Vorsitzender der Personalvertretung Cockpit der LH Cargo Sebastian Baumgart und Vorsitzender Tarifpolitik der VC Marcel Gröls, © Vereinigung Cockpit
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Herr Baumgart, in welcher Rolle sehen Sie die LH Cargo in der Krise?
Sebastian Baumgart: In einer guten! Die Cargo hat im letzten Jahr eine riesige Flexibilität an den Tag gelegt. Die Kollegen, die am Boden arbeiten, machen das teilweise aus dem Homeoffice - und das funktioniert reibungslos. Jeder arbeitet aus dem Urlaub und aus freien Tagen und macht alles möglich.
Mit den Leuten aus dem Cockpit haben wir im vergangenen Jahr große Teile des Manteltarifvertrages zeitweise außer Kraft gesetzt, damit dieser Kraftakt, der mit dem Transport von Masken, Impfstoffen und all dem einhergeht, auch bewältigt werden kann. Alle Mitarbeiter der Cargo haben die Flexibilität geliefert, die eine solche Krise erfordert – und dabei ein Topergebnis herausgeholt.
Wie stufen Sie die wirtschaftliche Rolle der LH Cargo in der Krise ein?
Baumgart: Mit 772 Millionen Euro Gewinn haben wir einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass der Lufthansa-Konzern überlebt hat.
Marcel Gröls: Die Cargo hatte das beste Jahr ihrer Geschichte – 772 Millionen Euro für ein Unternehmen dieser Größe ist ungewöhnlich. Die Cargo hat ihre Mutter gestützt, die gleichzeitig wiederum in der größten Krise ihrer Geschichte stand.
Das sollte eigentlich als Steilvorlage für den Konzern reichen, um sich klar zu seiner Stammbelegschaft zu bekennen. Die Belegschaft sieht das an dieser Stelle aber nicht – und sie fragt sich: "Wie soll das dann erst in anderen, normalen Jahren werden?"
Wie projizieren Sie denn die zukünftige Rolle der LH Cargo? Das Frachtgeschäft hat in der Krise ja eine Sonderposition, weil andere Frachtkapazitäten weggefallen sind.
Baumgart: Wir werden auf absehbare Zeit nicht so viele Unterflugkapazitäten im Markt haben, wie es vorher war. Die Ware muss trotzdem transportiert werden – und das werden eher die Frachter machen als Passagierflugzeuge, die Unterflugkapazitäten zur Verfügung stellen.
Wir sind sehr gut ausgelastet. Wir fliegen derzeit mit neun 777F und noch drei MD-11. Letztere verlassen nach und nach die Flotte und werden uns fehlen: Wir sehen ganz klar das Potenzial für weitere Flugzeuge bei Cargo, um das Geschäft abfliegen zu können.
Inzwischen hat das Management die zehnte 777F zugesagt. Woran machen Sie dennoch Ihre Beobachtung fest, dass Arbeitsplätze zu Aerologic ausgelagert werden?
Baumgart: Aerologic fliegt im Rahmen des Joint Ventures mit LH Cargo Flugzeuge für uns. Dafür betreibt Aerologic mehrere 777F exklusiv für die LH Cargo, mit denen sie ehemalige Cargo-Strecken übernimmt, die wir jetzt nicht mehr selber fliegen.
Zum Beispiel?
Baumgart: Wir sind zum Beispiel früher Strecken nach Houston geflogen, das liegt jetzt bei Aerologic. Sie fliegt Strecken von uns nach Indien, Nordamerika. Bis vor kurzem ist Aerologic die komplette Mexiko-Operation für uns geflogen, die fliegen wir jetzt wieder selber. Das wird immer ein bisschen durchgetauscht. Aber Aerologic fliegt auf originären Stammstrecken der LH Cargo.
Gröls: Wir sehen das jetzt seit einigen Jahren. Wachstum könnte bei der LH Cargo stattfinden, das Marktumfeld gibt es her. Stattdessen findet Wachstum bei der Tochter Aerologic statt. Da fragen wir uns natürlich, woran das liegt – und die Vermutung liegt nicht weit, dass es damit zu tun hat, dass die Aerologic tariflos ist. Es ist einfach billiger für den Konzern, dort zu fliegen.
