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Es waren die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, die USA und die Sowjetunion befanden sich mitten im kalten Krieg, aber gleichzeitig im heißen Wettbewerb. Wer würde es als erster schaffen, Menschen auf dem Mond landen zu lassen? Das war eine entscheidende Frage damals.
Aber noch an anderen Fronten tobte ein Wettrennen zwischen den Systemen. Wer könnte als erster seine technische Überlegenheit darin beweisen, Menschen mit Überschallgeschwindigkeit von Kontinent zu Kontinent schicken? Dass Flugreisende auf langen Strecken künftig nur noch schneller als der Schall unterwegs sein würden galt in den Sechzigern als ausgemachte Sache.
Boeing entwickelte gleichzeitig auch die Boeing 747, die heute noch gebaut wird (bis 2022). Doch der Riese mit dem Buckel, so war damals klar, würde bald nur noch Fracht fliegen, während Menschen selbstverständlich nur jenseits der Schallmauer unterwegs sein würden.
Dabei war schon der Auftakt holprig: Präsident John F. Kennedy wollte im Juni 1963 mit großer Geste bei einer Rede das Programm eines amerikanischen Überschallflugzeugs verkünden. Dumm nur: Der wichtigste Mann der Luftfahrt, Pan Am-Chef Juan Trippe, fuhr dem Präsidenten am Vortag in die Parade und gab bekannt, seine weltumspannende Fluggesellschaft würde bei den Europäern sechs Optionen für ihr Concorde-Projekt zeichnen.
Wie Kennedy darob tobte, kann sich heute jeder auf YouTube anhören: In der Aufzeichnung eines kürzlich freigegebenen Telefonats mit seinem Finanzminister blafft JFK: "Wir sind verdammt sauer. Er muss das zurücknehmen."
Aber ein zurück gab es weder für Trippe noch für JFK. Die Regierung werde mit der Industrie ein "kommerziell erfolgreiches Überschallflugzeug entwickeln, das jedem überlegen ist, das in einem anderen Land der Welt gebaut wird", kündigte Kennedy unbeirrt am Folgetag an. Am Rande sagte er im kleinen Kreis: "Wir schlagen den Bastard de Gaulle", Frankreichs Staatschef war die treibende Kraft hinter der Concorde.
Doch dazu kam es nicht. Zunächst stachen die Sowjets alle anderen im Rennen aus, indem sie am 31. Dezember 1968 als ersten Überschall-Airliner überhaupt ihre Tupolew Tu-144 in die Luft bekamen. Danach allerdings zeigte sich schnell, dass Moskaus beste Ingenieure nicht in der Lage waren, ein alltagstaugliches Flugzeug für Geschwindigkeiten oberhalb von Mach 2 zu entwickeln.
Die Amerikaner setzten unterdessen auf Gigantomanie: Boeing hatte die Ausschreibung gewonnen mit einem Konzept, das wie alles in Amerika einige Nummern größer sein sollte. Über 30 Meter länger als die Concorde, geplant für rund 300 Passagiere (gegenüber hundert in der Concorde) und mit Mach 2,7 (im Vergleich zu Mach 2,02) - fast dreifacher Schallgeschwindigkeit.
Das eindrucksvollste am Projekt Boeing 2707 waren die gigantischen Modelle aus Holz und Aluminium in Originalgröße, die ab 1966 in Seattle in einem Flugzeughangar aufgebaut wurden. Bevor es die heutigen 3D-Simulationen gab waren sie für die Ingenieure die einzige Möglichkeit, um technische Machbarkeit und Kundenakzeptanz zu testen und Airlines wie Öffentlichkeit zu beeindrucken, wie die hier gezeigten, selten gesehenen Fotos eindrucksvoll verdeutlichen.
Anfangs hatte der Entwurf sogar Schwenkflügel, wie sonst nur manche Kampfflugzeuge, doch allein die tonnenschweren Scharniere aus Titan waren völlig ungeeignet für ein Passagierflugzeug.
Der US-Kongress zog 1971 die Reißleine und stoppte die Arbeiten. Boeings Überschallprojekt wollte zu viel zu früh zu einem Zeitpunkt, als viele der nötigen Technologien noch in den Kinderschuhen steckten.
Am Ende flossen damals über eine Milliarde US-Dollar (mehr als sechseinhalb Milliarden Dollar nach heutigem Wert) in das geplante Flugzeug, von dem am Ende nicht mehr übrigblieb als die absenkbare Rumpfnase und das Cockpit des Riesenmodells, die beide heute im Museum of Flight in Seattle restauriert werden.
