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Lufthansa-Flugpersonal hadert mit Zwei-Personen-Regel

Lufthansa Airbus A321
Lufthansa Airbus A321, © Lufthansa

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FRANKFURT - Zehn Minuten steuert der Autopilot einen Airbus A321 unüberwacht. Ein schwerer Zwischenfall bei Lufthansa sorgt für Gesprächsstoff, spanische Ermittler regen eine Rückkehr zur "Zwei-Personen-Regel" an. Das Verfahren lehnten Cockpit und UFO in der Vergangenheit strikt ab. Und jetzt?

Lufthansa 1140, spanischer Luftraum, 17. Februar 2024: Der Erste Offizier kollabiert im Sitz, wischt mit der Hand über das Bedienfeld. Der zweite Pilot ist dem Cockpit zwar nur für eine Toilettenpause fern, über zehn Minuten wird der Airbus A321 mit 205 Menschen an Bord aber zum Geisterflug.

Quälend lange 157 Sekunden steht der Kapitän bei der Rückkehr vor einer verriegelten Cockpittür. Die Bordsysteme zeichnen in dieser Zeit fünf Eingaben des Öffnungcodes auf - bevor der Kapitän den Notfallcode eintippt.

Die geheime Tastenkombination löst einen Countdown aus, nach dem die Tür von selbst aufspringt. Noch vor Ablauf entriegelt der Erste Offizier die Tür von innen, die Situation ist entschärft. 

So steht es im Fallbericht der spanischen Flugunfallbehörde CIAIAC. Bis zur Veröffentlichung des behördlichen Dokuments war der brisante Zwischenfall nur einem kleinen Kreis bekannt, auch bei Lufthansa.

Die Flugsicherheitsabteilung des Konzerns hat den Vorfall - laut Kreisen durchaus intensiv - aufgearbeitet, ein interner Bericht bleibt vorerst aber unter Verschluss.

Der Umgang mit Flug 1140 ist für Lufthansa heikel. In Teilen des Personalkörpers werden Stimmen laut, die eine Rückkehr zur sogenannten "Zwei-Personen-Regel" fordern. Verkürzt bedeutet die: Sobald einer der Piloten das Cockpit auch nur kurz verlässt, muss ein Mitglied der Kabinencrew die Kanzel "auffüllen".

Die Regelung war eine direkte Konsequenz aus dem Todesflug bei Germanwings - die europäische Luftfahrtaufsicht EASA hatte Airlines aber schon bald darauf wieder selbst überlassen, nach welchen Verfahren kurzzeitige Cockpit-Abstinenzen eines Piloten gehandhabt werden.

Spanische Ermittler: EASA am Zug

Flug 1140 setzt das Thema zurück auf die Tagesordnung. "Der Vorfall hat deutlich gemacht, dass es von Vorteil ist, wenn sich eine weitere autorisierte Person im Cockpit befindet sobald einer der beiden Piloten das Cockpit aus physiologischen oder betrieblichen Gründen verlässt", halten die spanischen Flugunfallermittler in ihrem Bericht fest.

Und mehr noch: Die spanischen Experten erachten es im Lichte des Zwischenfalls für "angemessen, eine diesbezügliche Sicherheitsempfehlung an die EASA zu richten" - eine direkte Aufforderung an die Aufsicht, den regulatorischen Schlingerkurs bei der Zwei-Personen-Regel zu beenden.

Lufthansa war vom strikten Vieraugenprinzip im Cockpit 2017, zwei Jahre nach dem Germanwings-Absturz, wieder abgerückt. Eine 180-Grad-Wende, aber keine Entscheidung des Managements über die Köpfe der Mitarbeiter hinweg - ganz im Gegenteil.

Die Kabinengewerkschaft UFO und die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit, wichtige Stimmen im Konzern, hatten sich seit der Einführung vehement gegen die "Zwei-Personen-Regel" positioniert. Die Personalvertreter geißelten das Verfahren als "symbolpolitischen Schritt" und "reinen Schaufenstereffekt".

"Besonders fraglich war für uns der propagierte Sicherheitsaspekt, da im Ernstfall ein Eingreifen von Flugbegleitern als Cockpitlaien kaum wirkungsvoll möglich gewesen wäre", hieß es in einer im April 2017 veröffentlichten Presseerklärung der Gewerkschaften. Nicht zuletzt bedeutete die Abschaffung der Zwei-Personen-Regel eine "Arbeitsentlastung" für die Kabinencrew, schrieb UFO in den Text.

Im Ausland wird er Sicherheitsaspekt des Verfahrens durchaus anders bewertet. In den USA gilt die Zwei-Personen-Regel nach wie vor.

An der grundsätzlichen Position der einflussreichen Lufthansa-Gewerkschaften zur Zwei-Personen-Regel hat Flug 1140 nichts geändert. Das geht aus Antworten der Vereinigung Cockpit und von UFO auf eine Anfrage von aero.de hervor. Im Folgenden die Stellungnahmen im ungekürzten Wortlaut:

Stellungnahme Vereinigung Cockpit (Pressestelle)

Die Abläufe an Bord sowie die Reaktion der Crew haben gut und im Einklang mit den geltenden Sicherheitsverfahren funktioniert. Die vorgeschriebenen Prozeduren zur Notfallzugangskontrolle zum Cockpit funktionierten wie vorgesehen, sodass der Kapitän wieder das Cockpit betreten und die Lage unter Kontrolle bringen konnte.