Bisher ist kein Personaltransfer zwischen der LH Cargo und Aerologic vorgesehen. Könnten Sie sich einen Wechsel vorstellen, wenn es dort einen Tarifvertrag gäbe?
Baumgart: Wir verhandeln seit 2019 einen Interessenausgleich und Sozialplan zum Abbau der MD11-Flotte. Dabei sagen wir immer: Ihr habt Flugzeuge bei Aerologic, euch fehlen Piloten - wir haben hier 100 bis 150 zu viel.
Diese LH Cargo-Piloten könnten für einen begrenzten Zeitraum per Arbeitnehmerüberlassung bei Aerologic fliegen, also mit der Bezahlung eines LH-Cargo-Piloten, aber zu Aerologic-Konditionen. So etwas wurde im Übrigen schon einmal gemacht, als die Sunexpress aufgebaut wurden. Seinerzeit haben dort Lufthansa-Cargo-Kapitäne per Arbeitnehmerüberlassung ausgeholfen.
Im Fall der LH Cargo gibt es für diesen Vorschlag keine offenen Ohren seitens des Managements?
Baumgart: Es wird uns ganz klar gesagt, dass das nicht gewünscht ist. Dabei sagt jeder meiner Kollegen, mit dem ich mich unterhalte, dass er das sofort machen würde. Und es wäre für alle eine spannende Erfahrung.
Gröls: Es geht hier nicht nur um Piloten, sondern wir stellen bei der Cargo insgesamt fest, dass es eine Tendenz gibt, nicht immer die Kernbelegschaft zu schützen. Auch am Boden ist es so, dass auf externe Dienstleister zurückgegriffen wird.
Das setzt sich bei den Piloten fort, ist aber nicht das Gesamtthema. An der Stelle wünschen wir uns tatsächlich ein Umdenken. Hier wird rein auf Kostenbasis gearbeitet – und das ist zu kurz gedacht.
Diese Auslagerungstendenzen, die Sie hier ansprechen, beziehen sich ja nicht nur auf LH Cargo, sondern auch auf andere Airlines der Group. Haben Sie dafür noch andere Beispiele?
Gröls: Das sind tatsächlich keine Einzelfälle. Die LH handelt hier auch nicht unkoordiniert, wir erkennen klar ein Muster. Zu jedem Geschäftszweig der Lufthansa Group wird ein tarifloses Pendant auf die Beine gestellt, das der tarifierten Gesellschaft Konkurrenz machen soll.
Für die Flugschule Bremen war das die tariflose Schwester Rostock. Wobei Bremen jetzt aufgegeben wird, dort bleibt nur ein Rumpfgeschäft bestehen. Für die Passage gibt es jetzt mit Eurowings Discover ein Pendant und für die Cargo wie eben beschrieben die Aerologic.
Werten Sie diese Tendenzen als einen Versuch der Konzernleitung, eine Art billige Kopie der Lufthansa zu schaffen, um alten Tarifverträgen, die für den Konzern ja sehr teuer sind, zu entfliehen?
Gröls: Dazu möchte ich zweierlei sagen: Ja, die Lufthansa versucht immer wieder, Tarifflucht zu begehen, sie bemüht sich, tariflose Pendants aufzubauen. Wir glauben aber, dass man nicht sagen kann, dass das Personal, das heute bei der Lufthansa Kernmarke beschäftigt ist, zu teuer ist.
In anderen deutschen Industriezweigen wie etwa der Autoindustrie erkennen Manager auch an, dass Qualität ihren Preis kostet. Warum soll das nicht auch für die Lufthansa gelten? Nehmen Sie Volkswagen als Beispiel. Das Unternehmen ist heute der erfolgreichste Autoauer der Welt. Sind die Löhne dort die niedrigsten? Ganz im Gegenteil. Gute Arbeit darf bitte auch gut entlohnt werden.
