Superjet-Crash in Russland
Älter als 7 Tage  

Anstellwinkelsensoren falsch montiert?

Gazpromavia Suchoi Superjet 100
Gazpromavia Suchoi Superjet 100, © Anna Zvereva, CCBYSA

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MOSKAU - Der Absturz eines Suchoi Superjet von Gazpromavia am vergangenen Freitag nahe Moskau kostete drei Menschenleben. Die Ursache ist offiziell noch unklar, die Ermittlungen laufen. Doch alles scheint auf einen fatalen Wartungsfehler hinzudeuten. Der Hersteller gibt eine Warnung an Wartungsbetriebe heraus.

Die Spekulationen schossen sofort ins Kraut - wie eigentlich immer, wenn irgendwo ein Passagierflugzeug vom Himmel fällt.

Ein doppelter Triebwerksausfall, womöglich durch Vogelschlag, war kurzzeitig die These, die in russischen Medien am meisten diskutiert wurde – als Ursache dafür, warum der Suchoi Superjet RA-89049 am Nachmittag des 12. Juli nahe der Stadt Kolomna abstürzte.

Der neun Jahre alte Airliner der Fluggesellschaft Gazpromavia war auf einem Testflug von Luchowizy zum Flughafen Moskau-Wnukowo unterwegs gewesen. Im MiG-Flugzeugwerk Luchowizy, 135 Kilometer südlich von Moskau, hatte sich der Superjet zuvor seit Anfang Mai zu einem C-Check befunden.

Auf dem Luftfhart-Telegramkanal Aviatorschina verwies ein erfahrener Superjet-Pilot die Triebwerksausfall-These schon am Wochenende ins Reich der Fantasie. Die Untersuchung der russischen Flugunfallermittler läuft indes auf Hochtouren, aktuell werden Flugschreiber und Stimmenrekorder ausgewertet.

Auch wenn offiziell bis dato keine handfesten Fakten formuliert wurden, richtet sich die Aufmerksamkeit der Medien in Russland spätestens seit Dienstag auf ein Szenario, das einen fatalen Wartungsfehler beim C-Check zugrundelegt. Möglicherweise haben die zuständigen Techniker in Luchowizy die Anstellwinkelsensoren des Superjet nicht korrekt montiert.

Schlamperei in Luchowizy

So schreibt die Tageszeitung "Iswestija" unter Berufung auf "eine mit der Situation vertraute Quelle" davon, dass "entgegen der Bedienungsanleitung zwei der vier Sensoren mit einer Abweichung von etwa fünf Grad" installiert worden seien.

Aufgrund dieser Schlampigkeit hätten die Anstellwinkelsensoren im Steigflug unzuverlässige Messwerte produziert - was wiederum zu "einer vorzeitigen Aktivierung des Schutzsystems" geführt habe, das das Flugzeug vor einem Strömungsabriss schützen soll. Dieser Vorgang habe "den Superjet in den Boden geschickt", so "Iswestija" weiter.

"Die Piloten hatten keine Zeit, den Fehler zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten", konstatiert die Insider-Quelle und fasst zusammen: "Wenn bei der Installation ein Fehler gemacht wird, übermitteln [die Sensoren] falsche Daten an das Steuerungssystem.

Im übertragenen Sinne könnte die Elektronik denken, dass das Flugzeug aufsteigt, aber tatsächlich fliegt es auf den Boden zu. Dies ist das Bild, das sich vorläufig abzeichnet."

Kommuniqué vom Hersteller

Tatsächlich gab die für den Suchoi Superjet verantwortliche Flugzeugbau-Holding UAC nur zwei Tage nach dem Absturz der RA-89049 eine Anweisung heraus, in der sie mit Nachdruck darauf hinwies, sich beim Austausch und Wiedereinbau von Anstellwinkelsensoren strikt an die Vorschriften im Betriebshandbuch zu halten.

Außerdem forderte UAC alle Superjet-Betreiber auf, Arbeiten an besagten Sensoren stets – wie vorgeschrieben - doppelt zu kontrollieren "und Fälle auszuschließen, in denen ein Techniker zwei oder mehr Anstellwinkelsensoren am selben Flugzeug austauscht."

Die Anstellwinkelsensoren des (ursprünglichen) Suchoi Superjet stammen vom Zulieferer Thales aus Frankreich. Im neu aufgelegten Superjet New, einer "russifizierten" Ausführung des 98-Sitzers, werden die Sensoren durch ein Pendant aus Russland ersetzt. Die neue Superjet-Variante ist allerdings noch in Entwicklung, bislang fliegt nur ein Exemplar - das jedoch noch die "alten" russisch-französischen SaM-146-Turbofans besitzt, weil die rein russischen PD-8-Triebwerke bislang nicht verfügbar sind.
© FLUG REVUE - Patrick Zwerger | Abb.: Anna Zvereva, CCBYSA | 18.07.2024 16:59

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Beitrag vom 19.07.2024 - 09:41 Uhr
Halte diese Story der Iswestija für tendenziell unplausibel.
Würde mich wundern, wenn es zwischen dem Wartungshinweis und dem Absturz tatsächlich einen Zusammenhang gibt.

Ich sehe bisher auch keinen kausalen Zusammmenhang zwischen dem Absturz und dem Wartungshinweis zwei Tage danach. Ich denke eher, dass die moskautreuen Medien einfach zwei unabhängige Fakten zusammengemixt haben.
Beitrag vom 18.07.2024 - 22:46 Uhr
So schreibt die Tageszeitung "Iswestija" unter Berufung auf "eine mit der Situation vertraute Quelle" davon, dass "entgegen der Bedienungsanleitung zwei der vier Sensoren mit einer Abweichung von etwa fünf Grad" installiert worden seien.

Wenn die Maschine level fliegt, also AoA ~2-3°, denkt die Elektronik, der AoA wäre 7-8° (oder -3-2°).

Welche Elektronik greift bei diesen Messdaten wie ein um was zu verhindern?
Bei den MAX Abstürzen klemmte die ausgelesene AoA Anzeige unabhängig vom tatsächlichen Wert bei konstant sehr hohen Werten über +15°, was den konstanten push down durch MCAS auslöste.

Wie könnte ein Messergebnis +/- 5° - bei einem prinzipbedingt eh recht ungenauen AoA Sensor einen Absturz auslösen?

Wie genau kann zudem nach dem Einschlag im Gelände die ursprüngliche Montagegenauigkeit eines vergleichsweise filigranen AoA Sensors noch ermittelt werden?

Halte diese Story der Iswestija für tendenziell unplausibel.
Würde mich wundern, wenn es zwischen dem Wartungshinweis und dem Absturz tatsächlich einen Zusammenhang gibt.

Dieser Beitrag wurde am 18.07.2024 23:03 Uhr bearbeitet.
Beitrag vom 18.07.2024 - 22:34 Uhr
Fantastische Ferndiagnosespezialistenschwemme hier. Da muß sich ja sogar BILD noch warm anziehen.


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