Der Vorfall verdeutlicht, dass die etablierten Sicherheitsprozesse im Flugbetrieb robust und wirksam sind.

Vor dem Hintergrund des Ereignisses sehen wir keine veränderte Faktenlage hinsichtlich bestehender Sicherheitsregeln wie der sogenannten 2-Personen-Regel im Cockpit. Diese wird von Experten seit Jahren kritisch bewertet, da sie in bestimmten Konstellationen eher zusätzliche Risiken als erhöhte Sicherheit mit sich bringen kann.

Stellungnahme UFO (Stellvertretende Vorsitzende Sara Grubisic)

Aus Sicht der Kabinengewerkschaft UFO hat die Crew in dieser Ausnahmesituation besonnen und regelkonform gehandelt. Die Sicherheitsabläufe an Bord haben wie vorgesehen gegriffen, sodass die Kontrolle durch den Kapitän über das Flugzeug wiedererlangt wurde.

Für uns ergibt sich daraus kein Anlass, unsere Haltung zur Zwei-Personen-Regel im Cockpit zu ändern. Fachleute weisen seit Jahren darauf hin, dass diese in bestimmten Situationen eher ein zusätzliches Risiko darstellen kann, anstatt mehr Sicherheit zu bringen.

Viel eher zeigt der Vorfall, wie sinnvoll unsere vehement vorgetragene Forderung ist, jegliche Versuche zur Einführung einer Single Pilot Operation für Verkehrsflugzeuge, wie sie von Airlines und Flugzeugherstellern auf europäischer Ebene eingefordert wird, konsequent zu verbieten.
© aero.de | Abb.: Lufthansa | 22.05.2025 06:24

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Beitrag vom 22.05.2025 - 13:03 Uhr
Der Titel ist irreführend. Das Lufthansa-Flugpersonal hadert nicht. Die Einstellung dazu ist zumindest auf Seiten der Gewerkschaften eindeutig. Und wie das restliche Personal das sieht, wird im Artikel gar nicht eingegangen.

Finde ich aber durchaus spannend, wie sich die EASA hierzu positionieren wird. Denn wenn sie wirklich für die Zwei-Personen-Regel plädieren sollte, kann sie das Single Pilot Konzept direkt in die Tonne treten. Alles andere wäre inkonsequent.
Beitrag vom 22.05.2025 - 12:37 Uhr
Das Leben ist riskant.
Wie bereits geschrieben. Wir können niemals alle Möglichkeiten mitigieren. Es bleibt beim Betrieb eines Flugzeuges/Fahrzeugs/beim Leben ein Restrisiko.
Dieses gilt es im rahmen der permanenten Risikoabwägung gering zu halten.
Nichts anders tun wir jeden Tag.
Beitrag vom 22.05.2025 - 12:25 Uhr
Hier gibt es eine gute Zusammenfassung des bisher bekannten. Der junge Condorpilot macht sehr sachliche und informative Videos:

 https://www.youtube.com/watch?v=8b8XK9lFDUU

btw: aus dem Video: Von 10.000 Piloten hat einer 4 Jahren ein gesundheitliches Problem (Statistik, oder anders von 40.000 Piloten hat einer im Jahr einen gesundheitlichen Vorfall.) aber nicht jeder Fall tritt gerade dann ein wenn mal der Kollege nicht vorne ist. Wahrscheinlichkeit eher deutlich > 1:100) Wieviel Flüge machen diese 40.000 Piloten pro Jahr? (long range und short range?) Was statistisch gehen viel relevanter ist: Triebwerksausfall.

"Die FAA schätzt, dass etwa alle 375.000 Flugstunden ein Triebwerk ausfällt. Anders ausgedrückt: Alle rund 43 Jahre ununterbrochener Flugzeit kommt es zu einem Triebwerksausfall." Wenn ein Flughafen nah ist, soweit so gut, aber wenn es über dem Atlanitc oder Pazifik ist, ist es schon spannender. Aber es kommt auch zu Ausfällen von 2 Triebwerken und was dann wenn, der Flieger nur 2 hat?

Deshalb hatte der jüngst verstorbene Jürgen Weber in seine CEO Zerit ja auch 4 Strahler befürwortet (ein 2 Strahler fliegt mir nicht über den Teich)
Klar sind die Triebwerke besser geworden aber es ist nur eine Frage der Zeit bis es mal zu einem beidseitigem Ausfall mit total Verlust kommt.
Diese (sehr geringe) Risiko juckt anscheinend niemand, Hauptsache billig fliegen. Oder wie @ minortem oben schreibt die unselige Diskussion über das ein Mann Cockpit.

Es hat doch alles wie vorgesehen funktioniert, nicht passiert, was soll nun die ganze Geschwurbel? Ich kenne Leute mit Flugangst die nie fliegen. Ist konsequent, jeder darf das.


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