"Turbulenzwandel"
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Immer mehr Klarluftturbulenzen über dem Nordatlantik

Airbus A350-1000
Airbus A350-1000, © Airbus

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READING - Der Klimawandel hat offenbar Auswirkungen auf Flugreisen: Britische Wissenschaftler haben von 1979 bis 2020 dokumentierte Fälle sogenannter Klarluftturbulenzen ausgewertet - und einen Trend erkannt: Am Himmel geht es immer turbulenter zu. Besonders betroffen: Der Nordatlantik.

Washington D.C. ist am 1. März 2023 nicht das Ziel, Lufthansa 469 aus Austin will eigentlich nach Frankfurt. Nach heftigen Klarluftturbulenzen mit sieben Verletzten drehen die Piloten aber zur einer sicheren Landung in der US-Hauptstadt ab.

Wenn der Flieger absackt, rutscht vielen Reisenden das Herz in die Hose. Turbulenzen gehören nicht nur für Menschen mit Flugangst zum unangenehmen Teil von Flugreisen. Wenn Schulkinder in diesen Sommerferien in den Urlaub fliegen, werden sie mit höherer Wahrscheinlichkeit von Turbulenzen durchgerüttelt als diejenigen, die vor einigen Jahrzehnten mit dem Flugzeug unterwegs waren.

Das zeigt eine Studie der britischen Universität Reading. Die Wissenschaftler führen den "Turbulenzwandel" auf den Klimawandel zurück.

Die Anfang Juni veröffentlichte Studie konzentriert sich auf Klarluftturbulenzen, die nicht etwa vorhersehbar an Gebirgszügen oder bei Stürmen auftreten, sondern den Flieger im freien Flug "aus heiterem Himmel" erfassen. Ein zentrales Ergebnis: Diese Turbulenzen haben im Untersuchungszeitraum von 1979 bis 2020 zugenommen.

Besonders stark war der Anstieg in den mittleren Breiten und hier besonders über den USA sowie dem Nordatlantik. Die Gesamtdauer schwerer Turbulenzen über dem Nordatlantik stieg laut der Studie um 55 Prozent. Mittlere Turbulenzen traten um 37 Prozent, leichte um 17 Prozent länger auf. Es sind aber auch andere Regionen betroffen, etwa Routen über Europa.

Turbulenzen - im Volksmund nicht ganz korrekt auch "Luftlöcher" genannt - entstehen durch Böen, die sich von oben nach unten oder von unten nach oben bewegen. Sie verändern die Anströmung der Tragflächen und damit den Auftrieb: Der Flieger sackt ab oder zieht ruckartig hoch.

Einen Zusammenhang der Zunahme von Turbulenzen mit dem Klimawandel hatten die Autoren bereits in früheren Studien hergestellt. Studien-Co-Autor Paul Williams erklärt, in Reiseflughöhe erwärme der Klimawandel das Gebiet südlich des Jetstreams stärker als das Gebiet nördlich davon.

Der größere Temperaturunterschied führt zu stärkeren Windscherungen - also scharfen Änderungen der Windrichtung - und somit zu mehr Turbulenzen.

Und die sollen laut den Prognosen bei einem fortschreitenden Klimawandel auch in der Zukunft weiter zunehmen.

"Wenn wir mit Supercomputern eine Zukunft simulieren, in der die CO2-Menge in der Atmosphäre doppelt so hoch ist wie in der vorindustriellen Zeit, dann sehen wir etwa doppelt oder sogar dreimal so viele schwere Klarluftturbulenzen", erklärt Williams. "Jede zusätzliche Menge CO2 in der Atmosphäre bedeutet einen stärkeren Temperaturunterschied im Jetstream, was eine stärkere Windscherung bedeutet, was wiederum mehr Klarluftturbulenzen bedeutet."

Turbulenzen sind unangenehm für Passagiere, noch stärker aber für die Crew, die in der Zeit durch die Kabine gehen müsse, betont Patrick Vrancken vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Außerdem bedeuteten sie Stress für die Piloten. Bei schweren Turbulenzen besteht Verletzungsgefahr.

So wurden Anfang März insgesamt 27 Menschen an Bord zweier Maschinen von Lufthansa und Condor verletzt. Immerhin: "Strukturell sind Flugzeuge seit Jahrzehnten hinreichend stark gebaut", sagt Vrancken. "Auch eine Zunahme um einige Prozent der Turbulenzintensität würde hieran nichts ändern."

Neue Prognosemodelle

Laut den Studienautoren kosten Turbulenzen die Branche allein in den USA jährlich 150 bis 500 Millionen Dollar. Die Kosten entstehen demnach durch zusätzliche Ermüdung der Flugzeugkabine, durch Wartungsarbeiten, gelegentliche Schäden am Flugzeug oder durch die Behandlung von Verletzungen bei Crew und Passagieren.

In der Luftfahrtindustrie wird laut Patrick Vrancken vom DLR bereits seit vielen Jahren auf die zunehmenden Turbulenzen reagiert. Vor allem werde an der Verbesserung der Vorhersage gearbeitet. So arbeiten Forscher des DLR an einer Methode, die Turbulenzen einige hundert Meter im Voraus erkennt und dem Bordcomputer erlaubt, automatisch gegenzusteuern.
© dpa, aero.de | Abb.: Airbus | 21.06.2023 12:19

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Beitrag vom 21.06.2023 - 18:15 Uhr
Diese Supercomputer sind allerdings nicht in der Lage das seit jahrtausenden wiederkehrende, signifikante Klimaphänomen ElNino zeitnah zu orakeln. Gründe sind die Wissenlücken über veränderte JetStreams im pazifischen Raum. Nun gut, dann geben wir uns erstmal mit den Klarluftturbulenzen zufrieden.

Um ElNino oder LaNina exakt(er) zu prognostizieren, brauchen wir weniger einen Supercomputer, sondern neben Daten zu Windstärke/Richtung und der Lufttemperatur (haben wir) ein paar mehr Daten über Stömungen und Temperaturen in den tiefen Pazifikschichten, also auf 0, 1000m, 2000m, etc, Tiefe. Und das flächendeckend von 20°N bis 20°S.
Wäre also rein eine Frage des Geldes.
Beitrag vom 21.06.2023 - 17:55 Uhr
Diese Supercomputer sind allerdings nicht in der Lage das seit jahrtausenden wiederkehrende, signifikante Klimaphänomen ElNino zeitnah zu orakeln. Gründe sind die Wissenlücken über veränderte JetStreams im pazifischen Raum. Nun gut, dann geben wir uns erstmal mit den Klarluftturbulenzen zufrieden.
Beitrag vom 21.06.2023 - 15:06 Uhr
""Wenn wir mit Supercomputern eine Zukunft simulieren, in der die CO2-Menge in der Atmosphäre doppelt so hoch ist wie in der vorindustriellen Zeit, dann sehen wir etwa doppelt oder sogar dreimal so viele schwere Klarluftturbulenzen",..."

Ach was, ist denn das die Möglichkeit 🤔🫣!?

Woran das wohl liegt?


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