnungen statt nur vier oder acht bauen.
Beitrag vom 27.05.2024 - 10:26 Uhr
Günstiges Bauland hatte Berlin genug. Wo ist das hin? Wo sind die Wohnungen die darauf standen? Berlin sollte sich für kurzfristige Gewinne nicht ein einzigartiges Naherholungsgebiet zerstören lassen. Warum nicht am Tiergarten eine Randbebauung einführen?
Der Gewinn wäre ohnehin nicht so groß, denn es soll ja günstiger Wohnraum entstehen. Es wäre ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aktuell gehören Berlin nur 2% der bebaubaren Fläche, der Rest ist privat.
Was ist eigentlich mit Tegel? Schon an Investoren verhökert?
Ja, die bauen dort ua. 5000 Wohnungen

Hier findet man alles Wissenswerte...
 https://www.ibb.de/de/ueber-uns/publikationen/wohnungsmarktbericht/2023.html


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