Baumgart: Bei der LH Cargo und auch bei den anderen Airlines der LH Group gibt es ein besonderes Gefühl des Zusammenhalts unter den Mitarbeitern, eine Art Korpsgeist. Davon lebt die Group auch, denn dieser Korpsgeist schafft eine Qualität, die wir seit Jahren am Boden, in der Verwaltung und im Cockpit abliefern. Wir haben aber den Eindruck, dass dieser Zusammenhalt bewusst nicht mehr so gewollt ist.
Gröls: Sie können im Konzern sprechen, mit wem Sie möchten: Jeder kennt im Unternehmen den besonderen Cargo Spirit. Die Kultur bei Cargo ist so eine Art Superkraft, die in der Krise vieles möglich gemacht hat.
Aber diese Kultur muss auch gepflegt werden. Wir pflegen sie arbeitnehmerseitig nach Kräften - am Boden, in der Verwaltung und im Cockpit. Aber sie muss auch vom Arbeitgeber gepflegt werden.
Schon in der Vorkrisenstrategie der LH Group geht es um die Verschlankung der Strukturen, darum, alles effizienter zu gestalten und den einzelnen Mitarbeiter individueller in den Blick zu nehmen. Da wirkt ihre Beschreibung von Korpsgeist und Cargo Spirit beinahe romantisch, wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.
Gröls: Die LH wird heute in Teilen von Controllern regiert, das merkt man bis in die Töchter hinein. In guten Zeiten geben die Personalbereiche sehr viel Geld aus, um die sogenannten weichen Faktoren zu stärken, also, um die Kolleginnen und Kollegen am Boden, in der Verwaltung und in der Luft an das Unternehmen zu binden.
Davon erhofft man sich eine bessere Arbeitsleistung, eine geringere Krankenquote und so weiter. Und das funktioniert auch. In Krisenzeiten wie diesen regieren dann oftmals die Zahlen. Dann guckt man, wo man sparen kann – und vergisst vielleicht, dass man damit bei den Mitarbeitern auch Porzellan zerschlagen kann, das sich nur mühsam wieder kitten lässt.
Aber die Entwicklung setzte schon vor der Krise ein.
Gröls: Die Krise ist wie ein Katalysator für diesen Effekt. Es gibt eine Tendenz, dass die Lufthansa zu sehr von Controllern dominiert wird - und durch die Krise merkt man das besonders deutlich.
Kann man das als Appell Ihrerseits an das Lufthansa-Management verstehen, den Weg des Auslagerns zu verlassen?
Gröls: Wir wünschen uns eine Rückbesinnung auf Qualität, auf den Markennamen und auf die Stammbelegschaft. Diese drei Aspekte gehören zusammen, sie sind untrennbar miteinander verbunden.
Baumgart: Zum Thema Marke und Mitarbeiter, am Beispiel der Cargo. Diese Leute haben in der Krise alles möglich gemacht, weil sie hinter ihrer Marke und hinter ihrer Firma stehen. Obwohl – und das ist auch Teil der Wahrheit bei der LH Cargo – man der Belegschaft gegenüber schon 2019 gesagt hat: "Wir sind in Verhandlungen zum Interessenausgleich, wir wissen noch nicht, was wir mit euch machen."
2019 gab es schon eine Diskussion darüber, ob man alle Mitarbeiter an Bord halten kann oder nicht. Trotzdem haben sich, als sich die Welt innerhalb von zwei Monaten gedreht hat, alle hingestellt und gesagt: "Wir packen jetzt an." Da hat sich gezeigt, wie gut es ist, eine Stammbelegschaft zu haben, die hinter ihrer Firma steht und die sich mit ihr identifiziert.
Dabei ging es natürlich auch für jeden einzelnen darum, seinen Job zu bewahren.
Gröls: Dass die Kollegen ihren Job sichern wollen, ist ja legitim. Man kann trotzdem mehr wollen als nur das.
Baumgart: Wenn man eine solche Zeit nicht nutzt, um als Stammbelegschaft noch mal ganz klar zu zeigen, wozu man in der Lage ist: wann dann.
