Fehlendes Personal
Älter als 7 Tage

Wie Airlines und Flughäfen den Neustart verpatzen

Flughafen München
Flughafen München, © FMG

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FRANKFURT - Zu Pfingsten erleben Fluggäste einen Vorgeschmack auf den nahen Ferienflugsommer. Zum Neustart nach Corona fehlt es im System an allen Ecken an Personal. Lange Wartezeiten und Flugausfälle scheinen unvermeidbar. Die Rückkehr der Passagiernachfrage hat die Branche überrumpelt.

KLM blieb nur die Notaustaste. Weil Amsterdam-Schiphol am Samstag erneut überlief, setzte die Airline am Nachmittag alle Flüge aus Europa ans Drehkreuz aus.

Flughäfen und Airlines reden gar nicht mehr drumherum: Ferienreisen per Flugzeug werden im Sommer zur Nervenprobe für Passagiere und Anbieter gleichermaßen. Die Branche verpatzt den Neustart in die erste einigermaßen pandemiefreie Saison seit 2019.

Grund ist Personalmangel an verschiedenen Punkten des Reiseprozesses: Von der Passagierkontrolle über die Flugzeugabfertigung bis hin zu den Flugbegleitern, überall fehlen die Leute, die sich in der Pandemie andere Jobs gesucht haben.

"Über alle Standorte hinweg fehlen den Dienstleistern, die an der Abfertigung der Passagiere beteiligt sind, rund 20 Prozent Bodenpersonal im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. Das kann vor allem beim Check-in, beim Beladen der Koffer und in der Luftsicherheitskontrolle zu Engpässen in Spitzenzeiten führen", sagt der Hauptgeschäftsführer des Flughafenverbandes ADV, Ralph Beisel.

Beisels Verband unterstützt den Plan, für den Sommer 2000 Flughafenarbeiter aus der Türkei auszuleihen. Die Flughafenbetriebsräte schätzen den zusätzlichen Bedarf auf 5.500 Leute bundesweit.

In Großbritannien machen sich Regierung und Flugbranche gegenseitig für das Reisechaos verantwortlich, das bereits zu Hunderten Flugabsagen und überfüllten Passagierterminals geführt hatte. Auch hier fehlt geschultes Personal, das in den beiden zurückliegenden Jahren die Branche massenhaft verlassen hat.

Es sei derzeit fast unmöglich, Personal zu finden, sagte ein Vertreter der Gewerkschaft GMB der BBC. In Deutschland seien viele Mitarbeiter in die Logistik abgewandert, sagt Thomas Richter vom Verband der Bodenabfertiger ABL.

Wegen fehlender Flugbegleiter sah sich Billigflieger Easyjet bereits zuvor zu einem drastischen Schritt veranlasst: In der britischen Teilflotte wird in diesem Sommer bei sämtlichen Flugzeugen vom Typ Airbus A319 die hintere Sitzreihe ausgebaut. Sechs Sitzplätze weniger bedeuten, dass die Airline nach geltenden Sicherheitsschlüsseln für die verbliebenen 150 Passagiere nur noch drei statt bislang vier Flugbegleiter in der Kabine einsetzen muss.

Wegen des gestiegenen Touristikanteils am Verkehrsaufkommen braut sich gerade an den Wochenenden auch in den deutschen Terminals einiges zusammen. Schon aktuell ziehen sich regelmäßig lange Schlangen durch die Hallen in Düsseldorf, Berlin oder Frankfurt.

In der Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen hakt es vor allem bei den Passagierkontrollen, die ein privater Dienstleister im Auftrag der Bundespolizei durchführt. Die Gewerkschaft Verdi rechnet mit anhaltenden Problemen über den Sommer, da die angespannte Personallage die Mitarbeiter körperlich und psychisch belaste. Schon jetzt gebe es einen Krankenstand von mehr als 20 Prozent, sagt Verdi-Experte Özay Tarim.

Frankfurt hat wie Dauer-Konkurrent Amsterdam angekündigt, zur Entlastung des Systems den Flugplan auszudünnen, also einzelne Verbindungen zu streichen. Natürlich in enger Absprache mit den Airlines, die darüber alles andere als glücklich sind und Entschädigungen verlangen. KLM hat zwischenzeitlich sogar den Ticketverkauf eingestellt, um Luft für Umbuchungen zu bekommen.

Enormer Nachholbedarf

Trotz Ukraine-Krieg und Rekord-Inflation gibt es einen enormen Nachholbedarf gerade bei den Privatreisenden. Bereits in der vergangenen Woche (23. bis 29. Mai) gab es laut Eurocontrol an Europas Himmel wieder mehr als 28.100 Flüge am Tag, was knapp 86 Prozent des Vorkrisen-Niveaus entspricht.