"Die USA haben mehr Geld ausgegeben als jemals für die Concorde ausgegeben wurde – und hatten am Ende gar nichts", schrieb der britische Concorde-Testpilot Brian Trubshaw in seinen Memoiren.
"Wir würden zum Mond fliegen! Es gab diesen Glauben in Amerika, dass es nichts gab, was die Amerikaner nicht erreichen konnten. Was immer wir uns als Ziel setzten, egal was es kosten würde oder wie viel Arbeit es bedeutete, es gab keine Limits", sagt heute Boeing-Historiker Michael Lombardi. "Die 2707 ist ein Symbol dieser Periode, als wir alles tun konnten, was wir planten."
Neuer Anlauf auf einen alten Traum
Fast Forward ins Jahr 2020. In den USA - ausgerechnet - beginnt jetzt der Aufbruch in die neue Überschall-Ära des 21. Jahrhunderts. In Denver in Colorado feiert das weltweit erste privat finanzierte und gebaute Überschallflugzeug seinen Premieren-Auftritt.
Die Boom XB-1, Spitzname Baby Boom, ist nur eine zweisitzige Testmaschine. Mit ihr soll ab nächstem Jahr in Flugtests über der Mojave-Wüste bewiesen werden, dass heutzutage Überschallflug fast ohne den berüchtigten Knall und ausschließlich mit nachhaltigem Treibstoff funktioniert.
Wenn, dann wird irgendwann in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts von Boom ein veritabler Concorde-Nachfolger auf den Markt kommen. Nur ein 75-Sitzer - je kleiner, desto weniger Knall. Aber Japan Airlines und Virgin Atlantic Airways haben das Overture genannte Flugzeug schon angezahlt und vorbestellt.
Tickets sollen vergleichsweise erschwinglich sein, nicht teurer als heutige Flüge auf gleicher Strecke in Business Class. Was immer auf dem Weg dahin passiert – Boom will es besser machen als Boeing vor rund fünf Jahrzehnten. Und zeigen, dass Amerika doch Überschall kann.
Vom Autor ist das neue Buch "Überschall-Passagierjets, Vergangenheit – Zukunft" erschienen. Motorbuch-Verlag Stuttgart, 224 Seiten, 29,90 Euro.
© Andreas Spaeth | Abb.: Boeing/Archiv Geoffrey Thomas | 10.10.2020 08:59
Kommentare (4) Zur Startseite
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1. Der Treibstoffverbrauch ist wegen des Wellenwiderstandes im Überschallflug sehr hoch, auch wenn die Triebwerke ohne Nachbrenner arbeiten.
2. Die Lärmgrenzen der ICAO bei Start und Landung werden nicht erfüllbar sein. Höhere Grenzwerte für Überschallflugzeuge werden politisch nicht durchsetzbar sein.
3. Die Entwicklungskosten werden viel zu groß sein.
Puh, ich hoffe Sie stellen Ihre Expertise den Entwicklern in den USA zur Verfügung. Es ist schließlich nicht davon auszugehen, dass jene schon über diese drei Probleme nachgedacht haben.
Nachgedacht haben die darüber sicher.
Wenn ich mir die Hochglanzwebsite des Projekts aber durchlese, werden diese Probleme gegenüber den Geldgebern nicht erwähnt und man beschränkt sich mehr auf schöne Renderings...
Auch das ehemals verlaubarte Ziel des reduzierten Überschallknalls findet sich nicht mehr in den Unterlagen.
1. Der Treibstoffverbrauch ist wegen des Wellenwiderstandes im Überschallflug sehr hoch, auch wenn die Triebwerke ohne Nachbrenner arbeiten.
2. Die Lärmgrenzen der ICAO bei Start und Landung werden nicht erfüllbar sein. Höhere Grenzwerte für Überschallflugzeuge werden politisch nicht durchsetzbar sein.
3. Die Entwicklungskosten werden viel zu groß sein.
Puh, ich hoffe Sie stellen Ihre Expertise den Entwicklern in den USA zur Verfügung. Es ist schließlich nicht davon auszugehen, dass jene schon über diese drei Probleme nachgedacht haben.
1. Der Treibstoffverbrauch ist wegen des Wellenwiderstandes im Überschallflug sehr hoch, auch wenn die Triebwerke ohne Nachbrenner arbeiten.
2. Die Lärmgrenzen der ICAO bei Start und Landung werden nicht erfüllbar sein. Höhere Grenzwerte für Überschallflugzeuge werden politisch nicht durchsetzbar sein.
3. Die Entwicklungskosten werden viel zu groß sein.