Sie haben den Pilotenüberhang bei der LH Cargo angesprochen. Wie stehen Sie zu einem verpflichtenden Teilzeitmodell, wie Carsten Spohr es sich öffentlich für alle Mitarbeiter wünscht?
Baumgart: Wir hatten 2009 schon mal eine große Krise bei der LH Cargo. Damals haben wir ein freiwilliges Teilzeitmodell eingeführt. Das war eine Art leicht subventionierte Teilzeit, um alle Leute an Bord halten zu können, weil man damals noch keine Kurzarbeitsfähigkeit bei den Piloten gesehen hat.
Das ist phänomenal gut angenommen worden. Und ich glaube, die Piloten sind solidarisch genug, dass sie, wenn wir wirklich innovative Teilzeitmodelle etablieren, alle daran partizipieren.
Was denken Sie: Wenn das Management der LH Cargo freien Gestaltungsspielraum hätte - wie sähe die LH Cargo in vier Jahren aus?
Baumgart: Überall wird unter dem Deckmantel der Krise versucht, die Tarifbedingungen abzusenken. Und natürlich versucht auch das LH Cargo-Management jetzt nochmal, die Krise zu nutzen und die Tarifbedingungen langfristig weiter abzusenken. Es ist eine einfache politische Frage. Ich sehe das Potenzial, dass LH Cargo einen Flugbetrieb mit zwölf bis dreizehn eigenen 777F fliegen und diese profitabel füllen kann. Die Frage ist nur, ob es politisch gewollt ist.
Gröls: Die LH Cargo hat das Potenzial, zu wachsen und könnte in der Blüte ihrer Kraft stehen, wenn es nach der Belegschaft und dem Management hier vor Ort ginge – aber es sind eben auch die Konzernvorgaben, an die sich das lokale Management halten muss.
Und das Konzernmanagement wünscht sich eben ein Stückweit Wachstum bei den tariflosen Töchtern. Was sich jedes Management natürlich immer wünscht, da ist LH Cargo keine Ausnahme, ist Wachstum, das Stärken der Marke.
Ein Stück wie haben wir natürlich das Problem, dass wir alle nicht wissen, wie sich der Markt entwickelt. Wir wissen aber, dass die LCAG innerhalb des Cargo-Marktes einer der bedeutendsten Player ist, was die Qualität angeht.
Was dieser Spezialist auch für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet, sieht man jetzt in der Pandemie bei der Impfstoffverteilung. Die Alternative, mal eben mit einer tariflosen Tochter zu wachsen, kommt letztlich aus dem Konzern, nicht vom Cargo-Management.
Wie sähe der gesamte LH-Konzern in vier Jahren aus, wenn Sie bei dessen Gestaltung gehörig mitsprechen könnten?
Gröls: Das hängt ja auch von den Marktgegebenheiten ab. Was wir uns sicher wünschen würden, wäre eine Lufthansa, die sich auf ihre Kernkompetenzen, auf ihren Markennamen und auf ihre Stammbelegschaften besinnt – damit meine ich nicht nur die Passage, sondern auch die Töchter.
Eine LH, die zu Tarifverträgen steht. Denn Tarifverträge bedeuten Wertschätzung. Und die Mitarbeiter wünschen sich Wertschätzung. Wie man hier in der Krise gesehen hat, haben sie die auch wirklich verdient.
Herr Gröls, Herr Baumgart, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Hinweis der Redaktion: In einer füheren Version der Bildunterschrift stand irrtümlicherweise, Herr Baumgart sei Personalvorstand der LH Cargo. Herr Baumgart ist Vorsitzender der Personalvertretung Cockpit der LH Cargo. Wir bitten Sie, den Fehler zu entschuldigen.
© aero.de | Abb.: Vereinigung Cockpit, Lufthansa Cargo | 02.04.2021 05:51
Kommentare (157) Zur Startseite
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Was wird denn verhandelt? Ich dachte aktuell geht es um den Sozialplan Überhangabbau. Danke
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