Im Sommer will beispielsweise der Lufthansa-Konzern auf der europäischen Kurzstrecke wieder 95 Prozent des Vorkrisenniveaus fliegen, die Direktflugtochter Eurowings bietet sogar mehr Sitzplätze an als 2019.

Es passt da gar nicht ins Bild, dass die französische Flugsicherung bis Ende Juli wegen der Einführung eines neuen Systems ihre Kapazität verringert und Flüge in den deutschen Luftraum verlegt werden müssen.

Leergefegter Arbeitsmarkt

Der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport hat in der Krise rund 4.000 Stellen abgebaut und darüber hinaus ungeplant Bodenpersonal verloren, das anderswo bessere Jobs gefunden hat. Auf einem weitgehend leer gefegten Rhein-Main-Arbeitsmarkt 1.000 neue Leute zu finden, wird zur kaum zu bewältigenden Herausforderung. Mehr als 100 neue Leute im Monat seien kaum zu schaffen, sagt Fraport-Chef Stefan Schulte.

Eine Hürde sind die hohen Sicherheitsanforderungen für Menschen, die gegen kleines Geld bei Wind und Wetter auf dem Vorfeld arbeiten, Gepäck verladen und Verpflegung anliefern. Bis zu sechs Wochen kann die Zuverlässigkeitsüberprüfung bei der Luftsicherheitsbehörde des Landes Hessen dauern.

Wer in den letzten fünf Jahre länger als sechs Monate im Ausland gelebt hat, muss entweder ein europäisches Führungszeugnis oder eine Straffreiheitsbescheinigung des entsprechenden Landes vorlegen - für viele Migranten eine kaum machbare Anforderung.

Die Krise ist längst global, so dass sich auch der Airline-Verband IATA der Sache angenommen hat. Er schlägt global einheitliche Ausbildungsinhalte vor, damit Bodenpersonal wie Piloten überall auf der Welt eingesetzt werden könnten. Zudem müsse die Rekrutierung verbessert und die Sicherheitsüberprüfungen gestrafft werden.
© dpa-AFX | Abb.: FMG | 05.06.2022 10:32

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Beitrag vom 07.06.2022 - 11:44 Uhr
Wenn Sie jetzt noch akzeptieren würden, dass dieser Mechanismus auch in die andere Richtung gehen kann, hätten wir beide kaum noch Diskussionsstoff :)

Tu ich ja, ich bin aber nunmal in dem Konflik Großkonzern vs. Arbeitnehmer idR auf der Seite der Underdogs :)

Natürlich, vor allem für die Underdogs, die 400 Prozent mehr als der deutsche Durchschnittsverdiener erhält :)

Nein, nicht "vor allem", aber auch in diesem Fall. Ganz ohne Neid.
Denn auch zwischen einem einzelnen Piloten und seinem Arbeitgeber besteht das gleiche Machtgefälle wie bei anderen Arbeitnehmern auch.

Nur das Wort Underdog könnte in die Irre führen. Da fühlt sich keiner als Underdog.
Nein, das ziehe ich zurück,. Die sind besonders geknechtet ...

Dieser Beitrag wurde am 07.06.2022 11:45 Uhr bearbeitet.
Beitrag vom 07.06.2022 - 08:33 Uhr
Wenn Sie jetzt noch akzeptieren würden, dass dieser Mechanismus auch in die andere Richtung gehen kann, hätten wir beide kaum noch Diskussionsstoff :)

Tu ich ja, ich bin aber nunmal in dem Konflik Großkonzern vs. Arbeitnehmer idR auf der Seite der Underdogs :)

Natürlich, vor allem für die Underdogs, die 400 Prozent mehr als der deutsche Durchschnittsverdiener erhält :)

Nein, nicht "vor allem", aber auch in diesem Fall. Ganz ohne Neid.
Denn auch zwischen einem einzelnen Piloten und seinem Arbeitgeber besteht das gleiche Machtgefälle wie bei anderen Arbeitnehmern auch.
Beitrag vom 07.06.2022 - 08:17 Uhr
Wenn Sie jetzt noch akzeptieren würden, dass dieser Mechanismus auch in die andere Richtung gehen kann, hätten wir beide kaum noch Diskussionsstoff :)

Tu ich ja, ich bin aber nunmal in dem Konflik Großkonzern vs. Arbeitnehmer idR auf der Seite der Underdogs :)

Natürlich, vor allem für die Underdogs, die 400 Prozent mehr als der deutsche Durchschnittsverdiener erhält :)
Vielleicht sollten Sie einfach nur schreiben, dass Sie gegen Großkonzerne sind ...


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